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Magazin Mitbestimmung

: Warum Betriebsräte weder benachteiligt noch begünstigt werden dürfen

Ausgabe 01+02/2007

Mit seinem Geständnis Mitte Januar vor dem Landgericht Braunschweig hat sich der ehemalige VW-Arbeitsdirektor Peter Hartz der Begünstigung des Betriebsrates für schuldig bekannt. Im Verfahren spielten auch die Paragrafen 78 und 119 des Betriebsverfassungsgesetzes eine prominente Rolle.



Von Michael Bachner
Dr. Bachner, Fachanwalt für Arbeitsrecht, ist Partner der Kanzlei schneider:schwegler rechtsanwälte in Frankfurt am Main.
bachner@schneider-schwegler.de



Mitte Januar stand der ehemalige VW-Arbeitsdirektor Peter Hartz vor Gericht und bekannte sich unter anderem des Verstoßes gegen das Betriebsverfassungsgesetz schuldig, das die Begünstigung von Betriebsräten verbietet. Weitere Verfahren - unter anderem gegen den Vorsitzenden des Betriebsrats Klaus Volkert - werden wohl bald folgen.

Bisweilen wird von interessierter Seite allerdings auch der Eindruck erweckt, als sei dieser Vorgang ein flächendeckendes Problem, als seien eine Vielzahl von Mitgliedern in Betriebsräten und Arbeitnehmervertretern in Aufsichtsräten korrumpiert und Betriebsratsarbeit überhaupt nur ein Vehikel zur Erzielung persönlicher Vorteile. Wie ein Blick in die Praxis der Arbeitsgerichte zeigt, ist das Gegenteil der Fall.

Betriebsräte und deren Mitglieder sind bei der Ausübung ihrer Amtsgeschäfte vielfältigen Formen der Behinderung ausgesetzt. Der Gesetzgeber hat deshalb die "Gewährleistung einer ungestörten und unbeeinflussten Amtsausübung des Betriebsrats und seiner Mitglieder" (vgl. Däubler-Kittner-Klebe/Buschmann § 78 Rn. 4) zum Gegenstand verschiedener gesetzlicher Regelungen gemacht und so auf typische Gefährdungssituationen reagiert, die sich aus der Betriebsratstätigkeit ergeben können - siehe Kasten.

Das Verbot der Behinderung der Betriebsratsarbeit

§ 78 S. 1 BetrVG enthält das Verbot der Behinderung betriebsrätlicher Tätigkeit. Dadurch soll sowohl die vorschriftsmäßige Tätigkeit des Betriebsrats als Gremium als auch die der einzelnen Mitglieder geschützt werden. Eine Behinderung ist jede objektive Störung, Erschwerung oder Verhinderung der Betriebsratstätigkeit. Das Verbot richtet sich gegen jedermann, also nicht nur gegen den Arbeitgeber, sondern auch gegen Arbeitnehmer - auch das kommt in der Praxis vor - oder auch außerbetriebliche Stellen (Fitting § 78 Rn. 7). Anders als bei einer Bestrafung nach § 119 kommt es bei § 78 auf ein Verschulden nicht an (BAG 12.11.1997 EzA § 23 BetrVG 1972 Nr. 38).

Diese Behinderung nimmt in der Praxis die unterschiedlichsten Formen an. Von der bewussten und wiederholten Missachtung der Beteiligungsrechte des Betriebsrats, der Verhinderung bzw. Behinderung von Betriebsratssitzungen oder Betriebs- und Abteilungsversammlungen, der betriebsöffentlichen Empfehlung des Arbeitgebers, eine Betriebsversammlung nicht zu besuchen, der Gewährung von Zusatzurlaub für den Nichtbesuch einer Betriebsversammlung, der Ablehnung der erforderlichen Räume und sachlichen Mittel für die Betriebsratstätigkeit, dem eigenmächtigen Entfernen von Betriebsratsinformationen und -anschlägen vom Schwarzen Brett, der Errichtung von Konkurrenzorganen zum Betriebsrat, der unbefugten Öffnung der Betriebsratspost bis hin zu der Bedrohung mit Auslandsverlagerung bei "überzogener" Ausübung von Beteiligungsrechten oder gar der Ausübung körperlicher Gewalt gegen Betriebsratsmitglieder - es gibt wenig, mit dem sich die Arbeitsgerichte noch nicht beschäftigen mussten (ausführliche Nachweise zur Rechtsprechung finden sich bei Däubler-Kittner-Klebe/Buschmann § 78 Rn. 14).

Benachteiligungen von Betriebsräten müssen nicht folgenlos bleiben. Von großer praktischer Bedeutung ist deshalb für Betriebsräte vor allem, dass Verstöße gegen das Behinderungsverbot Unterlassungsansprüche sowohl des Betriebsrats wie auch seiner einzelnen Mitglieder auslösen. Gegebenenfalls kann auch eine einstweilige Verfügung erwirkt werden. Dies kann schon deshalb ein durchschlagendes Mittel sein, weil der Ordnungsgeldrahmen bei Zuwiderhandlung bis zu 250.000 Euro reicht. 

Gleichbehandlung aller Arbeitnehmer

Das Verbot der Benachteiligung oder Begünstigung von Betriebsratsmitgliedern soll sicherstellen, dass die Betriebsratsmitglieder bei ordnungsgemäßer Tätigkeit nicht anders behandelt werden als die anderen Arbeitnehmer (Fitting § 78 Rn. 14). Dabei ist die Benachteiligung nach wie vor der Regelfall, wenngleich - wie bereits ausgeführt - im Zuge der VW-Affäre mitunter versucht wird, Betriebsräte pauschal zu diskriminieren und unter generellen Korruptionsverdacht zu stellen. Auch dieses Verbot richtet sich - wie schon das Verbot der Behinderung der Betriebsratsarbeit - nicht nur gegen den Arbeitgeber, sondern gegen jedermann.

Eine Benachteiligung ist jede Schlechterstellung im Verhältnis zu anderen vergleichbaren Arbeitnehmern, die nicht aus sachlichen Erwägungen, sondern wegen der Amtstätigkeit erfolgt (vgl. Erfurter Kommentar, § 78 Rn. 7). Als Begünstigung gilt die sachlich nicht gerechtfertigte Besserstellung eines Betriebsratsmitglieds.

Durch das Begünstigungsverbot soll verhindert werden, dass Betriebsräte oder einzelne seiner Mitglieder durch Gewährung besonderer Vorteile ihrer gesetzlichen Aufgabe zulasten der Beschäftigten nicht mehr nachkommen. Im Grunde geht es um Bestechlichkeit bzw. Käuflichkeit, etwa durch die Gewährung besonderer finanzieller Zuwendungen oder die Zahlung überhöhter Entschädigungen für Auslagen oder Reisekosten. Entsprechende Verträge, die die Vorteilsgewährung "regeln", sind wegen Verstoßes gegen ein gesetzliches Verbot natürlich unwirksam.

Das Begünstigungsverbot rechtfertigt aber nicht den Ausschluss eines Betriebsratsmitglieds von Vergünstigungen, die nur Mitgliedern eines bestimmten Kreises vergleichbarer Arbeitnehmer zugänglich sind. Dann handelt es sich in der Sache um eine Benachteiligung des Betriebsratsmitglieds. Der häufigste Fall der Benachteiligung von Betriebsratsmitgliedern ist wohl die Schlechterstellung im Einkommen und im Hinblick auf die berufliche Entwicklung.

Hierzu enthält denn das Betriebsverfassungsgesetz auch eine spezielle Schutzregelung (§ 37 Abs. 5 BetrVG), die sich in der Praxis allerdings wegen der hohen Anforderungen, die die Arbeitsgerichte stellen, leider als relativ stumpfe Waffe erweist. Im Übrigen findet sich in der Rechtsprechung (ausführlich Däubler-Kittner-Klebe/ Buschmann, § 78 Rn. 19) ein ganzer Strauß unterschiedlichster Formen der Benachteiligung von Betriebsratsmitgliedern.

Der Bogen reicht von der Kündigung des Betriebsratsmitgliedes wegen der Betriebsratstätigkeit oder der Versetzung auf einen geringer bezahlten Arbeitsplatz, dem Ausschluss von besonderen Zuwendungen oder Vergünstigungen bis hin zum Aushang von "Fehlzeiten" des Betriebsratsmitglieds wegen der Betriebsratstätigkeit oder der Teilnahme an Betriebsratslehrgängen.

Der Straftatbestand des § 119 BetrVG

§ 119 BetrVG wertet eine Reihe von Verstößen gegen das BetrVG als Straftaten. Die Bestimmung knüpft unmittelbar an § 78 BetrVG an. Deshalb stellt das Gesetz unter anderem unter Strafe, wenn die Tätigkeit des Betriebsrats behindert oder gestört wird (Ziff. 2) oder aber ein Mitglied oder ein Ersatzmitglied des Betriebsrats um seiner Tätigkeit willen benachteiligt oder begünstigt wird (Ziff. 3). Auch diese Bestimmung richtet sich an jedermann, nicht nur an den Arbeitgeber. Straftaten dieser Art werden allerdings nur auf Antrag verfolgt. Antragsberechtigt ist der Betriebsrat wie auch eine im Betrieb vertretene Gewerkschaft.

Die Erfahrung der vergangenen Jahre hat jedoch gezeigt, dass im Falle der Behinderung von Betriebsräten oder der Benachteiligung seiner Mitglieder entweder der vorgegebene Strafrahmen nicht ausreichend ist oder aber die vorliegende Strafbestimmung in der Praxis von den zuständigen Stellen nicht so gehandhabt wird, wie es der Gesetzgeber gewollt hat. Verstöße gegen das Betriebsverfassungsgesetz, auch solche grober Art, sind sehr häufig zu verzeichnen. Dennoch wurden in der Vergangenheit die Verfahren oft eingestellt (vgl. Däubler-Kittner-Klebe/Trümner § 119 Rn. 2).

Klare Spielregeln

Schwarze Schafe gibt es überall, selbstverständlich auch unter Betriebsräten. Gerade das zeigen - wenn sich die Beschuldigungen als zutreffend erweisen - die Vorgänge bei VW überaus deutlich, aber eben auch nur das. Ein Blick in die Rechtsprechung und die juristische Kommentarliteratur macht demgegenüber deutlich: Fälle dieser Art sind nicht die Spitze eines Eisbergs, wie mancherorts gemutmaßt wird, sie sind die unrühmliche Ausnahme von der Regel.

Und die Regel lautet leider noch immer viel zu häufig: Wer sich im Betriebsrat engagiert, der nimmt nicht nur in Kauf, dass er Freizeit und Zeit mit der Familie opfert (Betriebsratsarbeit ist eben auch Ehrenamt), sondern er muss oftmals leider auch mit Benachteiligungen bis hin zum Ausschluss von Einkommen und beruflichem Aufstieg rechnen.

Gleichwohl: In der betrieblichen Praxis gibt es auch Grauzonen, die weit unterhalb der Schwelle der Wolfsburger Verfehlungen liegen, aber eben doch die Grenzen in Richtung der Begünstigung von Betriebsratsmitgliedern überschreiten können. Hier ist Vorsicht geboten und es sind zwei Spielregeln einzuhalten. Die erste und wichtigste lautet: Transparenz und Offenheit - und zwar nach innen (ins Gremium) wie auch nach außen.

Die zweite Spielregel lautet: Diskussion des Rollenverständnisses im Gremium und eine einheitliche Vorgehensweise, also keine "Extrawürste", wenn sie nicht sachlich zu rechtfertigen sind. Eine Vergütung, die an Position und Verantwortung des Betriebsratsmitglieds und dem dahinter stehenden tatsächlichen Arbeitsaufwand anknüpft, ist immer vertretbar. Betriebsratsarbeit ist einer Managementaufgabe eben in vielen Fällen vergleichbar.

Zweifelhaft sind demgegenüber verdeckte Vergütungen, die sich etwa in erhöhten oder ungerechtfertigten Reisespesen wiederfinden können. Dahinter verbergen sich in aller Regel unmoralische Angebote. Eine einheitliche Vorgehensweise wird auch gewährleistet, wenn zwischen dem Betriebsratsgremium und dem Arbeitgeber diesbezüglich eine schriftliche Vereinbarung (Regelungsabrede) getroffen wird. Diese kann auch offengelegt werden.


 

Was im Betriebsverfassungsgesetz steht
§ 78 BetrVG Schutzbestimmungen: Die Mitglieder des Betriebsrats (...) dürfen in der Ausübung ihrer Tätigkeit nicht gestört oder behindert werden. Sie dürfen wegen ihrer Tätigkeit nicht benachteiligt oder begünstigt werden; dies gilt auch für ihre berufliche Entwicklung.

§ 119 BetrVG Straftaten gegen Betriebsverfassungsorgane und ihre Mitglieder: (1) Mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer

1. eine Wahl des Betriebsrats (...) behindert oder durch Zufügung oder Androhung von Nachteilen oder durch Gewährung oder Versprechen von Vorteilen beeinflusst,

2. die Tätigkeit des Betriebsrats (...) behindert oder stört, oder

3. ein Mitglied oder ein Ersatzmitglied des Betriebsrats, (...) um seiner Tätigkeit willen benachteiligt oder begünstigt.
(2) Die Tat wird nur auf Antrag des Betriebsrats (...) des Unternehmers oder einer im Betrieb vertretenen Gewerkschaft verfolgt.

Auch Art. 7 der europäischen RL 2002/14/EG zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Unterrichtung und Anhörung der Arbeitnehmer in der EG (vom 11.3.2002) bestimmt Vergleichbares: Die Mitgliedstaaten tragen dafür Sorge, dass die Arbeitnehmervertreter bei der Ausübung ihrer Funktion einen ausreichenden Schutz und ausreichende Sicherheiten genießen, die es ihnen ermöglichen, die ihnen übertragenen Aufgaben in angemessener Weise wahrzunehmen.

 

Zum Nachschlagen
Wolfgang Däubler/Michael Kittner/Thomas Klebe (Hrsg.): Betriebsverfassungsgesetz mit Wahlordnung. Kommentar für die Praxis. 10. Auflage, Frankfurt am Main, Bund-Verlag

Karl Fitting/Heinrich Kaiser/Friedrich Heither u.a.: Betriebsverfassungsgesetz - Handkommentar. 23. Auflage, München, Verlag Franz Vahlen

Thomas Dieterich/Rudi Müller-Glöger/Ulrich Preis/Peter Hanau: Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht. 7. Auflage, München, Beck Juristischer Verlag

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