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Magazin Mitbestimmung

: Ist das noch Journalismus?

Ausgabe 05/2011

BOULEVARDMEDIEN Die Selbstinszenierung als Volkes Stimmes verleiht dem Massenblatt "Bild" politisches Gewicht. Das wiederum ist Mittel zum Zweck, die Verkaufsmaschine "Bild" am Laufen zu halten. Diesen Schluss zieht eine aktuelle Studie der Otto Brenner Stiftung. Von Fritz Wolf

FRITZ WOLF ist Medienjournalist in Düsseldorf/Foto: Bild-Studie

Wir laden ein zu einem Perspektivenwechsel", heißt es lakonisch in der Studie "Drucksache ,Bild' - Eine Marke und ihre Mägde", die im Auftrag der Otto Brenner Stiftung erstellt wurde. Das Boulevardblatt sei "kein journalistisches Werk", sondern eine Marketing- und Verkaufsmaschine, die den kommerziellen Erfolg im Blick habe und sich dazu auch journalistischer Mittel bediene. "Bild" sei nur "ein fetter Parasit des Journalismus".

Das klingt drastisch. Insgesamt aber ist der Ton der Analyse, die die Publizisten Hans-Jürgen Arlt und Wolfgang Storz vorlegen, nüchtern und nicht so empörungsgetränkt wie sonst oft in Sachen "Bild". Diese Empörung ist selbst Teil bundesdeutscher Geschichte geworden.

EIN BLICK ZURÜCK_ Für die rebellischen 68er-Studenten war "Bild" das Hetzblatt, auf dessen Parolen sich der Dutschke-Attentäter berufen konnte - danach brannten, mit tatkräftiger Beteiligung des Verfassungsschutzes, die Lastwagen des Springer-Verlags. Heinrich Böll hat mit seinem Roman "Die verlorene Ehre der Katharina Blum" dem Konflikt ein literarisches Denkmal gesetzt. Dann kam Günther Wallraff, verkleidete sich als Redakteur Hans Esser und beschrieb in "Der Aufmacher" den Zynismus und die Manipulationskraft der "Bild" aus der Innensicht. Der Springer-Verlag hätte ihn gern ruiniert, aber Wallraff gewann alle Prozesse. Der Erfolg des Buches hat "Bild" nicht aufhalten können. Das Blatt machte mit und durch sich selbst weiter Schlagzeilen, pflegte ein gutes Verhältnis zu Gerhard Schröder (der mit "Bild, BamS und Glotze" regieren wollte), bestieg mit dem Titel "Wir sind Papst" den Olymp der Sprachschöpfer und beschäftigt neuerdings Alice Schwarzer als Autorin.

Man könnte auch sagen: "Bild" ist angekommen. Es ist nicht mehr anrüchig, mit dem Blatt in Verbindung gebracht zu werden, und auch seriöse Journalisten akzeptieren es als Informationsquelle. Die Kritik war in den letzten Jahren ruhiger geworden. Der Medienkritiker Georg Seeßlen sprach in einem Hörfunkfeature von "Geschmacksverstärker in der Müllkultur", und der Schauspieler Ottfried Fischer, selbst prominentes "Bild"-Opfer, attestierte dem Blatt, es nutze die "Pressefreiheit als Erpresserfreiheit". Die Schriftstellerin Charlotte Roche wehrte sich ebenso wirksam gegen "Bild"-Manipulationen wie die Politikerin Claudia Roth, während Künstler wie Marius Müller-Westernhagen oder Veronika Ferres für "Bild" warben.

Mit Aufklärung versucht es seit Jahren der medienkritische Blog bildblog.de, erwischt die Macher kontinuierlich beim Tatsachenverdrehen und stellt die Funde einem aufgeklärten Publikum ins Netz. Auch "Zeit" und "Spiegel" haben das Boulevardblatt jüngst kritisch beäugt. Das kann man auch so deuten, dass der politische Wind im Land sich dreht und die publizistische Kuschelphase, wie sie etwa Stefan Aust und "Bild"-Chef Kai Diekmann vorlebten, vorbei ist.

DIE VERWERTUNGSMASCHINE_ Die vorliegende Analyse von Arlt und Storz jedenfalls ist die gründlichste Auseinandersetzung mit "Bild" seit Langem: genau, informativ und anregend. Die Autoren nehmen zunächst das Blatt als politischen Faktor ernst. Das ist nicht unbedingt neu, aber doch nötig; mancherorts gilt "Bild" nur noch als Spaßblatt. Die Autoren konstatieren dagegen, "Bild" wolle "sich selbst an die Stelle der öffentlichen Meinung setzen und als Sprachrohr des politischen Mainstreams auftreten" und sei dabei in den letzten Jahren ungenierter geworden. Das Blatt wolle keine Beiträge zur öffentlichen Meinung liefern, sondern die öffentliche Meinung sein.

Wie das funktioniert, demonstrieren die Autoren in einer glänzenden Analyse der Berichterstattung zur Finanzkrise in Griechenland. "Bild" hatte eine große Kampagne angezettelt. Hinter albernen Wortspielen wie "Griechen die Griechen jetzt doch noch Geld?" verfertigte die Redaktion ein glasklares "Bild"-Meinungsbild von den "faulen und korrupten Griechen", die ihren Staat in die Zahlungsunfähigkeit treiben und den Euro ruinieren: "Die fleißigen und sparsamen Deutschen wollen den Euro retten, aber ihr hart erarbeitetes Geld keinesfalls in das bodenlose griechische Fass werfen." Dann die Gebrauchsanweisung für die Politik: "Die Sache wird gut ausgehen und der Euro wieder stabil werden, wenn die Pleite-Griechen aus der Eurozone hinausgeworfen werden, in die sie ohnehin nur mit Tricksen und Täuschen hereingekommen sind." "Bild" mache in diesem Sinne "politische Öffentlichkeitsarbeit im Selbstauftrag", diagnostizieren die Autoren und folgern lakonisch: "Niemand will ihr das verbieten, aber ist es Journalismus?"

Die Kampagnenfähigkeit von "Bild" beantwortet noch nicht die Frage, wie das Blatt funktioniert. Hier liefert die Studie brauchbare Erklärungen. Demnach ist auch Politik für "Bild" nur ein Mittel, um mit Ressentiments Umsatz zu machen. Als Verwertungsmaschine arbeite "Bild" vor allem für "Bild" selbst. Die Redakteure entwickeln ihre Storys weniger nach der Wirklichkeit als nach ihrer Wirksamkeit. Was nicht ins Muster passt, wird passend gemacht. Redakteure fragen dreist bei potenziellen Gesprächspartnern an, ob sie bereit seien, die jeweils erwünschte Meinung zu äußern - und viele spielen das Spiel mit. Bei den Lesern komme diese zurechtgestutzte Wirklichkeit an, weil die Macher es verstünden, sich im Mainstream zu bewegen, weil sie eine eingängige Sprache schrieben und weil sie immer mit Versatzstücken aus der Realität arbeiten und am Alltagsverhalten anknüpften.

EIN LEITMEDIUM?_ Da "Bild" aber auch Politik machen will, ist die Balance wichtig im Verhältnis zwischen politischen Eliten und den Stimmungen in der Bevölkerung. Es komme darauf an, so die Studie, "so nahe an den Eliten zu sein, um dort nicht mehr ausgegrenzt zu werden, zugleich so sehr auf Distanz zu ihnen zu sein, dass die Glaubwürdigkeit beim eigenen Publikum nicht gefährdet ist". Die Autoren befinden, "Bild" sei wie das Parteiprogramm einer nicht vorhandenen "Populistischen Partei Deutschlands".

Allerdings ist "Bild" in den letzten Jahren mehrere Male auch großartig gescheitert. Die Empfehlung, Griechenland aus dem Euro rauszuwerfen, hat die Politik nicht angenommen. Und wenn es das Ziel der Redaktion gewesen sein sollte, Karl Theodor zu Guttenberg ins Kanzleramt hochzuschreiben, dann haben die Politikmacher versagt. Überdies hat die Zeitung in den letzten Jahren ein Drittel der Leser verloren, was dem Verlag allerdings finanziell nicht schadet.

Dennoch wirkt "Bild" auf die politische Publizistik. Hier fällt die Prognose der Studie düster aus. Es sei denkbar, dass "Bild" zu einem Leitmedium der Zukunft werde, in dem sich politische Kommunikation in Richtung Unterhaltung auflöse: "Dann wäre die politische Berichterstattung vertrieben und abgelöst von einer Unterhaltung über Politik. Das käme einer Ablösung von Information, Wissen, Argument und Fakten durch bloßes Meinen, Talken, Vorurteil und Emotion gleich; das könnte zur Aufgabe des elementaren Anspruches führen, hier überhaupt noch einen Unterschied zu machen."

Hans-Jürgen Arlt/Wolfgang Storz: DRUCKSACHE "BILD" - EINE MARKE UND IHRE MÄGDE. Die "Bild"-Darstellung der Griechenland- und Eurokrise 2010. Eine Studie der Otto Brenner Stiftung, OBS-Arbeitsheft 67, Frankfurt/Main 2011

Download der Studie und alles um die Studie herum unter: www.bild-studie.de

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