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Arbeitszeitgestaltung Information

Auf einen Blick: Arbeitszeitgestaltung

In der Debatte um die Arbeitszeitgestaltung fließen viele Faktoren ein. Wie wollen wir wirtschaften, wie wollen wir arbeiten und wie wollen wir die Arbeit mit dem Leben vereinbaren. Es geht um Tarifverträge, um den richtigen rechtlichen Rahmen – u.a. für die Arbeitszeiterfassung, Mitbestimmungsrechte und die Vier-Tage-Woche

[15.08.2023]

Die Gestaltung von Arbeits- und Sozialrecht hat direkten Einfluss darauf, inwieweit Menschen ihre beruflichen und persönlichen Lebensverläufe eigenständig bestimmen und formen können. In den letzten Jahren haben sich Gesellschaft, Wirtschaft und Arbeitsmarkt stark verändert, was zu einer zunehmenden Differenzierung der Erwerbsverläufe geführt hat. Dennoch prägt das Konzept eines "Normalarbeitsverhältnisses" nach wie vor die Struktur der sozialen Sicherungssysteme.

In Übergangssituationen, wie beispielsweise beim Wechsel des Arbeitsplatzes oder beim Übergang von einer Erwerbstätigkeit zur Selbstständigkeit, können rechtliche Nachteile auftreten. Diese können zu Einkommenseinbußen, einer geringeren Arbeitsqualität, begrenzten Aufstiegsmöglichkeiten, einer schlechteren Positionierung am Arbeitsmarkt und einer verringerten sozialen Absicherung führen.

Um solche Nachteile zu vermeiden, ist eine Neuausrichtung des Konzepts von Erwerbsbiografien und Arbeitsverhältnissen erforderlich, um einen reibungslosen Übergang zu ermöglichen. Das Grundgesetz gewährleistet das "Recht auf eine selbstbestimmte Erwerbsbiografie" durch den Schutz der Berufsfreiheit sowie durch verfassungsrechtliche Bestimmungen zum Schutz der Familie und den Gleichheitsrechten.

Im Forschungsprojekt „Soziales Recht der Arbeit“ wurden rechtliche Instrumente und Handlungsempfehlungen auf ein Recht auf eine selbstbestimmte Erwerbsbiografie ausgearbeitet. Auch die gesetzliche Grundlage wurde analysiert und mit zukunftsweisenden Rechtsempfehlungen untermauert.

Fazit: Das Leitbild des Arbeits- und Sozialrechts könnte das Recht auf eine selbstbestimmte Erwerbsbiografie sein. Um dies zu verwirklichen, ist ein allgemeiner arbeitsrechtlicher Anspruch auf Anpassung des Arbeitsverhältnisses notwendig, einschließlich der Anpassung von Arbeitszeit, Arbeitsplatz und anderen Arbeitsarrangements. Ein betriebliches Übergangsmanagement sollte geschaffen werden, um Anpassungsrechte, betriebliche Interessen sowie die Wünsche der Beschäftigten miteinander abzustimmen und zu verhandeln.

Betriebliche Mitbestimmungsrechte sind hierfür erforderlich. Für die Sicherung des Lebensunterhalts der Betroffenen kommen unterschiedliche Modelle zwischen Entgeltersatz und Sicherung des Existenzminimums in Betracht - abhängig von gesellschaftlichen, sozialpolitischen und betrieblichen Interessen. Je nach Situation ist der Anspruch gegen den Arbeitgeber oder gegen Sozialversicherungsträger geltend zu machen. Die Möglichkeit von Teilleistungen sollte als Grundprinzip der sozialen Sicherung etabliert werden, um private Interessen und Erwerbsarbeit miteinander zu vereinbaren.

Gender Gaps

Die Lücke zwischen Frauen und Männern hat viele Namen. Der Gender Pay Gap beschreibt den Abstand beim Einkommen, der Gender Time Gap bei der Arbeitszeit und der Gender Care Gap den unterschiedlichen Anteil an unbezahlter Sorgearbeit. Viele Arbeitsprozesse haben sich mit der Zeit weiterentwickelt, zum Beispiel wurde das Recht auf Brückenteilzeit geschaffen und Pflegezeit besser ermöglicht. Aber viele bereits seit langen identifizierten Handlungsbedarfen, etwa die Auswirkungen der Corona-Krise sowohl erwerbstätige Frauen als auch Männer, jedoch sind sie in einigen Fällen unterschiedlich.

Dies führt zu ambivalenten Mustern bei der Gleichstellung auf dem deutschen Arbeitsmarkt im Jahr 2020. Während scheinbare kurzfristige Fortschritte beim Gender Pay Gap beobachtet werden, könnten sich gleichzeitig dauerhafte Verschlechterungen der Arbeitszeit-Situation von erwerbstätigen Frauen ergeben. In einigen Familien verstärkt sich die traditionelle Aufteilung der unbezahlten Kinderbetreuung, während sich in anderen Familien neue Möglichkeiten für eine fairere Verteilung eröffnen.

Auch die jüngste WSI-Studie (2023) zeigt, Frauen sind am Arbeitsmarkt weiterhin in vielerlei Hinsicht benachteiligt, insbesondere mit Blick auf Arbeitszeit und Einkommen. Die Frauen-Erwerbsquote ist in den letzten Jahrzehnten deutlich gestiegen, aber in vielen Wirtschaftsbereichen, insbesondere der Industrie, dominieren immer noch Männer. In der Hälfte der untersuchten Branchen beträgt der Frauenanteil weniger als 30 Prozent. Die Textilindustrie hingegen führt mit einem Frauenanteil von 56 Prozent. In den Dienstleistungen ist der Anteil der weiblichen Arbeitnehmer generell höher.

Bei der Arbeitszeit ergibt sich über alle Branchen hinweg ein identisches Muster: Männer arbeiten deutlich häufiger in Vollzeit. Der entsprechende Anteil reicht bei ihnen von 53 Prozent in der Gastronomie bis zu 87 Prozent unter anderem in der Energieversorgung und der Metallerzeugung. Bei den Frauen reicht das Spektrum von 21 Prozent im Bereich Gebäudebetreuung, Garten- und Landschaftsbau bis zu 67 Prozent in der Automobilindustrie. Die Differenz zwischen den Vollzeit-Quoten von Männern und Frauen schwankt zwischen 15 und 46 Prozentpunkten.

Die digitale Transformation kann die Geschlechterungleichheit auf dem Arbeitsmarkt verstärken - und zwar aufgrund des bestehenden Gender Digital Gap. Dieser Begriff beschreibt die geschlechtsspezifischen Unterschiede hinsichtlich auf die Entscheidungsfindung und Entwicklung digitaler Technologien, ihre Nutzung am Arbeitsplatz und den Zugang zu ihnen als Machtressourcen. Insbesondere drei Dimensionen des Gender Digital Gaps verdienen besondere Beachtung: die Machtdimension, die Dimension geschlechterbezogener Stereotype und die Dimension der Arbeitszeitnormen.

  • Arbeitzeit_Gender Digital gap
  • Arbeitszeitgestaltung Gender digital gap 2

Frauen nutzen bei der Arbeit seltener spezielle Software und vernetzte digitale Technologien als Männer. Besonders groß ist der Rückstand bei Teilzeitbeschäftigten. Entsprechend schätzen weibliche Beschäftigte ihre Chancen in einer zunehmend digitalisierten Arbeitswelt im Durchschnitt schlechter ein: Die Wahrscheinlichkeit, dass sie sich gut auf den Umgang mit vernetzten digitalen Technologien vorbereitet fühlen, ist bei den Frauen 14 Prozentpunkte niedriger als bei männlichen Beschäftigten. Frauen erwarten nur mit einer Wahrscheinlichkeit von 10,5 Prozent, dass sich ihre Chancen auf dem Arbeitsmarkt durch die Digitalisierung verbessern, bei den Männern sind es 18 Prozent. Das geht aus einer Studie von Yvonne Lott, WSI-Gleichstellungsexpertin, hervor.

Recht auf Gesundheit und faire Bezahlung

Das Bundesarbeitsministerium hat im April 2022 einen Entwurf für eine neue gesetzliche Regulierung der Arbeitszeiterfassung vorgelegt. Das Ziel ist es, klare Grenzen in der digitalen Arbeitswelt zu setzen, eine angemessene Vergütung für jede geleistete Arbeitsminute sicherzustellen und den Beschäftigten ein Instrument zur Durchsetzung ihrer Rechte an die Hand zu geben.

Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat bereits 2019 betont, dass Arbeitnehmer ein Recht auf Gesundheit und gerechte Bezahlung haben. Um sich vor überlangen Arbeitszeiten zu schützen, müssen diese erfasst werden. Daher hat der EuGH entschieden, dass Arbeitgeber ein "objektives, verlässliches und zugängliches System" zur Erfassung der Arbeitszeit bereitstellen müssen. Übermäßig lange Arbeitszeiten können zu Krankheit führen, und Überstunden erhöhen das Risiko von Unfällen. Zudem geht es bei der Debatte auch um finanzielle Aspekte: Wenn es zu Streitigkeiten über die Bezahlung von Überstunden kommt, müssen Arbeitnehmer*innen ihre geleistete Arbeit über die vertraglichen Verpflichtungen hinaus nachweisen können. Das geht nur, wenn Arbeitszeit auch erfasst wird.

Die geplante gesetzliche Regulierung der Arbeitszeiterfassung zielt darauf ab, diese Probleme anzugehen und den Arbeitnehmern die Möglichkeit zu geben, ihre Rechte effektiv durchzusetzen. Sie schafft Transparenz und Fairness in Bezug auf die Arbeitszeit und die Vergütung von Überstunden. Durch die genaue Erfassung der Arbeitszeit wird auch die Gesundheit und Sicherheit am Arbeitsplatz besser geschützt. Über die Arbeitszeiterfassung spricht HSI-Direktorin Johanna Wenckebach im Magazin Mitbestimmung.

Vier-Tage-Woche

Die Debatte über die Vier-Tage-Woche hat viel Aufmerksamkeit erhalten. Pilotprojekte in Großbritannien haben positive Zwischenergebnisse gezeigt, bei denen Arbeitnehmer*innen mit verkürzter Arbeitszeit produktiver, weniger gestresst und seltener krank waren. Eine neue Studie der Hans-Böckler-Stiftung, durchgeführt von WSI-Arbeitszeitexpertin Yvonne Lott und Eike Windscheid (Abteilung Forschungsförderung) ergab, dass auch in Deutschland viele Arbeitnehmer*innen eine verkürzte Arbeitswoche unter bestimmten Bedingungen für begrüßen würden.

Die Studie basierte auf einer aktuellen Erwerbspersonenbefragung der Hans-Böckler-Stiftung. Sie untersuchte, ob Vollzeiterwerbstätige eine Vier-Tage-Woche wünschen und aus welchen Gründen. Das Kernergebnis war, dass rund 81 Prozent der Vollzeiterwerbstätigen eine Vier-Tage-Woche mit entsprechend geringerer Wochenarbeitszeit befürworten. Knapp 73 Prozent gaben an, eine Arbeitszeitverkürzung nur bei gleichem Lohn zu wollen. Acht Prozent der Erwerbstätigen wären auch bereit, ihre Arbeitszeit zu reduzieren, wenn dadurch das Entgelt geringer ausfallen würde. 17 Prozent der Teilnehmer*innen würden eine Vier-Tage-Woche ablehnen, während zwei Prozent bereits ihre Vollzeittätigkeit auf vier Tage verteilt haben.

  • Arbeitzeitgestaltung 4 Tage Woche

Die große Mehrheit, die sich eine Vier-Tage-Woche wünscht, möchte mehr Zeit für sich selbst und die Familie haben. Auch Hobbys, Sport und Ehrenamt sind hierbei wichtige Faktoren. „Zeit für Muße hat damit einen besonderen Stellenwert für gesellschaftlichen Zusammenhalt und die Stabilität von Demokratie.“ Politik, Sozialpartner und Betriebe sollten das Vier-Tage-Modell in Erwägung ziehen „als Instrument zur Behebung des Fachkräftemangels, zur Stabilisierung von Sozialkassen, zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf sowie zur Gesunderhaltung von Beschäftigten“, resümieren Lott und Windscheid.

Jedoch müssen auch die Arbeitsmenge und die Arbeitsabläufe angepasst werden. Ansonsten könne sich eine Arbeitszeitverkürzung negativ auf die Motivation und das Wohlergehen der Beschäftigten auswirken. Für eine wirkungsvolle Umsetzung brauche es „verbindliche Vertretungsregelungen, mehr Personal sowie eine angepasste Arbeitsorganisation“. Ein weiterer wichtiger Punkt: Mehr und verlässliche öffentliche Kinderbetreuung ist den Forschenden zufolge auch dann nötig, wenn künftig deutlich mehr Beschäftigte vier Tage die Woche arbeiten.

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