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Systemrelevant Podcast: Mitbestimmung: Schlüssel zur Stärkung der Tarifbindung?

HSI-Direktorin Johanna Wenckebach spricht über den Zusammenhang zwischen Mitbestimmung und Tarifbindung und warum sie skeptisch auf die Reformpolitik der Ampel-Koalition blickt.

[1.9.2023]

„Wir wollen die Tarifautonomie, die Tarifpartner und die Tarifbindung stärken, damit faire Löhne in Deutschland bezahlt werden […]“, so die Vereinbarung, die mit dem Koalitionsvertrag der Bundesregierung vereinbart wurde. Was ist seit 2021 geschehen?

Es scheint, dass es seit Unterzeichnung des Koalitionsvertrages nur begrenzte Fortschritte bei der Umsetzung des Vorhabens gab, die Mitbestimmung und Tarifbindung zu stärken. HSI-Direktorin Johanna Wenckebach äußert sich in unserer neuen Podcast-Sommerfolge nicht gerade optimistisch über die Aussicht auf eine erfolgreiche Umsetzung durch die Regierung. Die Mitbestimmung und die Tarifbindung sind in der Defensive, und es gibt immer weniger Beschäftigte, die durch einen Betriebsrat vertreten werden, obwohl das Gesetz es vorsieht. Ebenso nimmt die Tarifbindung kontinuierlich ab, wodurch weniger als die Hälfte der Beschäftigten in Deutschland mit einem Tarifvertrag arbeiten, berichtet Wenckebach.

Dabei schafft betriebliche Mitbestimmung Strukturen, die auch die Tarifbindung stärken können. Wenckenach betont, dass Betriebsräte ein erster Schritt zur Demokratisierung des Betriebs und zur Organisierung von Interessen sind. "Wenn sich eine Belegschaft auf den Weg macht, einen Tarifvertrag einzufordern, ist der erste Schritt oft ein Betriebsrat. Der ermöglicht Rechte und Interessenvertretung und Strukturen, um dann auch Tarifthemen zu diskutieren", so die HSI-Direktorin.

Einige Vorschläge, um Mitbestimmung und Tarifbindung zu stärken, sind u.a. leichtere Gründung von Betriebsräten, bessere rechtliche Absicherung für Initiatoren von Betriebsratswahlen und ein digitales Zugangsrecht für Betriebsräte. Eine weitere Idee ist die Bereitstellung von Zeit für den Austausch zwischen Beschäftigten und betrieblicher Interessenvertretung, um demokratische Strukturen zu stärken und gewerkschaftliches Handeln zu ermöglichen.

Dr. Irene Becker hat in ihrer von der Hans-Böckler-Stiftung geförderten Studie ein angemessen hohes soziokulturelles Existenzminimum berechnet und festgestellt, dass das Niveau der Kindergrundsicherung je nach Alter der Kinder um 6 bis 30 Prozent höher sein müsste als nach der gesetzlichen Bedarfsermittlung.

Beckers Reformvorschlag sieht vor, die Konsumausgaben der gesellschaftlichen Mitte als Bezugspunkt zu nehmen. So wäre es nach Analyse der Armutsexpertin etwa plausibel, soziokulturelle Teilhabe als gerade noch gegeben zu definieren, wenn Haushalte bei den Ausgaben für Grundbedürfnisse wie Ernährung, Bekleidung und Wohnen nicht mehr als 25 Prozent und bei sonstigen Bedürfnissen nicht mehr als 40 Prozent von der Mitte nach unten abweichen. Damit lebt die Referenzgruppe zwar deutlich unter der gesellschaftlichen Mitte, hätte aber noch mehr Teilhabemöglichkeiten als bei der bisherigen Berechnung, die den Kindern und damit letztlich der gesamten Gesellschaft schadet.

Moderation: Marco Herack

Weitere Informationen

Unser Update für das Betriebsverfassungsgesetz - Systemrelevant Folge 98 mit HSI-Direktorin Johanna Wenckebach

Eine Betriebsverfassung für das 21. Jahrhundert – Fachleute legen Gesetzesvorschlag vor, Pressemitteilung vom 06.04.2022

Alle Informationen zum Podcast

In Systemrelevant analysieren führende Wissenschaftler:innen der Hans-Böckler-Stiftung gemeinsam mit Moderator Marco Herack, was Politik und Wirtschaft bewegt: makroökonomische Zusammenhänge, ökologische und soziale Herausforderungen und die Bedingungen einer gerechten und mitbestimmten Arbeitswelt – klar verständlich und immer am Puls der politischen Debatten.

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