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Porträt von Prof. Dr. Stefan Bratzel, Direktor des Center of Automotive, sitzend und redend Magazin Mitbestimmung

Strategien: „Höchste Zeit zum Aufwachen“

Ausgabe 03/2025

Wer teurer sein will als die Chinesen, muss besser sein, sagt der Autoexperte Stefan Bratzel. Er verlangt mehr Mut, um die Innovationskraft und Wettbewerbsfähigkeit zu steigern, und schlägt einen Deutschlandpakt vor. Das Gespräch führten Kay Meiners und Andreas Molitor

Fast alle Studien besagen, dass bei den Autoherstellern bis Anfang der 2030er Jahre noch einmal ein Viertel der industriellen Arbeitsplätze wegfällt. Gibt es kein Szenario, in dem der heutige Beschäftigungsstand gehalten werden kann?

So ein Szenario sehe ich nicht. Aber es kann gelingen, den Rückgang zu verlangsamen, anders gesagt: Der Arbeitsplatzabbau wird sich noch deutlich beschleunigen, wenn die deutschen Standorte und Hersteller es nicht schaffen, ihre Wettbewerbsfähigkeit deutlich zu steigern.

Wo sehen Sie die größten Defizite?

Ich sehe vor allem zwei große Themen: Innovation und Kosten. Wenn es uns nicht gelingt, innovativer und besser zu sein als der Wettbewerb, dann können wir auch nicht teurer sein. Wir müssen das Innovationstempo deutlich erhöhen. Die ausländischen Wettbewerber haben massiv aufgeholt, sind in einigen Bereichen mittlerweile an uns vorbeigezogen, beim Thema Software und KI etwa, wo wir dringend stärker werden müssen. Es ist nicht so, dass wir jetzt auf allen Feldern hinterherhinken, aber wir haben den Innovationsvorsprung eingebüßt. Zudem haben die Wettbewerber deutlich günstigere Kostenstrukturen. Insbesondere die chinesischen Hersteller werden in den nächsten Jahren Fabriken vor allem in Osteuropa bauen, einige sind schon dabei. Von dort aus werden sie uns in drei, vier Jahren herausfordern.

Momentan macht Trumps Zollpolitik den Autokonzernen die größten Sorgen.

Wir werden abwarten müssen, wie es aussieht, wenn der Rauch sich wieder gelegt hat. Aber im Grunde werden diese Zollkapriolen den Trend des „Build where you sell“ sicherlich weiter verstärken. Wir beobachten diesen Trend ja schon länger, dass ein Großteil der Wertschöpfung in den Regionen stattfindet, wo die Fahrzeuge auch verkauft werden. Der Export von Fahrzeugen wird also schwieriger, das betrifft vor allem unsere Premiumhersteller, die bislang sehr stark vom Export gelebt haben.

Haben unsere Hersteller Entwicklungen falsch eingeschätzt?

Man hätte schon vor zehn Jahren eine Batteriezellenproduktion aufbauen müssen. Das wurde versäumt. Jetzt haben wir bei Batterien einen harten Preiswettbewerb – und es gibt kaum deutsche Batterieprojekte. Volkswagen versucht es in Salzgitter, hoffentlich klappt es. Der Rückstand beträgt mehrere Jahre.

Was muss geschehen, damit unsere Hersteller wieder Innovationsführer werden?

Wir brauchen einen Deutschlandpakt. Alle gemeinsam – Hersteller und Zulieferer, Politik und Sozialpartner – müssen die wichtigen Themen wie Transformation und Wettbewerbsfähigkeit stemmen. Wir sollten uns auch überlegen, wo im vorwettbewerblichen Bereich eine Zusammenarbeit mehrerer Hersteller und Zulieferer möglich ist. Da dies das Kartellrecht tangiert, wird man auch mit der EU reden müssen. All das hätten wir schon vor Jahren machen müssen, etwa bei Betriebssystemen für die Fahrzeuge, die heutzutage ja so etwas sind wie Smartphones auf Rädern. BMW hat das mal vorgeschlagen, aber zu spät, weil jeder der drei Großen schon allein unterwegs war.

Wir brauchen einen Deutschlandpakt.“

STEFAN BRATZEL, Center of Automotive Management

Wie sehen Sie die Rolle der Politik?

Die Politik muss ihre Hausaufgaben machen, damit ein solcher Deutschlandpakt gelingen kann. Ich denke da an den Autogipfel vor anderthalb Jahren im Bundeskanzleramt zurück: Die Konzernchefs standen da, schauten sich in die Augen – und anschließend geschah genau das Gegenteil dessen, was verabredet wurde. Statt die Elektromobilität zu stärken, verschlechterte die Politik mit dem Wegfall der finanziellen Förderung die Bedingungen erheblich. Das hat Frust ausgelöst. Wir können uns eine solche Politik nicht mehr leisten.

Bei Ford in Köln stehen große Parkplätze voll mit teuren Elektroautos, die am Markt vorbei produziert wurden. Warum tun sich die deutschen Hersteller so schwer mit bezahlbaren Einsteigermodellen?

Die Produktion preisgünstiger Autos, egal ob Verbrenner oder elektrisch, ist in Deutschland aufgrund der Kostenstrukturen extrem schwer. Schon an der Produktion des Fiesta in Köln hat Ford kaum etwas verdient. Der zweite Punkt ist, dass die deutschen Hersteller relativ spät in die Elektromobilität eingestiegen sind. Für Ford gilt das besonders. Mit dem derzeit in Köln gefertigten Modell ist Ford in einem hohen Preissegment unterwegs, wo die Marke eigentlich nicht hingehört. Wie soll das funktionieren?

Was müsste sich ändern, damit hierzulande auch elektrische Einstiegsmodelle gebaut werden können?

Nötig ist eine moderne Architektur, bei der das Fahrzeugdesign von der Software her entwickelt wird. Das softwaredefinierte Fahrzeug ist gewissermaßen die Grundlage dafür, günstigere Einstiegsmodelle bauen zu können. Auch da sind wir ein bisschen spät unterwegs. Die Premiumhersteller sind jetzt dabei: BMW mit seiner Neuen Klasse, Mercedes mit dem neuen Mittelklassemodell CLA. Volkswagen wird wohl noch ein paar Jahre brauchen.

Wie schätzen Sie aktuell die Lage bei Ford ein?

Ford hat nicht mehr viele Schüsse. Die erste Option: Man wickelt Ford in Deutschland ab, und es bleiben nur die Nutzfahrzeuge, die in der Türkei produziert werden. Die zweite Option: Ford findet einen starken Partner. Aber dann verliert man einen Teil der Steuerung. Und die dritte Option, die ich mir wünschen würde: Man investiert massiv in Deutschland und Europa und bringt auch wieder Wertschöpfung hierher. Es ist aber fraglich, ob das Management dazu bereit ist. Ich sehe derzeit wirklich keinen vernünftigen Plan.

Wo Ford in Köln heute steht, stand Opel in Bochum vor gut zehn Jahren. Auf dem Gelände der ehemaligen Fabrik, die zuletzt noch 2500 Beschäftigte hatte, arbeiten heute wieder 6000 Leute. Was können wir aus dem Beispiel lernen?

Wenn es in Köln so weitergeht wie bisher, dann bleibt nur der Blick nach Bochum. Man muss immer auch Alternativen suchen, aber ich warne vor Rückzugskämpfen. Es ist besser, in die Offensive zu gehen. Wir haben einen sehr hohen Lohn- und Sozialstandard. Dazu haben die Gewerkschaften viel beigetragen. Wer seinen Job bei Ford verliert und im Dienstleistungssektor arbeiten muss, wird nicht mehr das gleiche Gehaltsniveau
erreichen. Die Situation ist die: Saarlouis ist weg, und Köln steht auf der Kippe. Wenn wir nicht aufwachen, können wir uns schrittweise über Abfindungen unterhalten. Davon profitieren aber nur jene, die schon lange dabei sind. Das Ganze ist dann verloren.


STEFAN BRATZEL ist Gründer und Direktor des unabhängigen, wissenschaftlichen Autoinstituts  Center of Automotive Management (CAM) in Bergisch Gladbach, das Innovationstrends und Erfolgsfaktoren in den Zukunftsfeldern der Elektromobilität, des softwaredefinierten Fahrzeugs, des autonomen Fahrens und der Mobilitätsdienstleistungen erforscht.

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