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Das Bild zeigt die Bühne beim HSI Forum für Arbeitsrecht 2024 Service aktuell

14. Hans-Böckler-Forum zum Arbeits- und Sozialrecht: Den Menschen in den Mittelpunkt stellen

Das 14. Hans-Böckler-Forum zum Arbeits- und Sozialrecht bot von A wie Arbeitszeit über L wie Lieferketten bis R wie Rassismus ein Programm, das einen Nerv traf: Mehr als 500 Teilnehmer*innen tagten vor Ort in Berlin, weitere 40 schauten online zu.

[01.03.2024]

Von Jeannette Goddar 

Natürlich sprach Ernesto Klengel nur im Scherz von der „großen Ruhe“, in der sich das 14. Hans-Böckler-Forum für Arbeits- und Sozialrecht über „schöne juristische Dinge“ austauschen wolle. Der kommissarische Direktor des Hugo Sinzheimer Instituts (HSI) wies in seiner Eröffnungsrede auf die zahlreichen hochaktuellen politischen Bezüge der Themen des Forums hin – von den Sorgen in den Belegschaften angesichts anstehender Veränderungen bis hin zu den Diskussionen um die Sozialsysteme. Dass Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) just am Tag zuvor ein mehrjähriges „Moratorium bei Sozialausgaben“ gefordert hatte, war da nur ein besonders schillerndes Beispiel. 

Angesichts dessen klang der Vortrag des Bundessozialgerichtspräsidenten wie eine direkte Antwort auf Lindners Talkshow-Auftritt. „Der solidarische Ausgleich gehört zur DNA des Sozialstaats“, konstatierte Rainer Schlegel, ergänzt durch eine kaum verhüllte Aufforderung an die Ampelkoalition: Man möge sich „zusammensetzen, nicht nur an die nächste Wahl denken und nach guten Lösungen suchen.“ Der Arbeitsrechtler Rüdiger Krause (Georg-August-Universität Göttingen) hatte schon zuvor in dasselbe Horn geblasen. Verschiedene Ansichten gingen völlig in Ordnung. Doch wie „eine Partei, die ich hier gar nicht nennen will“ im Falle des europäischen Lieferkettengesetzes ein bereits abgeschlossenes Trilog-Verfahren blockiert habe, sei „relativ unerträglich“.  

Von A wie Arbeitszeit über L wie Lieferketten

Unter dem Titel „Lieferkettenregulierung aus arbeitsrechtlicher Perspektive“ absolvierte der Göttinger Arbeitsrechtler einen Ritt durch ein transnationales Regelwerk, das sich Nichtexperten sicher weniger komplex vorstellen. Von ILO-Kernarbeitsnormen über UN-Menschenrechtsakte und Leitsätze der OECD bis zu unternehmerischen Codes of Conducts und gewerkschaftlichen International Framework Agreements. Sein Fazit: Allein mit deutschen und europäischen Regelungen lässt sich transnationales Arbeitsrecht nicht begreifen. Und: Abstrakte Regelungen genügen nicht; Standards müssen implementiert, umgesetzt, und überwacht werden. Zu bedenken bleibt, wie der Globale Süden an Regelungen mitarbeiten kann, um den Eindruck eines „unilateralen Paternalismus“ zu verhindern. 

Das Interesse an einem Forum, das Themen von A wie Arbeitszeit über L wie Lieferketten bis zu R wie Rassismus in den Mittelpunkt stellt, war enorm: Der große Saal im Berliner Maritim Hotel war bis auf den letzten Platz besetzt; zu den 500 Menschen vor Ort gesellten sich 40 online. Mit Bundesarbeitsgerichtspräsidentin Inken Gallner und Bundesverfassungsrichterin Miriam Meßling sprachen zwei weitere Vertreterinnen von Deutschlands höchsten Gerichten zu dem Forum, das das HSI der Hans-Böckler-Stiftung ausrichtet. Gallner warb in ihren Grußworten für Engagement für Demokratie bei den Anwesenden. Miriam Meßling stellte in einem Fachvortrag die verfassungsrechtlichen Grundlagen der Arbeits- und Sozialordnung dar - auch dies ist angesichts der aktuellen Diskussionen um die Sozialordnung ein hochpolitisches Thema. 

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Der zweite Tag richtete den Fokus auf die fehlende Gleichberechtigung von Frauen und Menschen aus Familien mit Zuwanderungsgeschichte. Katja Nebe (Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg) stellte mit Blick auf die nach wie vor großen Unterschiede zwischen Männern und Frauen bei Entlohnung und Sorgeverantwortung (Gender Pay Gap und Gender Care Gap) fest: Auch der Rechtsrahmen für eine familiengerechte Arbeitsorganisation ist in Deutschland immer noch sehr lückenhaft.  

Die Arbeitsrechtlerin schlug ebenfalls einen weiten Bogen durch transnationales Recht, das auch zu diesem Thema eine Reihe Leitbilder und Konventionen kennt; etwa die UN-Kinderrechtskonvention, die EU-Richtlinie zur Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben für Eltern und pflegende Angehörige und die unter deutscher Präsidentschaft 2020 vom Europäischen Rat verabschiedeten Empfehlungen für die gerechte Aufteilung bezahlter Erwerbsarbeit. Auch in das Grundgesetz, so Nebe, sei nach der Wiedervereinigung ein wichtiger Satz eingefügt worden: „Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin.“  

Dem Arbeits- und Sozialrecht wie der Rechtsprechung attestierte sie indes „wenig Konkretes“: Statt eines Gesetzes zum Schutz von Sorgeverantwortung fänden sich an Regelungen nur „verstreute Fragmente“, im Arbeitsschutz-, im Betriebsverfassungs- und zum Mutterschutzgesetz. Auch das starke Weisungsrecht des Arbeitgebers kritisierte Katja Nebe als kaum hilfreich bei der Verwirklichung von Gleichberechtigung. Dass dieser nach einer Elternzeit über einen neuen Arbeitsort befinden könne, erschwere die Rückkehr und führe zu Diskriminierung. „Wir haben zu wenige Rechte, um besondere Bedarfe geltend zu machen“, schloss Nebe.  

Die Rassismusforscherin Noa K. Ha ergänzte die Debatte um einen empirischen Blick aus dem Deutschen Zentrum für Integrations- und Migrationsforschung (DeZIM), dessen wissenschaftliche Geschäftsführerin sie ist. „Vom Armutsrisiko über das Berufsprestige bis zum Haushaltseinkommen sind schwarze, asiatische und muslimische Menschen benachteiligt“, erklärte sie. Betrachtet man das monatliche Haushaltseinkommen, liegt der größte Unterschied zwischen muslimischen und „nicht rassifizierten“ Männern – 1164 Euro beträgt dieser im Durchschnitt. Bei Frauen liegt die größte Differenz mit 951 Euro zwischen schwarzen und nicht rassifizierten Frauen. „Wie groß die Unterschiede sind, hat auch uns überrascht,“ erklärte Noa K. Ha. Johanna Wenckebach, die bis Ende 2023 das HSI leitete und nun das Justiziariat der IG-Metall-Vorstand leitet, appellierte an Rechtsanwält*innen und Rechtswissenschaft, handlungsfähiger zu werden. Anders als Rasse sei Rassismus kein juristischer Begriff: „Es ist wichtig, ihn in die Rechtspraxis zu überführen.“ Gewerkschaften seien bei der Bekämpfung rassistisch begründeter Ungleichheiten „superaktiv“. 

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Das zeigte auch das Abschlusspodium zu der Frage „Wie kann eine demokratische und gerechte Transformation gelingen?“ Serdal Sardas vom Verdi-Migrationsausschuss berichtete, wie er erster Amazon-Betriebsratsvorsitzender am Standort Wunstorf bei Hannover wurde; in einem Verteilzentrum, in dem die meisten Beschäftigten aus ganz verschiedenen Ländern nach Deutschland geflüchtet sind. Mit Broschüren in 14 Sprachen und vielen vertrauensbildenden Maßnahmen habe man zunächst einmal das Modell Betriebsrat vermittelt, erklärte Sardas: „Viele haben ja nie eine demokratische Wahl erlebt, und Angst, dass das, was sie wählen, irgendwem gemeldet wird.“ So entstand eine Verdi-Liste mit Menschen verschiedener Herkünfte, die dann oft Sprachrohr ihrer Communities wurden. Einem afrikanischstämmigen Betriebsrat sei allerdings kurz darauf der Vertrag nicht verlängert worden. 

„Wir brauchen mehr Demokratie in Betrieben, gerade in diesen Zeiten, dafür auch Gesetzänderungen.“

Für die IG-Metall-Vorsitzende Christiane Benner einer von vielen Gründen, die Behinderung von Betriebsräten in Paragraf 119 Betriebsverfassungsgesetz „endlich zum Offizialdelikt“ zu machen: „Wir brauchen mehr Demokratie in Betrieben, gerade in diesen Zeiten, dafür auch Gesetzänderungen.“ Benner machte sich auch für die in dem gewerkschaftlichen Entwurf für ein modernes Betriebsverfassungsgesetz verankerten Demokratiezeiten stark: Eine Stunde in der Woche sollen die Beschäftigten von der Arbeit freigestellt werden, um über ihre Arbeitsbedingungen oder aktuelle gesellschaftliche Themen zu sprechen. Die Arbeitgeber seien in der Verantwortung, die transformatorischen Herausforderungen Klimawandel, Digitalisierung und demografischer Wandel „ökologisch und sozial und demokratisch“ zu stemmen, appellierte Benner. 

„Wir machen keinen schlechten Job“ erwiderte Steffen Kampeter, Hauptgeschäftsführer der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände; vor allem sei man weiter als in der „politischen Sphäre“. Zugleich führe der Satz „Wir brauchen leistungsfähige kooperative Mitbestimmungsprozesse“ bei ihm zu keinerlei „Störgefühl“. Den Strukturwandel malte Kampeter indes als folgenreichen Prozess aus, über den am Ende vielleicht doch am besten nur die Chefs entscheiden. „Unternehmen werden schließen, Standorte in Deutschland nicht zu halten sein.“ Es gelte „harte Konflikte zu managen“, und: „Eigentümerverantwortung bleibt Eigentümerverantwortung“. 

„Zu Eigentümerverantwortung gehört Mitbestimmung. Das eine geht nicht ohne das andere“ – Jutta Allmendinger schlug sich klar auf die Seite Benners. Den Arbeitgebern warf die Präsidentin des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung vor, sich zu wenig zu engagieren, damit Beschäftigte mit der Transformation mithalten und im Zweifel neue Perspektiven finden. „Es geht nicht nur um Weiterbildung, sondern auch um Umschulungen, um zweite, dritte, vierte Ausbildungen. Das ist das, wo wir keine Antworten finden.“ In Zeiten, in denen vieles unsicher geworden sei – nicht zuletzt der eigene Job – attestierte Allmendinger der Gesellschaft eine gewisse „Erschöpfung“. Wichtig sei, dass Menschen in ihren individuellen Problemen adressiert würden. 

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