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: Globaler Gewerkschaftsgipfel

Ausgabe 11/2009

KRISENSTRATEGIEN Spitzengewerkschafter aus 50 Ländern trafen sich beim Internationalen Gewerkschaftsbund im Oktober in Berlin und diskutierten über die Finanz- und Ernährungskrise. Von Jost Maurin, Beate Wilms, Cornelia Girndt

Ernährungskrise und Rohstoffe

Michail Schmakow brauchte nur ein paar Minuten, um das Publikum des Forums "Ernährungskrise und Rohstoffe" gegen sich aufzubringen. "Was ist denn besser: Wenn ein Mensch gleich stirbt, weil er verhungert, oder wenn er irgendwann vielleicht mal irgendwelche Schäden erleidet wegen gentechnisch veränderter Pflanzen?", fragte der Präsident des größten russischen Gewerkschaftsdachverbands FNPR. "Wenn die Gentechnik dazu beiträgt, den Hunger in der Welt zu bekämpfen, muss man sie nutzen", forderte er. Da wusste der streitbare Russe schon, dass fast alle der rund 30 Zuhörer ganz anderer Meinung waren. Denn der Moderator hatte kurz zuvor all diejenigen im Publikum gebeten aufzustehen, die die Agro-Gentechnik für einen Beitrag zur Sicherung der Ernährung halten. Nur vier Teilnehmer erhoben sich.

Wie Schmakow führen auch die Saatgutkonzerne Monsanto (USA), BASF (Deutschland) und Syngenta (Schweiz) die steigende Zahl der Hungernden in der Welt als Argument für den Anbau gentechnisch veränderter Pflanzen an.

Neuen Auftrieb erhalten die Gentechnik-Lobbyisten seit 2005/2006. Damals begann ein "massiver Anstieg der Lebensmittelpreise weltweit", wie Moderator Prossinagg berichtete. Der Index der UN-Agrarorganisation FAO über die globalen Nahrungsmittelpreise sei 2008 um mehr als 50 Prozent in die Höhe geschnellt. Die Netto-Exporteure von Lebensmitteln profitierten, doch für die allermeisten Entwicklungsländer war dieser Trend fatal: Die mehrheitlich arme Bevölkerung konnte sich immer weniger Nahrungsmittel leisten. In Staaten wie Haiti, Bangladesch und Ägypten kam es zu regelrechten Hungerrevolten.

Die Preisentwicklung, die Rezession und das Bevölkerungswachstum tragen dazu bei, dass das Millenniumsziel der Vereinten Nationen, den Anteil der Hungernden gegenüber 1990 bis zum Jahr 2015 zu halbieren, so gut wie allen Experten zufolge unerreichbar bleibt. Allein 2009 wächst die Zahl der Hungernden nach einer Schätzung der FAO um 100 Millionen auf etwa eine Milliarde Menschen.

Zur Lösung des Problems suggeriert die Industrie, dass sich mit der Gentechnik die Erträge steigern ließen. Dagegen warnte in Berlin eine bolivianische Gewerkschafterin, die Gentechnik werde kleine Länder in eine neue Art von Abhängigkeit gegenüber den Industrieländern führen, weil sie die Patente haben. Die Abhängigkeit der Bauern von den Konzernen beginne schon damit, dass sie gentechnisch verändertes Saatgut nicht wieder vermehren dürften.

NAHRUNG VERBILLIGEN_ Für Rekson Silaban, Präsident des indonesischen Gewerkschaftsverbands KSBSI ist die Frage existentieller, wie mehr Menschen besseren Zugang zu Lebensmitteln erhalten können. Er verlangte besondere Handelsmechanismen für Lebensmittel. Importe von Nahrungsmitteln sollten ebenso wie die von Industriegütern von Steuern befreit werden. Außerdem müsse die Verschwendung von Nahrung in den USA und in Europa reduziert werden.

Niedrigere Steuern auf Lebensmittel - dafür sprach sich auch Maria Carvalho aus, die Außenbeauftragte der angolanischen Arbeitnehmerorganisation UNTA-CS. In dem afrikanischen Land gebe es weiterhin Hunger, berichtete Carvalho. Ein Grund ist der Gewerkschafterin zufolge, dass nach dem jahrzehntelangen Bürgerkrieg fast die Hälfte des Landes vermint sei. So können auf riesigen Flächen keine Lebensmittel angebaut werden. Carvalho forderte von Russland, das Waffen nach Angola geliefert hatte, sich nun an der Entfernung der Minen zu beteiligen.

Ganz andere Probleme sieht Manuel Cova, Generalsekretär des venezolanischen Verbands CTV. Er beklagte die Politik des sozialistischen Staatspräsidenten Hugo Chávez, sagte, die Regierung habe erst Land enteignet, jetzt liege das meiste brach. Venezuela müsse 70 Prozent seiner Lebensmittel importieren. Dennoch gebe es in dem erdölreichen Land derzeit kaum Zucker. "Der Staat allein wird dieses Problem nicht lösen können", sagte Cova. Doch weil es keine klaren Regeln für Privatinvestitionen gebe, hätten internationale Investoren wie der US-Getreidemulti Cargill ihre Engagements in Venezuela zurückgefahren.


Beschäftigungskrise und Nachhaltigkeit

Die Ausgangssituation war schnell geklärt: "Wir diskutieren hier nicht über eine Krise der Banken, sondern über eine Krise des Arbeitsmarkts", sagte Lim Sung-Kyu, Präsident des koreanischen Gewerkschaftsbundes. Und seine Mitdiskutanten im Forum "Beschäftigung und nachhaltiges Wirtschaften" gaben ihm recht. "Die größte Gefahr für die wirtschaftliche Erholung ist die Arbeitslosigkeit ", sagte John Sweeney vom US-amerikanischen Gewerkschaftsbund AFL-CIO. " Einig war er sich die beiden mit ihren Mitdiskutanten Danuta Wojdat von der polnischen Gewerkschaft Solidarnosc und Abdessalem Jerad, dem Generalsekretär der tunesischen Gewerkschaften, dass es für einen "global job pact" auch globaler Anstrengungen bedarf.

Die Frage, ob die neu etablierten Gipfel der 20 wichtigsten Wirtschaftsnationen hierfür ein Ort sein könnten, spaltete das Podium dann jedoch - was daran lag, dass Wojdat, die auch Vizepräsidentin des Internationalen Gewerkschaftsbundes (IGB) ist, und Sweeney direkt an den Vorbereitungen zum letzten Treffen in Pittsburgh Ende September beteiligt waren. Sie hoben hervor, dass die Internationale Arbeitsorganisation (ILO) erstmals in die Konsultationen einbezogen worden und ihre Erklärung in das Abschlussdokument der G20 eingeflossen sei. "Nun haben wir einen Fuß in der Tür", sagte Wojdat.

"Die G20 sind weit von uns weg. Entwicklungsländer waren nicht eingeladen, und deshalb konnten wir uns nicht einbringen", sagte der Tunesier Jerad dagegen. Und auch der Südkoreaner Lim glaubte ohne nähere Begründung: "Die vermeintlichen Ergebnisse täuschen doch nur die Bevölkerung." Ohnehin wurde deutlich, dass die Gewerkschaften vor allem mit Abwehrkämpfen in ihren Herkunftsländern beschäftigt sind.

FRAGEWÜRDIGE KONJUNKTURPAKETE_ So berichtete Lim, dass der Arbeitsmarkt in Südkorea schon lange in der Krise stecke und es immer mehr prekäre Jobs gebe. Jetzt, wo die Wirtschaft seit zehn Jahren zum ersten Mal schrumpfen wird, wurden auch die regulären Einstiegslöhne um 28 Prozent gekürzt, Beamte müssen auf 5 Prozent ihrer Bezüge verzichten, Tagelöhner bekommen inzwischen 12,9 Prozent weniger. "Die politischen Maßnahmen führen nicht zu einer Stabilisierung der Löhne, sondern zur Profitmaximierung der Unternehmen", fasste Lim zusammen.

Das passte so gar nicht ins Bild, das der Westen vom südkoreanischen Konjunkturpaket hatte, das beispielsweise das Wuppertal Institut für Klimaschutz vorbildlich nachhaltig nennt: Gut 80 Prozent des umgerechnet 15,1 Milliarden Euro teuren Programms fließen in den Umweltschutz, heißt es. Damit sollen eine halbe Million neue Arbeitsplätze entstehen. Tatsächlich sind auch die vermeintlich ökologischen Maßnahmen heftig umstritten, weil die Sanierung der Flüsse dafür sorgen soll, dass Container- und Passagierschiffe das Land künftig in 24 Stunden durchfahren können. Dafür müssen Feuchtgebiete trockengelegt werden und der Grundwasserspiegel könnte im gesamten Land fallen. "Die Flussprojekte nützen den Arbeitern nichts", sagte Lim. "Und ‚nachhaltig‘ heißt für mich auch ‚menschenfreundlich‘."

Davon kann in Polen nicht die Rede sein, wenn, wie Danuta Wojdat berichtet, der Kündigungsschutz eingeschränkt und der Mutterschutz aufgegeben werden soll. "Eine Krise darf niemals die Begründung dafür sein, solche Werte aufzugeben", schimpfte die Solidarnosc-Frau.

HOFFNUNG AUF OBAMA_ Der Einzige in diesem Forum, der sich hinter seine Regierung stellte, war John Sweeney. 75 Prozent der Gewerkschaftsmitglieder in den USA hätten Präsident Barack Obama gewählt. Nun kämpfe man gemeinsam mit ihm für die Reform des amerikanischen Gesundheitssystems, ein Projekt, das nachhaltige Beschäftigung sichern und die Wirtschaft stärken solle, denn "50 Millionen Menschen bei uns sind im Krankheitsfall nicht abgesichert", berichtet Sweeney.

Immerhin hätten seit Beginn der Krise rund sieben Millionen US-Amerikaner ihre Jobs verloren, während die Regierung auch in ihren optimistischsten Szenarien nur davon ausgehe, dass ihr 850 Milliarden Dollar teures Konjunkturprogramm bislang etwa eine Million Jobs "gesichert oder neu geschaffen" habe.

Für die US-Gewerkschaften blickt Sweeney optimistisch in die Zukunft. 25 000 Beschäftigte in den USA werden jährlich entlassen, weil sie versuchen, in ihren Betrieben Gewerkschaften zu gründen. Ein neues Gesetz, der Employee Free Choice Act, soll es nun einfacher machen, Arbeitnehmervertretungen auf betrieblicher Ebene einzurichten und Tarifverhandlungen zu führen. Auch Wojdat, Lim und Jerad konnten über Restriktionen gegen Gewerkschafter berichten: von der Überwachung von Aktiven in Polen bis zu blutigen Polizeieinsätzen in der südkoreanischen Autofabrik Ssan Yong und Gefängnisstrafen für Streikende in einer Phosphatfabrik in Gafsa, Tunesien. "Die Welt muss stärker, fairer und sauberer werden", sagte Sweeney. Hier sei "die internationale Zusammenarbeit der Gewerkschaften gefragt", ergänzte Lim, weil man von der Politik nicht viel erwarten könne.


Finanzkrise und Verteilung

Etwas anders sieht das Gewerkschaftschef John de Payva aus Singapur. Die Gewerkschaften könnten umso mehr bewirken, je mehr sie von der Regierung anerkannt werden, gab er seinen Kollegen im Forum "Finanzkrise und Verteilung" mit auf den Weg. Dass ein Ex-Gewerkschaftsanwalt in Singapur zum Präsidenten gewählt worden war, habe die Gewerkschaften des asiatischen Handels- und Dienstleistungszentrums nach vorne gebracht. In der Finanzkrise haben nun Regierung, Arbeitgeber und Gewerkschaften vereinbart, dass Arbeitnehmer, die unterbeschäftigt sind, in Weiterbildung geschickt werden. Wobei die Regierung 90 Prozent der Weiterbildungskosten übernimmt, berichtet Payva.

Ähnlich optimistisch und regierungsnah positionierte sich sein Kollege aus Brasilien: Joao Antonio Felicio, langjähriger Vorsitzender des Gewerkschaftsdachverbandes CUT und einer der Weggenossen Präsident Lulas in der Arbeiterpartei PT. Weil Brasiliens Regierung das Wirtschaftswachstum der letzten Jahre geschickt für die Verteilung genutzt habe, seien die Arbeitnehmer von der Finanzkrise nicht in dem Maße betroffen. Die von Lula geförderten Mindestlöhne wirkten stabilisieren, insgesamt seien die Arbeitnehmerlöhne in kurzer Zeit um 60 Prozent gestiegen, die Regierung habe die Tarifpolitik gestärkt. Und es werde etwas für die Ärmsten getan: So bekommen Familien nur dann staatliche Hilfen, wenn sie ihre Kinder in die Schule schicken, berichtete Felicio.

Ganz anders die Lage in Nigeria. John Odah, Generalsekretär des Nigeria Labour Congress, berichtete, dass mit vier Milliarden Dollar die nigerianischen Banken gerettet und verstaatlicht werden mussten - Geld das nun für Investitionen in Häuser und Straßen fehlt. Gegenüber den internationalen Institutionen hatte er wenig mehr denn Verachtung. G8 habe über die Weltbank "Länder wie meines zugrunde gerichtet" und auch beim G20-Gipfel in Pittsburgh sei "das weltkapitalistische System in 20 Ländern gerettet worden".

Dem widersprach Luc Cortebeeck, Chef des christlichen belgischen Gewerkschaftsverbands und IGB-Vize. "G20 ist ein Fortschritt, es wird offener und sozialer diskutiert", sagt er als einer der Gewerkschaftsspitzen, die die "Pittsburgh-Erklärung der Global Unions" in die Verhandlungen einbrachten. Auch die Arbeit, "die wir bei der ILO geleistet haben" für einen globalen Pakt für Beschäftigung, sei ein wichtiger Schritt gegen Ungleichheit und wachsende Armut. IWF und Weltbank müssten reformiert werden, damit die Gelder an die Länder gehen, die in soziale Sicherung investieren und ein gerechtes Steuersystem voranbringen. "In den letzten Monaten haben wir mehr erreicht als in den letzten zehn Jahren", sagte der belgische IGB-Vize in Berlin.


Mehr Informationen

Die 20-seitige Pittsburgh-Erklärung der Global Unions finden Sie hier (pdf).

Foto: Peter Himsel
 

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