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Magazin Mitbestimmung

: Eine Chance, die Wunder wirkt

Ausgabe 04/2012

BILDUNGSKARRIEREN Wer tut sich die Strapazen des dritten Bildungsweges an und warum? Wir haben fünf Frauen und Männer gebeten, uns zu erzählen, wie es für sie war, den Arbeitsplatz vorübergehend mit dem Hörsaal zu tauschen. Von Carmen Molitor

MUT ZUR WEICHENSTELLUNG

Marion Carstens Lokführerin, Böckler-Stipendiatin,

Master in Europastudien, wissenschaftliche Mitarbeiterin des Gesamtbetriebsrats einer DB-Tochter Eine Frage brachte alles ins Rollen: „Kannst du dir noch etwas anderes als Lokführerin vorstellen?“, hatte sich eine Gewerkschaftssekretärin bei Marion Carstens erkundigt. Carstens besuchte damals das Seminar „Der Betriebsrat in der Insolvenz“. Als junge Betriebsrätin musste sie mit der Pleite ihres Arbeitgebers, des privaten Bahnunternehmens Flex AG, umgehen. Der Gedankenanstoß der Gewerkschaftssekretärin, ihre Informationen über ein mögliches Hochschulstudium und Tipps über die Finanzierung durch ein Stipendium der Hans-Böckler-Stiftung hallten nach.

Marion Carstens liebte ihren Beruf. Aber vielleicht war ja die Zeit für eine Weichenstellung gekommen. Sie stammt aus einem Arbeiterhaushalt aus Hattstedt bei Husum. Ein Dorf, durch das die Züge Richtung Sylt donnerten, von denen sie einmal selbst welche fahren sollte. Der Vater war Maurer, später Gleisbauer und im Personalrat bei der Bahn, sie eine Dreierkandidatin in der Realschule. Die Berufswahl war eine Bauchentscheidung und „ein bisschen naiv“, lacht sie heute. Dass sie als Voraussetzung für ihren Traumjob bei der Bahn eine Lehre als Industriemechanikerin, Fachrichtung Betriebstechnik, absolvieren musste, nahm sie in Kauf – und fand Spaß daran. Etwas später war Carstens die erste Frau, die auf der Strecke von Hamburg nach Westerland regelmäßig eine Lok fuhr. Für DB Cargo in Itzehoe führte sie sowohl Güter- als auch Personenzüge. Dann wurde ihre Stelle gestrichen, die Alternativangebote gefielen ihr nicht. Enttäuscht verließ sie die Deutsche Bahn in Richtung Flex AG. Sie mochte das kollegiale Betriebsklima dort, aber als das private Eisenbahnunternehmen von der Nord-Ostsee-Bahn GmbH übernommen wurde, wehte ein anderer Wind. Was nun? „Obwohl ich immer sehr wissensdurstig war, wäre es mir zuvor nie eingefallen zu studieren“, erzählt Marion Carstens. „Damals begriff ich aber, dass es die Möglichkeit für mich sein könnte.“ Sie entschied sich für ein Studium an der damaligen Hamburger Universität für Wirtschaft und Politik (HWP). Zugangsvoraussetzung war eine Aufnahmeprüfung. Gleich zu Beginn ihres Studiums machte sie eine Probe aufs Exempel, die sie an ihre Grenzen brachte. „Normalerweise absolviert man elf Kurse im Jahr, aber ich habe acht gleich im ersten Semester gemacht. Ich musste wissen, ob ich studieren kann“, erzählt sie. Der Grund: Man verliert nach einem Jahr ohne Fahrdienst alle Lokführerscheine. Carstens wollte sich sicher sein, dass sie das Studium bewältigen kann, bevor die Türen zu ihrem Beruf zufallen. „Das erste Semester war unglaublich hart, aber dann wusste ich, dass es genau das ist, was ich machen wollte.“

Die Studentin legte den Schwerpunkt ihres Bachelor-Studiums auf Arbeits- und Wirtschaftsrecht und fokussierte auf Zivilrecht. Ein Jahr lang ging sie nach Italien und studierte an der Universität Trento. Ihr Berufsziel: im Verbraucherschutz arbeiten. Nach dem Abschluss 2008 schloss sie aber erst mal einen Master in Europastudien an, für den sie an der Uni Hamburg und in Vancouver studierte. 2011 hatte sie den Abschluss in der Tasche. Sie fand eine Stelle als wissenschaftliche Mitarbeiterin des Gesamtbetriebsrat der DB Schenker Rail Deutschland AG in Mainz, wo sie seit ein paar Monaten im Bereich Mitarbeiter-Datenschutz tätig ist. Es gefällt ihr, wieder praktisch zu arbeiten. Aber wer weiß, ob sie nicht demnächst auf eine Weiche in Richtung Promotion trifft.
Foto: Frank Rumpenhorst
 

ALLES AUF EINE KARTE GESETZT

Marcel Gröls Industriemechaniker, Gewerkschafts­sekretär, Böckler-Stipendiat, leitender Angestellter

Marcel Gröls ist ein Mann, der seine Worte genau wählt. Dabei ist es egal, ob er einen selbstironischen Witz macht oder über ernste Themen spricht. Was kann er zum Beispiel Faires über seine Ausbildung zum Industriemechaniker sagen, in der er sich zu Tode langweilte? „Das ist ein ganz toller Beruf und wichtig – man muss sich trotzdem überlegen, ob man das will.“ So aufgeräumt wie seine Sprache ist auch sein Büro in der Personalabteilung der Hamburger Hochbahn AG: Wuchernde Papierstapel sind ihm ein Gräuel, auf seinem Tisch liegt alles ordentlich in Klemmmappen sortiert. Übersicht ist wichtig. Als Jugendlicher hätte Marcel Gröls gern ein Vorbild gehabt. Jemanden, an dessen Beispiel er gesehen hätte, dass sich studieren lohnen kann. Sein Berufsweg schien vorbestimmt: Hauptschule, Ausbildung, ein Handwerksberuf bis zur Rente. So, wie es in seinem Umfeld im schwäbischen Tuttlingen üblich war. Doch Gröls begriff schon als Azubi, dass er diesen Weg nicht gehen wollte. Besser gefiel ihm, was die politischen Sekretäre der IG Metall taten, die er als Jugendvertreter seines Ausbildungsbetriebes traf. Sie ermutigten ihn, sich bei der Akademie der Arbeit in der Universität Frankfurt für den elfmonatigen Kurzstudiengang mit den Schwerpunkten Arbeitsrecht, Personalwirtschaft und VWL zu bewerben. Die Akademie wird gemeinsam von der Stadt Frankfurt, dem Land Hessen und dem DGB betrieben. Ihr Angebot ist auf Menschen wie Gröls zugeschnitten, die weiterkommen wollen. Politische Sekretäre bekommen hier ihr Rüstzeug. Der Geselle ergriff die Chance. Er kündigte seinen Job, erhielt ein Stipendium vom DGB und erlebte, wie er sagt, „den idealen Einstieg in das theoretische Arbeiten“. Er lebte auf dem Campus und konnte ohne Ablenkung lernen. Gröls genoss diese Zeit, merkte aber auch: „Das Wissen reicht mir noch nicht.“ Sein Wunsch zu studieren wuchs auch während der zwei Jahre, die er als Gewerkschaftssekretär der IG Metall in Stadthagen arbeitete. Als er versetzt werden sollte, sah er den richtigen Zeitpunkt gekommen. Gröls entschied nach Rücksprache mit seiner Ehefrau: Wenn schon umziehen, dann lieber gleich nach Hamburg, um an der ehemaligen Hamburger Universität für Wirtschaft und Politik (HWP), die inzwischen in die Uni eingegliedert worden war, Sozialökonomie mit dem Schwerpunkt Arbeitsrecht zu studieren. Er trennte sich von der IG Metall und zog um, bevor er überhaupt wusste, ob er die Aufnahmeprüfung bestanden hatte. Sein Mut, alles auf eine Karte zu setzen, zahlte sich aus: Gröls bekam den Studienplatz und stürzte sich in die Arbeit. Das Bachelor-Studium zog er in nur vier Semestern durch und schloss ein Master-Studium zum Human Resource Management an, das er mit „sehr gut“ bestand. „Wenn man sich alles erkämpfen muss und dafür all die Risiken in Kauf nimmt, dann will man von dieser Zeit auch so viel wie möglich haben“, betont er und stockt: „Auch wenn das pathetisch klingt.“

Nach dem Studium wechselte Gröls ins Arbeitgeberlager und ist als Fachbereichsleiter bei der Hamburger Hochbahn AG zuständig für Tarifpolitik und Mitbestimmung. Wünscht er sich im Rückblick, dass er aufs Gymnasium hätte gehen können? „Nein. Der Weg hat mich, so wie er gewesen ist, hierhin gebracht. Nichts davon war Zeitverschwendung“, sagt er. Seinen beiden Kindern aber wird er beizeiten klarmachen, wie wichtig die Schule für ihre Zukunft ist.
Foto: Cordula Kropke

"ES HAT KEINEN SINN, DASS SIE HIER SIND!"

Julian Schwark Schornsteinfeger, Böckler-Stipendiat, Ingenieur für Energie- und Umweltverfahrenstechnik, Doktorand

Hauptschüler? Sorry, wir bilden dich nicht aus! Auf 36 Bewerbungen erhielt Julian Schwark diese Reaktion. Ein Handwerk wollte er lernen, in einem Betrieb oder bei der Bundeswehr. Überall erhielt er Absagen. „Die wollten mindestens einen Realschüler“, vermutet er. Dem Sohn eines Polizisten und einer Friseurin war nicht viel anderes übrig geblieben, als die Hauptschule zu besuchen. Ende der vierten Klasse diagnostizierte man bei ihm Legasthenie. Zu spät, um auf die Schreib- und Leseschwäche noch wesentlich einwirken zu können, erzählt der aufgeschlossene 27-Jährige, und man spürt seinen Ärger darüber.

Ein Schornsteinfeger, den seine Tante angesprochen hatte, gab ihm schließlich eine Lehrstelle. Den Jungen motivierte diese Chance: „Die Lehre habe ich als einer der Besten abgeschlossen.“ Schwark mochte den Job. Als er 18 wurde, engagierte er sich intensiv im gewerkschaftlichen Schornsteinfegerfachverband. Eine Gesetzesänderung machte es damals möglich, dass er nach der Lehre gleich mit der Meisterschule anfangen konnte. Mit 21 Jahren war er einer der jüngsten Handwerksmeister Deutschlands. „Ich war halt besonders fleißig“, sagt er. Eine nüchterne Feststellung, keine Angeberei. Schwark hatte begriffen, dass viel Potenzial in ihm steckt, und wagte den nächsten Schritt. Energie- und Umweltverfahrenstechnik interessierte ihn – einer der Studiengänge, die er als Meister mit einer fachgebundenen Studienberechtigung an der FH Gießen, der heutigen Technischen Hochschule Mittelhessen, belegen konnte. Im ersten Semester fiel er bei allen Mathe- und Mechanikklausuren durch. Es brauchte Zeit, den Abstand vom Meister- zum Abiturwissen zu verringern. Obendrein provozierte ihn sein Matheprofessor: „Wir wissen beide, dass es keinen Sinn hat, dass Sie hier sind“, sagte der ihm. Heute freut Schwark sich fast über die Wut, die das in ihm auslöste. Dem wollte er es zeigen! Der Student organisierte sein Studium wie einen Fulltime-Job: Dreieinhalb Jahre lang ging er um 8 Uhr an die FH und um 19 Uhr wieder nach Hause. Anfangs lernte er neben dem Stoff der neuen Klausuren auch für die Prüfungen, die er wiederholen musste, und schrieb so in einem Semester 15 statt zehn Klausuren. Selbst nachdem er den Rückstand aufgeholt hatte, behielt er das hohe Lerntempo bei. Er paukte so zielstrebig, dass er am Ende auch die Vorlesungen als Zeitverschwendung bei der Prüfungsvorbereitung ansah. Am Ende schloss er vorzeitig mit 1,2 ab.

So richtig Spaß am Studium habe er erst während seiner Diplomarbeit gehabt, erzählt der Ingenieur. Er betrieb „Hinterhofforschung“ über die Herstellung von Biokohle für eine Green-Tech-Firma: „Wir saßen oft mit unseren Laptops bis nachts in unserem provisorischen Labor.“ Ein zukunftsträchtiges Thema und ein Team, das ihn mitgestalten ließ, das war seine Welt. Den Spagat zwischen Hochschule und Praxis macht Schwark bis heute: Inzwischen ist er wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut „Energiesysteme und Energiewirtschaft“ der jungen Hochschule Ruhr West in Bottrop und promoviert nebenberuflich. Die Experimente für seine Doktorarbeit über Biokohle macht er bei einem Kultursubstrate-Hersteller, der die Forschung sponsert. Wenn Schwark im Labor schmutzige Biomasse untersucht, die durch Druck und Hitze zu einer Art Kohle werden soll, trägt er den alten Schornsteinfegeranzug.
Foto: Manfred Vollmer

"DIESE EINE CHANCE WOLLTE ICH NICHT VERGEIGEN"

Nicole Sips Druckformherstellerin, Böckler-Stipendiatin, Diplom-Ingenieurin, Auswanderin

Der 30. Geburtstag brachte Nicole Sips ins Grübeln: „Ist das alles, was ich vom Leben will?“ Seit einem Jahr gestaltete sie Kataloge für einen Gartengroßversand in Kaarst, hatte stets in der Nähe ihres Heimatortes Viersen am Niederrhein gearbeitet. Ihr Weg: Arbeiterkind, Realschule, Lehre als Druckformherstellerin. Zehn Jahre war sie in der Ausbildungsfirma geblieben, hatte sich als Betriebsrätin und Frauenbeauftragte engagiert, vor allem als der Betrieb insolvent wurde. Es folgte eine Weiterbildung zur Grafikdesignerin. Nun also die Kataloggestaltung – Gartenzubehör, Ziergehölze, Blumenzwiebeln.

Vor der Lehre hatte die kreative junge Frau davon geträumt, das Abi nachzumachen und „irgendwas mit Kunst“ zu studieren. Auf die Realschule war sie gegangen, weil der Vater, selbst Drucker und Gewerkschafter, das für den besten Mittelweg hielt: „Gymnasium ist etwas für Doktorkinder“, hatte er befunden. „Studieren kannst du später noch, lern erst mal etwas Solides.“ Im Internet stieß sie dann auf den § 11 des Berliner Hochschulgesetzes. Er eröffnet die Möglichkeit, in bestimmten Fächern auch ohne Abitur ein Studium an einer Berliner Hochschule zu beginnen. Nicole Sips bewarb sich an der Technischen Fachhochschule (TFH) für den Studiengang Druck- und Medientechnik. Als die Zusage kam, schwankte sie zwischen der Angst davor, den Job aufzugeben und womöglich im Studium zu scheitern – und der Euphorie darüber, dass sich ein neuer Weg auftat. Erst als alles dingfest war, erzählte sie ihren Eltern von ihren Plänen. Dass das Studium schwer werden würde, war Sips klar: „Ich wusste, mir fehlen drei Jahre Schulbildung, vor allem in Mathe.“ Zur Vorbereitung schrieb sie sich für einen Kurs an der Uni Duisburg ein, den außer ihr nur angehende Mathematiker besuchten. Ihr rauchte der Kopf. „Aber ich wollte meinen Eltern beweisen, dass ich das schaffen kann!“ Von den 50 Studierenden ihres TFH-Jahrgangs war nur ein Student wie Nicole Sips über den § 11 neu an die Fachhochschule gekommen, alle anderen hatten Abitur.Zweimal rauschte sie durch die Mathe-, zweimal durch die Physikklausur. Vom dauernden Schreiben tat ihr die Hand weh, vom ständigen Sitzen der Hintern. Sie paukte oft Tag und Nacht, ließ sich nicht ablenken, wenn andere sie zum Partymachen einluden. „Ich habe ihnen gesagt, dass ich nur diese eine Chance habe und sie nicht vergeigen will. Bier kann ich später noch trinken“, erinnert sie sich. Immer zum Semesterende erhöhte sich die Schlagzahl: allein lernen für schriftliche Prüfungen, in Gruppen lernen für Projektprüfungen. Sechs Stunden Schlaf am Stück wurden zur Seltenheit. Nach den schriftlichen Abschlussprüfungen war sie so fertig, dass sie sich „erst mal selber wiederfinden musste“. Und nach dem Mündlichen erfuhr sie, dass sie Beste ihres Diplom-Fachbereiches war.Heute lebt Nicole Sips in Auckland und hält über Skype­ Kontakt mit der Heimat. Als Böckler-Stipendiatin war sie während des Studiums ein halbes Jahr in Neuseeland gewesen. Nach dem Abschluss zog es sie wieder dorthin. Geplant war nur ein Praktikum, aber dann verliebte sie sich, bekam ein Kind und arbeitet jetzt in einer Druckmanagementfirma, die den Druckbedarf von Coca-Cola Neuseeland organisiert. Ein Job, für den sie nicht hätte studieren müssen, sagt sie. „Aber hätte ich nicht studiert, säße ich noch am Niederrhein und wäre unglücklich, weil ich nie etwas geändert hätte.“
Foto: privat

"DAS NIVEAU STIEG UM DEN FAKTOR DREI"

Matthias Theil Energieelektroniker, Stipendiat der Stiftung Begabtenförderung berufliche Bildung (SBB), Projektingenieur

Landwirt wollte er als Junge werden, nichts anderes. Wenn die Männer im oberfränkischen Meeder auf den Feldern arbeiteten, spielten Matthias Theil und seine Freunde das auf ihren Trampeltraktoren nach. Theils Vorfahren waren Landwirte gewesen. Sein Vater, Ausbildungsleiter beim Fahrzeugteilehersteller Brose, war der Erste, der den Hof nur noch als Nebenerwerbslandwirt führen konnte, weil er nicht mehr genug abwarf. Für die Schule interessierte sich Matthias nicht besonders. „Ich hatte damals andere Interessen“, sagt der jungenhafte 27-Jährige. Abi stand nie zur Debatte, Studium erst recht nicht!

Matthias Theil sitzt am Esstisch im Haus seiner Eltern, als er sich an die Anfänge seiner Laufbahn erinnert. Er spricht unaufgeregt, in einem gemütlich-fränkischen Dialekt, aber gleichzeitig wirkt er, als müsse er viel Energie zurückhalten: Ein Bein wippt ungeduldig, oft wechselt er die Sitzhaltung. Diese Energie hatte er nach der Hauptschule schnell in den Job gesteckt: Er begann eine Energieelektronikerausbildung bei der Firma, für die der Vater arbeitete. Die Lehre schloss er mit sehr guten Leistungen ab, und nach anderthalb Jahren als Facharbeiter sattelte er eine Technikerausbildung drauf. Neben der Vollzeitschule in Erlangen arbeitete er zehn Stunden pro Woche weiter – in Spätschichten. „Es war kein Zuckerschlecken“, erzählt er. Er musste mit einem Viertel des Gehalts auskommen, dazu erhielt er Unterstützung von zu Hause und über die Begabtenförderung der IHK Coburg einen Zuschuss für Fahrt- und Unterkunftskosten. Aber sein Ehrgeiz war geweckt. Theil nahm sich vor, ein Studium zu versuchen, wenn er im Technikerabschluss einen bestimmten Notendurchschnitt erreichte. Er schaffte es und schrieb sich an der Hochschule Coburg für Elektrotechnik ein. Es gab dort nur zwei Kommilitonen, die wie er über die fachgebundene Hochschulreife zum Studium gekommen waren Das Niveau dessen, was er fortan zu lernen hatte, stieg „im Vergleich zur Technikerschule circa um den Faktor drei“, erinnert sich Theil. Nach einem Studientag schaute er oft im Fernsehen „Die Simpsons“ und legte sich kurz hin, bevor er sich wieder über die Bücher beugte. Gewohnt hat er zu Hause, seine Eltern stellten ihm das Kindergeld zur Verfügung. Aber mit 24 lief dieser Zuschuss aus, und Bayern führte obendrein ab 2007 Studiengebühren bis zu 500 Euro pro Semester ein. Als es finanziell eng wurde, kam der Zufall ihm zu Hilfe: Die Stiftung Begabtenförderung berufliche Bildung (SBB) schrieb ihn als Bezieher der IHK-Begabtenförderung an und stellte ihr neues Aufstiegsstipendium vor, eine Studienförderung des Bundes speziell für Berufserfahrene. „Das passt“, dachte Theil. Er bewarb sich, machte einen Test im Internet, reiste zum Auswahlgespräch nach Bonn und konnte sich schließlich über ein Stipendium freuen. „Das war eine wichtige Unterstützung für mich“, sagt er. Schon immer hatte Theil „mehr Fernweh als Heimweh“ gehabt. Während des Studiums arbeitete er ein Praxissemester lang als Laserschweißtechnologe am Brose-Standort in London/Ontario und kehrte später zur Abschlussarbeit dorthin zurück. Nach seinem erfolgreichen Bachelor-Abschluss hatte er Angebote namhafter Firmen und entschied sich dafür, seine Ingenieurslaufbahn als Projektingenieur im Aufgabengebiet für technische Netze und Automatisierung bei Linde Gas in Pullach zu starten. Wenn er heute zu Besuch nach Hause zurückkommt, arbeitet er immer noch gerne in der Landwirtschaft.
Foto: privat

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