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HBS Böckler Impuls

Arbeitsrecht: Bessere Gesetze für gute Arbeit

Ausgabe 17/2019

Beim Zusammenspiel von Arbeits- und Sozialrecht hapert es an vielen Stellen. Ein Gutachten der Hans-Böckler-Stiftung zeigt, wo nachgebessert werden muss.

In Deutschland sind Arbeits- und Sozialrecht getrennt: Es gibt separate Gesetzbücher und Gerichtsbarkeiten. Das sei im internationalen Vergleich eher ungewöhnlich, schreiben Olaf Deinert, Elena Maksimek und Amélie Sutterer-Kipping, Rechtswissenschaftler an der Universität Göttingen, in ihrer beim Hugo Sinzheimer Institut der Hans-Böckler-Stiftung erschienenen Studie. Die Rechtspolitik müsse stets berücksichtigen, dass beide Gebiete nur zusammen funktionieren. Doch in der Praxis geschehe das oft nicht. In der Folge komme es zu Fehlanreizen, die die gewünschte Wirkung von Gesetzen konterkarieren. Um das zu vermeiden, sei ein „ganzheitliches Konzept einer arbeits- und sozialrechtlichen Rechtspolitik“ nötig.


Wie eine solche Politik aussehen könnte, haben die Autoren für die Themen „Atypische Beschäftigung“, „Diskontinuierliche Erwerbsbiografien“ und „Schwächung der Tarif­autonomie“ exemplarisch untersucht. Dabei sind sie davon ausgegangen, dass Fehlentwicklungen im Arbeitsrecht grundsätzlich auch dort behoben und nicht „durch sozialrechtliche Symptombehandlungen unsichtbar gemacht“ werden sollten. Für die Kosten von privatem Wirtschaften dürfe nicht die Allgemeinheit aufkommen.


Teilzeit:


Unstimmigkeiten zwischen Arbeits- und Sozialrecht haben die Juristen unter anderem im Hinblick auf Teilzeit ausgemacht. Aus arbeitsmarktpolitischer Sicht sei diese mitunter wünschenswert: Wenn Beschäftigte etwa ihre Arbeitszeit vorübergehend verkürzen, um sich fortzubilden, profitiere davon auch die Gesellschaft, indem Arbeitslosigkeit vermieden und die Sozialversicherung entlastet wird.Sozialrechtlich werde das aber nicht honoriert; vielmehr entstehen Teilnehmern von Bildungsteilzeit Nachteile bei der Rente, weil sie weniger Entgeltpunkte erwerben. Deinert, Maksimek und Sutterer-Kipping plädieren dafür, diesen Ausfall aus Steuermitteln zu ersetzen. Wenn Bildungsteilzeit auch betrieblichen Zwecken dient, sollte der Arbeitgeber für den Ersatz der Entgeltpunkte aufkommen.


Minijobs:


Die Vorstellung des Gesetzgebers, dass Minijobs eine Brücke in sozialversicherungspflichtige Beschäftigung darstellen, habe sich nicht bestätigt, so die Experten. Stattdessen bewirke die „Einpreisung von Abgabenprivilegien“ eine Wettbewerbsverzerrung am Arbeitsmarkt. Das Ergebnis sei eine massive Zunahme prekärer Beschäftigung, die „Dellen“ in der Erwerbs- und Rentenbiografie der Betroffenen hinterlässt. Die Empfehlung: Mit Ausnahme von Bagatellbeschäftigungen bis 175 Euro sollte die Versicherungsfreiheit beseitigt werden.


Befristete Beschäftigung:


Auch befristete Beschäftigung ist dem Gutachten zufolge mit klaren sozialrechtlichen Nachteilen verbunden: Lücken in der Erwerbsbiografie beeinträchtigten die Rentenanwartschaften und führten dazu, dass die Betroffenen keinen Anspruch auf Arbeitslosengeld I erwerben. Für die Integration in die Sozialsysteme sei stabile Beschäftigung nötig. Befristung müsse daher eine Ausnahme darstellen und sollte als Brücke in unbefristete Beschäftigung fungieren. Die Rechtswissenschaftler empfehlen unter anderem, sachgrundlose Befristungen abzuschaffen und Befristungsketten gesetzlich auszuschließen. Wenn es nach dem Auslaufen eines befristeten Arbeitsvertrags keine Anschlussbeschäftigung gibt, sollte eine „Prekaritätsprämie“ fällig werden, die der Arbeitgeber zahlen muss.


Aufstocker:


In Sachen Aufstocker machen die Gutachter ebenfalls rechtliche Inkonsistenzen aus. Aus der Grundsicherung eine Kombilohnfinanzierung zu machen, sei mit dem deutschen Sozialmodell nicht vereinbar. Indem Unternehmen Hartz-IV-Leistungen „einpreisen“, werde der Niedriglohnsektor aufgebläht. Ein wirksames Gegenmittel wäre nach Ansicht der Juristen ein Aufstockungsbonus in Höhe je eines Monatsgehalts, der Arbeitgebern und Arbeitnehmern zusteht, wenn es gelingt, den Grundsicherungsbezug durch stete Erhöhung der Vergütung innerhalb von zwei Jahren zu beenden.


Soloselbstständige:


Traditionell wird der Untersuchung zufolge davon ausgegangen, dass abhängig Beschäftigte den Schutz durch Arbeits- und Sozialrecht brauchen, Selbstständige nicht. Für viele Soloselbstständige, die nicht von ihrer Arbeit leben können, gelte das nicht mehr. Hier wäre es in erster Linie sinnvoll, kollektivrechtliche Regelungen zu ermöglichen. Im Übrigen brauche es eine gesetzliche Mindestvergütung für Soloselbstständige sowie eine Pflichtmitgliedschaft in der gesetzlichen Renten-, Kranken- und Pflegeversicherung. An den Beiträgen sollten Auftraggeber durch eine Sozialversicherungsabgabe paritätisch beteiligt werden.


Renten:


Auskömmliche Renten setzten entsprechende Arbeitsverhältnisse voraus, schreiben Deinert, Maksimek und Sutterer-Kipping. Bei teilweiser Erwerbsminderung könnten die finanziellen Nachteile für die Betroffenen gelindert werden, indem man ihnen einen Anspruch darauf einräumt, die Arbeitszeit an ihre verbliebene Leistungsfähigkeit anzupassen. Zudem sollte der Gesetzgeber ausschließen, dass eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung zum Anlass genommen wird, das Arbeitsverhältnis zu beenden. Wenn es um reguläre Altersrenten geht, stelle das Flexirentengesetz, das zusätzliche Entgeltpunkte durch Weiterarbeiten ermöglicht, grundsätzlich einen guten Ansatz dar. Allerdings sei es mit dem Arbeitsrecht nicht hinreichend abgestimmt: Bislang habe es allein der Arbeitgeber in der Hand, über den flexiblen Rentenzugang zu entscheiden.


Weiterbildung:


Weiterbildung, so die Autoren, habe angesichts des Wandels der Arbeitswelt enorme Bedeutung: Einträgliche Arbeit, die Altersarmut ausschließt, sei nur durch lebenslanges Lernen zu erreichen. Dank dem Qualifizierungschancengesetz werde Weiterbildung im bestehenden Arbeitsverhältnis mittlerweile durch die Bundesagentur für Arbeit gefördert. Der sozialrechtlichen Förderung fehle aber noch die arbeitsrechtliche Flankierung. Die Wissenschaftler sprechen sich unter anderem für ein Recht auf „Brückenteilzeit Null“ zu Bildungszwecken sowie eine Prämie für Arbeitgeber, die Weiterbildung über die gesetzliche Verpflichtung hinaus ermöglichen, aus.


Tarifsystem:


Abschließend weisen Deinert, Maksimek und Sutterer-Kipping darauf hin, dass ein funktionierendes Tarifsystem eine „elementare Grundbedingung für die Stabilität der sozialen Sicherungssysteme“ ist. Um die Tarifautonomie zu stärken, sollte der Gesetzgeber unter anderem sogenannte Spannenklauseln in Tarifverträgen erlauben, die bestimmte Vorteile von der Mitgliedschaft in einer Gewerkschaft abhängig machen. Zudem wäre es hilfreich, bestimmte Tarifverträge per staatlicher Erweiterungserklärung  allgemeinverbindlich zu machen.

Olaf Deinert, Elena Maksimek, Amélie Sutterer-Kipping: Die Rechtspolitik des Sozial- und Arbeitsrechts, HSI-Schriftenreihe Band 30, November 2019

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