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Magazin Mitbestimmung

: INTERVIEW „Neue Finanzprodukte führen nicht zu mehr Investitionen“

Ausgabe 12/2011

Heike Joebges, Finanzmarktexpertin an der Berliner Hochschule für Technik und Wirtschaft, über die Erhöhung der Eigenkapitalquote für Banken und wie sich dies auf die Kreditvergabe auswirkt

Die Fragen stellte LUKAS GRASBERGER, Journalist in Berlin/Foto: Hans-Böckler-Stiftung

Zu Beginn der Finanzkrise haben sich deutsche Banken am US-Immobilienmarkt verzockt. Jetzt machen sie Negativschlagzeilen, weil sie zu viele Staatsanleihen halten, die massiv an Wert verlieren. Kommen die Geldinstitute ihrer eigentlichen volkswirtschaftlichen Aufgabe noch nach, Kredite für die Realwirtschaft bereitzustellen?
Das deutsche Bankensystem hat zwei recht standhafte Säulen, die öffentlich-rechtlichen Institute und die Genossenschaftsbanken. Über Sparkassen und Genossenschaftsbanken kommen kleine und mittelständische Unternehmen, die ja knapp 60 Prozent der Arbeitsplätze in Deutschland bereitstellen, gut und stabil an Kredite. Dieser Bankensektor wurde lange als antiquiert belächelt und von der EU-Kommission vehement bekämpft. In der Krise haben sich aber gerade Sparkassen, Volks- und Raiffeisenbanken sehr stark bewährt. Ihre Kreditvergabe ist weniger kapitalmarktabhängig. Vor allem deshalb konnte bisher keine Kreditklemme gemessen werden. Doch müssen auch die Sparkassen und Genossenschaftsbanken künftig nach den sogenannten Basel-III-Richtlinien mehr Eigenkapital vorhalten, der Zeitraum erstreckt sich allerdings bis 2019. Insofern wird es vermutlich auch bei Sparkassen und Genossenschaftsbanken für Unternehmen schwerer, Kredite zu bekommen.

Bedeutet mehr Eigenkapital, das die Banken künftig vorhalten sollen, um gegen Krisen besser gewappnet zu sein, automatisch weniger Mittel für Kredite?
Nein, Banken haben auch andere Möglichkeiten, diese Anforderungen zu erreichen. Nur sind diese zur Zeit wenig attraktiv oder durch die Krise verbaut. Die Kreditinstitute könnten Vermögenswerte verkaufen, etwa Staatsanleihen oder im Extremfall auch ganze Geschäftsbereiche. Doch die Frage ist, ob der Markt diese überhaupt abnimmt – und wenn, dann würden die Banken derzeit schlechte Preise erzielen. Dies gilt auch für die andere Alternative, eine Kapitalerhöhung. Wegen der Staatsschuldenkrise meiden die Anleger die Aktien und Anleihen deutscher und anderer europäischer Kreditinstitute. Wenn die Politik es schaffen würde, dass sich die grundsätzliche Skepsis gegenüber der Eurozone legt, dann wäre die Gefahr einer Kreditklemme deutlich reduziert. Dann würden etwa die Staatsanleihen in den Depots der Banken wieder im Wert steigen – und damit würde sich auch das Eigenkapital wieder erhöhen. Die Banken hätten damit wieder mehr freie Mittel, die sie als Kredite an die Realwirtschaft weiterreichen könnten.

Wie sieht es bei den großen Häusern aus? Die Commerzbank wird nach zwei Banken-Stresstests der Europäischen Bankenaufsicht EBA ihre Kapitaldecke deutlich stärken müssen. Schon hat die Bank angekündigt, keine Kredite mehr zu vergeben für Geschäfte, die keinen Bezug zum Kerngeschäft in Deutschland und Polen haben.
Das Problem für die größeren Banken ist, dass sie die strengeren Kapitalregeln aus dem Regulierungspaket Basel III bis Mitte nächsten Jahres umsetzen müssen. Zudem hat die Europäische Bankenaufsicht die Kriterien für die Stresstests kurzfristig mehrfach verändert und zuungunsten deutscher Banken verschärft. Demnach hätte etwa die Commerzbank massiven zusätzlichen Kapitalbedarf. Das Verfahren hat das Misstrauen zwischen den Banken, die sich untereinander ohnehin kaum noch Geld leihen, weiter gesteigert. Es ist zu erwarten, dass die Commerzbank, aber auch die Deutsche Bank und die Landesbanken ihre Kreditvergabe spürbar einschränken.

Welche Bereiche der Wirtschaft werden davon betroffen sein?
Spüren werden das vor allem Mittelständler und große Konzerne. Letztere haben allerdings derzeit oft bessere Bedingungen, sich am Kapitalmarkt zu finanzieren als Geldinstitute. Siemens etwa hat am Kapitalmarkt bessere Konditionen als Banken. Für den Konzern wäre es ein schlechtes Geschäft, einen Kredit aufzunehmen, wenn es auch direkt am Markt geht.

Dass Banken mehr eigenes Kapital für ihre Geschäfte vorhalten müssen, ist einer der wenigen Vorschläge, die nach der Finanzkrise tatsächlich umgesetzt wurden. Sind wir damit vorangekommen auf dem Weg zu Banken, die der Wirtschaft dienen?
Das Hauptproblem eines fehlregulierten Finanzsektors ist geblieben. Das Argument für die Deregulierung war immer, dass Unternehmen besser an Finanzmittel herankommen und leichter Investitionen tätigen können. Wir haben empirisch gesehen, dass das nicht erfolgt ist. Die Zulassung immer neuer Finanzprodukte hat ja nicht zu vermehrten realwirtschaftlichen Investitionen geführt. Für manchen Konzern war es lukrativer, am Finanzmarkt zu spekulieren, als zu investieren. Und für die Banken war die Finanzierung von Realinvestitionen unattraktiver als spekulative Finanzanlagen. Hier müssten wir grundsätzlich gegensteuern: mit steuerrechtlichen Änderungen für Unternehmen, aber auch mit einer Finanzmarktregulierung, die langfristige Anlagen belohnt und nicht das Kreditgeschäft mit Privat- und Firmenkunden benachteiligt. Das bleibt auch unter Basel III ein Problem: Wenn etwa eine Sparkasse in einer Region 1000 Kredite vergibt, muss sie dafür ein Vielfaches an Eigenkapital aufwenden als für ein verbrieftes Produkt, das auf ähnlich vielen Krediten basiert. Den politischen Willen für einen solch großen Wurf in diesem Bereich sehe ich derzeit allerdings weder in Deutschland noch international.

Zur Person

HEIKE JOEBGES, 39, ist Professorin für Allgemeine Volkswirtschaftslehre mit Schwerpunkt International Economics an der Hochschule für Technik und Wirtschaft (HTW) in Berlin. Bis 2009 arbeitete sie als Konjunkturforscherin am Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) in der Hans-Böckler-Stiftung.

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