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Mitbestimmung: Eine Betriebsverfassung für die Zukunft

Ausgabe 07/2022

Das Betriebsverfassungsgesetz wurde zum letzten Mal vor 50 Jahren modernisiert. Jetzt muss das Gesetz angepasst werden. Wie das geht, zeigt eine Gruppe von Expertinnen und Experten.

Das Betriebsverfassungsgesetz muss dringend modernisiert werden. Es muss den Anforderungen von Digitalisierung, Globalisierung und sozial-ökologischer Transformation genügen. Auch der Schutz von Betriebsräten vor übergriffigen Arbeitgebern muss verbessert werden. Einen konkreten Gesetzentwurf haben Expertinnen und Experten aus den DGB-Gewerkschaften, der Hans-Böckler-Stiftung sowie von rechtswissenschaftlichen Instituten erarbeitet. Beteiligt waren unter anderem Johanna Wenckebach und Thomas Klebe für das HSI, Wolfgang Däubler von der Universität Bremen und Olaf Deinert von der Universität Göttingen. Sie setzen sechs Schwerpunkte: 

1. Mitbestimmen bei Umwelt und Gleichstellung

Der Betriebsrat benötigt ein Mitbestimmungs- und Initiativrecht für Maßnahmen, die den Umweltschutz und die Gleichstellung im Betrieb betreffen. Zudem sollen in Betrieben ab 100 Beschäftigten Umwelt- und Gleichstellungsausschüsse gegründet werden. Der Arbeitgeber soll regelmäßig über den Stand der Gleichstellung und der Entgeltgerechtigkeit berichten.

2. Beschäftigung, Personalplanung, Weiterbildung

Das bisherige Vorschlags- und Beratungsrecht bei Maßnahmen zur Beschäftigungssicherung soll zum Mitbestimmungsrecht ausgebaut werden. In Konfliktfällen soll eine neutrale Einigungsstelle verbindlich entscheiden. Der Entwurf sieht außerdem Mitbestimmung bei der Personal­planung in Unternehmen mit mehr als 20 Beschäftigten vor. Wenn es um die Eingliederung von Menschen mit Schwerbehinderung, um Maßnahmen zur Durchsetzung der Geschlechtergleichheit, zur Förderung der Vereinbarkeit von Familie und Job und der Gleichberechtigung ausländischer Beschäftigter geht, soll dies auch in kleineren Unternehmen gelten. Bei der betrieblichen Weiterbildung ist ein generelles Initiativ- und Mitbestimmungsrecht notwendig, das auch über eine Einigungsstelle erzwingbar ist.

3. Persönlichkeitsrechte besser schützen

Die Regelungen zum Schutz der Persönlichkeitsrechte von Beschäftigten reichen noch nicht aus. Das hat auch das Betriebsrätemodernisierungsgesetz nicht geändert. Daher werden im Gesetzentwurf die zwingenden Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats ergänzt. Er soll bei Maßnahmen zum Schutz der Würde und der Persönlichkeitsrechte Einzelner initiativ werden können und mitbestimmen. Gleiches gilt für Maßnahmen des betrieblichen Datenschutzes.

4. Mehr Reichweite für die Mitbestimmung

Das Betriebsverfassungsgesetz endet bisher an nationalstaatlichen Grenzen – das ist in Zeiten der Internationalisierung nicht mehr zeitgemäß. Die Möglichkeit, grenzüberschreitende Interessenvertretungen zu bilden, soll deutlich ausgebaut werden. Bei Konzernen, deren Spitze im Ausland sitzt, wird die Mitbestimmung auf Konzernebene sichergestellt, wenn keine inländische Teilkonzernspitze besteht. Auf diese Weise soll verhindert werden, dass Mitbestimmung leerläuft, weil es aufseiten des Managements keine Gesprächspartner gibt, die wirklich entscheiden können.

Bisher gilt das Betriebsverfassungsgesetz nicht mal im Inland überall, weil beispielsweise für kirchliche Arbeitgeber sehr weitgehende Ausnahmen gelten. Diesen generellen „Tendenzschutz“ soll es nicht mehr geben. Ausnahmen sollen nur für „verkündungsnahe Tätigkeiten“ bestehen bleiben.

5. Mehr Demokratie für mehr Beschäftigte

Die Beschäftigten sollen eine „Demokratiezeit“ erhalten, um über die eigenen Arbeitsbedingungen oder aktuelle gesellschaftliche Themen zu sprechen. Dafür sollen sie eine Stunde in der Woche von der Arbeit freigestellt werden. Zudem wird klargestellt wird, dass sich Beschäftigte auch außerhalb des Betriebs zu betrieblichen Fragen äußern dürfen.

Außerdem sollen mehr Beschäftigte mitbestimmen dürfen. Bisher erstreckt sich die betriebliche Mitbestimmung auf Personen, die im engeren Sinne als „Arbeitnehmer“ gelten. Damit sich künftig auch Leiharbeitende oder arbeitnehmerähnliche Arbeitskräfte beteiligen können, muss der Arbeitnehmerbegriff erweitert werden.

6. Arbeit von Betriebsräten erleichtern

Die Behinderung von Betriebsräten soll als Straftat eingestuft werden, die auch ohne Antrag von der Staatsanwaltschaft verfolgt wird. Auch ein besserer Kündigungsschutz für Betriebsratsmitglieder oder die Initiatorinnen und Initiatoren von Betriebsratswahlen ist notwendig. Zudem sollen befristet Beschäftigte, arbeitnehmerähnliche Personen und Beschäftigte im dualen Studium besser geschützt werden, um sie zu ermutigen, im Betriebsrat aktiv zu sein.

In Betrieben ohne Betriebsrat soll es einmal im Jahr eine Versammlung geben, auf der über die Möglichkeit einer Betriebsratswahl informiert wird. Dazu können – sofern vorhanden – Gesamt- oder Konzernbetriebsrat oder eine im Betrieb vertretene Gewerkschaft einladen.

Der Entwurf enthält außerdem einen Vorschlag für eine angemessene Vergütung von Betriebsratsmitgliedern. Er berücksichtigt Qualifikationen und Erfahrungen, die durch die Betriebsratsarbeit erworben werden, besser als bisher.

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