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Thorben Albrecht in HANS 3 über den Aufbruch der Ampelkoalition Service aktuell

Ampelkoalition: Ein Aufbruch, der nicht auf halbem Weg stecken bleiben darf

Was bisher durch die Ampel in Bewegung gekommen ist, wo mit Elan gestartet wurde und wo es aber auch noch mehr Mut zum Aufbruch bräuchte, erläutert Thorben Albrecht, Leiter Grundsatzfragen und Gesellschaftspolitik der IG Metall.

[31.1.2022]

„Mehr Fortschritt wagen, Bündnis für Freiheit, Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit“ – bereits der Titel des Koalitionsvertrags der neuen Bundesregierung beschwört Aufbruchsstimmung. Und tatsächlich ist durch die Ampel etwas in Bewegung gekommen: Die große Herausforderung unserer Zeit, die gesellschaftliche und wirtschaftliche Transformation durch Dekarbonisierung, Digitalisierung und veränderte globale Rahmenbedingungen, soll durch staatliches Handeln aktiv gestaltet werden.

Die Bundesregierung startet mit Elan und sichert für die nächsten Jahre die nötigen Investitionen, indem die pandemiebedingten Verschuldungsmöglichkeiten für eine aktive Industrie- und Dienstleistungspolitik genutzt werden. Mit dem Gesetzentwurf zur Erhöhung des Mindestlohns auf 12 Euro wurde ein zentrales Wahlkampfversprechen unverzüglich eingelöst. Auch die Pläne der Regierung, Weiterbildung stärker zu fördern und die Qualifizierung in der Arbeitsmarktpolitik zu stärken, können dazu beitragen, die vor uns liegenden Umbrüche im Sinne der Beschäftigten zu gestalten.

Mehr Mut zum Aufbruch wünsche ich mir hingegen für die Mitbestimmung. Zwar werden längst bekannte skandalöse Probleme wie die häufige Straffreiheit bei der Ver- und Behinderung von Betriebsratswahlen oder die Umgehung der Unternehmensmitbestimmung durch zweifelhafte Konstruktionen im Rahmen der europäischen Aktiengesellschaft (SE) angegangen, und auch das digitale Zugangsrecht wird den Gewerkschaften endlich gewährt. Aber substantielle Verbesserungen für Betriebsräte und Arbeitnehmervertretungen in Aufsichtsräten sucht man im Koalitionsvertrag vergebens.

Dabei stehen gerade jetzt in vielen Unternehmen strategische Entscheidungen über die künftige Ausrichtung an. Neue Produkte und Geschäftsmodelle sind ebenso gefragt wie die Qualifizierung der Belegschaften. Viele Beschäftigte sind verunsichert: Ihre Arbeitgeber verbreiten in Zeiten des Umbruchs allzu häufig keine Aufbruchsstimmung, sondern drohen mit Abbruch – oder Verlagerung. Umso wichtiger ist es, das Know-how von Beschäftigten und Gewerkschaften einzubeziehen und ihnen Mitsprache zu ermöglichen.

Dass sich die Koalitionäre schließlich weigern, über einen höheren Beitrag von Spitzenverdiener:innen und reichen Erb:innen zu den anstehenden Aufgaben auch nur nachzudenken, könnte den Aufbruch ebenfalls bremsen. Denn weder die notwendigen öffentlichen Investitionen noch eine wirkliche Aufwertung von sozialen Dienstleistungen werden so langfristig zu finanzieren sein. Mehr soziale Gerechtigkeit rückt damit leider auch in weite Ferne. Noch bleibt Zeit zum Nachsteuern – damit der Aufbruch nicht auf halbem Weg stecken bleibt.

Thorben Albrecht ist Leiter der Abteilung Grundsatzfragen und Gesellschaftspolitik beim Vorstand der IG Metall und seit diesem Jahr Mitglied im Vorstand der Hans-Böckler-Stiftung.

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