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Stahlindustrie: Investieren statt abbauen Böckler Impuls

Wirtschaft: Stahlindustrie: Investieren statt abbauen

Ausgabe 18/2025

Deutschland ist gut beraten, die heimische Stahlproduktion zu erhalten und in die klimaneutrale Erzeugung zu investieren. Eine vollständige Abhängigkeit von Importen wäre sehr gefährlich.

Der deutschen Wirtschaft drohen jährliche Wertschöpfungsverluste von bis zu 50 Milliarden Euro, wenn sie ohne inländische Stahlproduktion in einen globalen „Stahlschock“ geriete. Dieses Szenario geht davon aus, dass große Stahlexporteure wie China aufgrund geopolitischer Konflikte oder Lieferkettenprobleme ihre Ausfuhren nach Europa in kurzer Zeit erheblich drosseln würden. Es stellt gewissermaßen eine verschärfte Variante der aktuellen Probleme bei Computerchips oder Seltenen Erden dar. Zu diesem Ergebnis kommt eine Studie von Ökonomen der Universität Mannheim, die von der Hans-Böckler-Stiftung gefördert wurde. „Wirtschaftliche Resilienz für Deutschland und Europa setzt eine starke deutsche Stahlindustrie voraus, die zeitnah und breit auf klimafreundliche Produktion umstellt“, erklären die Autoren Tom Krebs und Patrick Kaczmarczyk. Daher sei die politische Unterstützung der Transformation in der Stahlbranche ökonomisch sinnvoll, bei Bedarf auch deutlich über die bisherigen Pläne hinaus. Dabei drängt die Zeit: Die an deutschen Standorten existierenden Koks-Hochöfen haben laut der Studie bis 2035 ihre technische Lebensdauer ausgeschöpft. Sie sollten durch CO₂-arme Anlagen zur Direktreduktion ersetzt werden, bei denen Wasserstoff statt Kohle zum Einsatz kommt.

Die von einigen als kostengünstiger befürwortete Alternative, Stahl weitgehend oder vollständig aus dem Ausland zu importieren, beruht laut den Wirtschaftsforschern auf der „unrealistischen Annahme, dass globale Lieferketten immer reibungslos funktionieren und nahezu perfekter Wettbewerb auf den globalen Märkten vorherrscht“. Die Erfahrungen der vergangenen Jahre hätten gezeigt, dass sich gewisse Mehrkosten langfristig aus Gründen der Resilienz auszahlen können. Zudem seien hohe soziale und politische Kosten zu erwarten, sollten an den Stahlstandorten zehntausende Arbeitsplätze verloren gehen.

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Infografik: Aktuell ist Deutschland der größte Stahlhersteller in der EU und mit rund 37 Millionen Tonnen Rohstahlerzeugung im Jahr 2024 weltweit auf Platz sieben.
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Mehr Resilienz und nachhaltige Innovation

„Antibiotika, bestimmte Chemikalien oder Chips für die Massenfertigung: Jahrelang hieß es, solche vermeintlich simplen Produkte müssten nicht mehr selbst hergestellt werden, die kaufen wir billiger in Übersee. Vielfach stellt sich nun heraus, dass das ein riesiger Fehler war“, sagt Christina Schildmann, Leiterin der Forschungsförderung der Hans-Böckler-Stiftung. „Die Studie zeigt, warum dieser Fehler beim unverzichtbaren Werkstoff Stahl nicht wiederholt werden sollte. Zumal sich mit den notwendigen Investitionen in eine klimafreundliche Produktion zwei wichtige Ziele gleichzeitig erreichen lassen: mehr Resilienz und nachhaltige Innovation.“

Krebs und Kaczmarczyk analysieren auf Grundlage verschiedener vorliegender Modelle, wie sich der Stahlbedarf in Deutschland und der EU in den kommenden Jahrzehnten entwickeln wird. Für Europa lässt sich eine jährliche Nachfrage von 160 bis 180 Millionen Tonnen bis 2050 prognostizieren. Um diesen Bedarf verlässlich zu decken, leiten die Wirtschaftsforscher eine langfristig notwendige Produktion von mindestens rund 40 Millionen Tonnen in Deutschland ab. Diese soll jeweils zur Hälfte aus „Primärstahl“, der über eine CO₂-arme Direktreduktion erzeugt wird, und „Sekundärstahl“, der in Elektroöfen aus Stahlschrott geschmolzen wird, bestehen.

Aktuell ist Deutschland der größte Stahlhersteller in der EU und mit rund 37 Millionen Tonnen Rohstahlerzeugung im Jahr 2024 weltweit auf Platz sieben. Von zen­traler Bedeutung ist der Umstieg auf eine klimaschonendere Produktionsweise mittels Direktreduktionsanlagen. Pilotprojekte zeigen, dass die schrittweise Transformation technisch machbar ist – doch dafür sind stabile politische Rahmenbedingungen und gezielte Fördermaßnahmen erforderlich.

Die Investitionen in neue Produktionsanlagen werden längst nicht im erforderlichen Maß getätigt, warnen die Ökonomen. Nach ihren Berechnungen besteht derzeit eine eklatante Lücke im Bereich der „grünen“ Stahlproduktion: Dem künftigen Bedarf von jährlich 20 Millionen Tonnen Primärstahl steht eine geplante Produktionskapazität von lediglich acht Millionen Tonnen gegenüber. Dies ist ­unter anderem auf die Absage der Investitionspläne von ­Arcelormittal in Bremen und Eisenhüttenstadt sowie die aktuell unzureichenden Pläne von Thyssenkrupp in Duisburg zurückzuführen. „Deutschland muss daher den Ausbau der Produktionskapazitäten im Bereich des grünen Stahls deutlich beschleunigen und zusätzliche Investitionen anstoßen, wenn es einen angemessenen Beitrag zur Klimatransformation der europäischen Industrie leisten möchte“, schreiben Krebs und Kaczmarczyk.

Infografik: Mehr als die Hälfte des Rohstahls weltweit wird in China produziert. Das Land ist zudem der größte Exporteur von Rohstahl. Die Europäische Union kommt auf einen Anteil von sieben Prozent des weltweit erzeugten Rohstahls.
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Erheblicher Schaden durch „Stahlschock“

Sollte es nicht gelingen, die eigene Stahlproduktion aufrechtzuerhalten, und Deutschland und Europa künftig stark von Importen abhängig sein, würde ein „Stahlschock“ erheblichen wirtschaftlichen Schaden anrichten. Die von den Forschern für dieses Szenario berechneten 50 Milliarden Euro jährlicher Wertschöpfungsverluste entsprechen 1,2 Prozent des deutschen Bruttoinlandsprodukts. Diese Verluste setzen sich aus zwei Komponenten zusammen, die jeweils etwa zur Hälfte zum Gesamtverlust beitragen: Erstens müssten nachgelagerte Branchen wie die Bauwirtschaft, die Metallerzeugung, der Maschinenbau, die Elektrotechnik oder die Autoindustrie erheblich mehr für Stahl bezahlen. Dieser Kostenschub würde die Produktion und damit die Wertschöpfung in diesen Sektoren verringern. Zweitens würde die Krise auch die Einkommen der privaten Haushalte schmälern, was wiederum die Binnennachfrage beeinträchtigen würde.

Als Einwand gegen den Erhalt der heimischen Stahlindustrie wird mitunter vorgebracht, dass Deutschland ohnehin von Importen abhängig sei, da das für die Primärstahlproduktion notwendige Eisenerz aus dem Ausland stammt. „Dieses Argument greift jedoch zu kurz“, erklären die Wissenschaftler. Eisenerz sei ein weltweit breit verfügbarer Rohstoff, dessen Handel auf stabilen und gut diversifizierten Märkten erfolge – anders als bei den Erzeugnissen der Stahlindustrie. Ebenso wenig überzeugen nach Analyse der Forscher Vorschläge, die Stahlerzeugung innerhalb der EU nach Südeuropa zu verlagern, weil dort die Voraussetzungen für die günstige Erzeugung von erneuerbaren Energien besonders gut seien. Zwar werde beispielsweise in Spanien in zusätzliche Kapazitäten investiert. Mit drei Millionen Tonnen sei der Umfang aber viel zu gering. Und die Idee, Teile der Wertschöpfungskette bei der Stahlproduktion auf unterschiedliche Länder aufzuteilen, vergrößere nicht nur Lieferkettenrisiken, sie koste auch Effizienz und mehr Energie, weil sie die enge technische Verzahnung der Prozesse vernachlässige.   

Sollte die Stahlproduktion ins Ausland verlagert werden, hätte das außerdem erhebliche Arbeitsplatzverluste zur Folge. Da 42 Prozent der Beschäftigten in der Stahlindustrie über 50 Jahre alt sind, wären mindestens 30 000 der 70 000 Beschäftigten akut von Arbeitsplatzverlust und einem schwierigen Wiedereinstieg in den Arbeitsmarkt betroffen. Diese Verluste würden sich zu großen Teilen auf die fünf Standorte Bremen, Duisburg, Eisenhüttenstadt, Saarland und Salzgitter konzentrieren. Durch die Einkommens- und Nachfrageverluste wären indirekt weitere Arbeitsplätze bedroht.

„Angesichts historischer Erfahrungen mit industriellen Strukturbrüchen in den USA und Großbritannien sowie der Altersstruktur der Beschäftigten in der Stahlindustrie ist davon auszugehen, dass ein großer Teil der Betroffenen nach dem Arbeitsplatzverlust nicht gleichwertig wieder in den Arbeitsmarkt integriert werden kann“, so die Wissenschaftler. Dies hätte erhebliche soziale und auch politische Konsequenzen: „Eine solche Wirtschaftspolitik wäre ein Konjunkturprogramm für die AfD in den betroffenen Regionen.“ Hinzu kommt, dass auch Beschäftigte in den nachgelagerten Branchen und in anderen Regionen betroffen wären. In den Industrien, die Stahl als Grundstoff nutzen, sind in Deutschland rund vier Millionen Menschen beschäftigt, was zwei Dritteln aller Industriearbeitsplätze entspricht.

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