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Magazin Mitbestimmung

Von MARTIN KALUZA: Palästinensischer Clubsound

Ausgabe 03/2017

Das politische Lied Grenzen überwinden, Menschen einander näherbringen. Das will 47Soul. Die Musiker leben verstreut. Was sie eint, ist die palästinensische Abstammung.

Von MARTIN KALUZA

Vier Musiker laufen durch die Straßen Londons. Dazu läuft eine Mischung aus treibenden Beats, arabischem Dabke-Tanz und Synthesizer-Hooklines, aus englischem und arabischen Gesang und Rap. „Shamstep“ nennt die Band 47Soul ihre Musik, ein neues Genre. Das „Sham“ steht für die Region Bilad asch-Scham, einen Kulturraum, der hierzulande als Großsyrien oder Levante bekannt ist.

Das ist die Heimat des Dabke, eines traditionellen Tanzes. Sham ist eine Quelle dieser Musik.  Die Silbe „-step“ zeigt, dass die Musik einen zweiten Anker in der britischen Clubkultur hat – seit 15 Jahren wird diese Endung an allerlei Teilströmungen der elektronischen Musik angehängt. Die Band ist in zwei Welten zu Hause, und in beiden kommt ihre Musik an. Die Songs von 47Soul werden in Damaskus gespielt, in der Westbank und in Amman. In Großbritannien füllen 47Soul bereits mittelgroße Clubs, auch auf dem Glastonbury-Festival sind die vier Musiker schon aufgetreten.

Als 47Soul in Berlin 2016 ihr erstes Deutschland-Konzert geben, tanzt die arabische Community neben Berliner Hipstern. Die Band wäre schon viel früher nach Berlin gekommen, gäbe es da nicht das Problem mit den Visa. Alle vier Musiker sind palästinensischer Abstammung – doch sie haben drei verschiedene Pässe. Percussionist Tareq Abu Kwaik und Gitarrist Hamsa Arnaout sind in Amman, der Hauptstadt Jordaniens aufgewachsen. Keyboarder Ramzy Suleiman wurde als Sohn palästinensischer Einwanderer in Washington DC geboren. Sänger Walaa Sbeit stammt aus der Westbank.

Die Welt können sie nicht ohne weiteres gemeinsam bereisen – noch nicht einmal ihre Heimatregion. Und genau darum geht es in der Musik von 47Soul: um Bewegungsfreiheit, um Grenzen, um Checkpoints und darum, wie willkürlich einem das alles vorkommen kann. Gefunden haben sich die Bandmitglieder durch das grenzenlose Internet. Das erste Mal getroffen haben sie sich bei ihrem ersten Auftritt in Amman. Heute leben sie in London.

Der Song „Intro to Shamstep“ bringt die Idee der Band auf den Punkt. Musikalisch spannt der Track einen Bogen von Londons Clubs zu arabischen Familienfeiern. In der ersten Strophe erträumt sich der Protagonist eine Welt, in der er ohne bürokratische Hindernisse reisen kann, zurück zu den Fallaheen, den Bauern der Region. In der zweiten singt er von den Ausgewanderten, deren Verbindung nach Hause nicht abreißt und die regelmäßig Geld nach Hause schicken.

Der Refrain beginnt mit der Frage: „What’s the soul of the 47?“. Die Antwort: „Sham is the soul of the 47!“ Das ist schwärmerisch gemeint, zeigt aber auch ein gutes Stück Galgenhumor. Der Bandname ist ein Verweis auf 1947, das Jahr vor der Staatsgründung Israels und dem Ersten Nahostkrieg. Damals stand Palästina unter britischer Mandatsverwaltung, die Siegermächte des Ersten Weltkriegs hatten nach dem Untergang des Osmanischen Reiches den Nahen Osten untereinander aufgeteilt.

„Dass wir uns mit dem Bandnamen auf ein Jahr beziehen, in dem die Region noch von der britischen Kolonialmacht besetzt war, zeigt, wie schwierig die Lage heute ist“, sagt Keyboarder Ramzy Suleiman. Doch ist es nicht heikel, ausgerechnet diese Jahreszahl in den Bandnamen aufzunehmen, einen Verweis auf eine Zeit, in der Israel nicht als Staat existierte?

„Wir sind keine Gruppierung, die sich für Unabhängigkeit einsetzt oder irgendeine Flagge schwenkt“, sagt Abu Kwaik. Die Musiker betonen, dass sie eine friedliche Message haben, die niemanden ausschließt. Ihr eingängigster Song heißt „I Don’t Care Where You’re From“. Dass sie selbst in der westlichen Welt nur selten auf diese Haltung stoßen, ist auch Thema ihrer Musik. So singen 47Soul aus der Sicht derjenigen, die keinen Vertrauensvorschuss bekommen.

„Ich bin damit groß geworden, dass das Wort ‚Palästina‘ oder ‚Palästinenser‘ in den Massenmedien nur vorkam, wenn es um Terrorismus ging“, sagt der in den USA aufgewachsene Suleiman. „Heute passiert das gleiche mit ‚arabisch‘ oder ’naher Osten‘.“

Und das ist die doppelte Botschaft von 47Soul: Ihre Musik schlägt eine Brücke zwischen der westlichen und der arabischen Welt. Und sie gibt Arabern und ihrer Popkultur eine selbstbewusste Stimme im Westen: Seht her, das sind wir!

Foto: 47Soul

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