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Ein Schlupfloch weniger Magazin Mitbestimmung

Urteil: Ein Schlupfloch weniger

Ausgabe 06/2022

Der Europäische Gerichtshof hat die Rechte der Beschäftigten im Aufsichtsrat gestärkt und bestätigt, dass nationale Mitbestimmungselemente schützenswert sind. Der Gesetzgeber muss diese Chance nun nutzen.

Im SAP-Verfahren vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) ging es um die Frage, ob bei der Gründung einer Europäischen Gesellschaft (SE) durch Umwandlung auch weitere wesentliche Elemente der Mitbestimmung geschützt sind, konkret um die Gewerkschaftssitze im Aufsichtsrat. Nach der Umwandlung in eine SE wollte der Software­riese die Gewerkschaftssitze zunächst komplett streichen, konnte sich damit aber nicht durchsetzen. Im Ergebnis stand jedoch, dass im Fall einer möglichen zukünftigen Verkleinerung des Aufsichtsrats die Gewerkschaftssitze nicht mehr in einem eigenen Wahlgang bestimmt werden. „Auch das wäre einer Abschaffung der Beteiligung von Gewerkschaftsvertretern im Aufsichtsrat gleichgekommen“, sagt Sebastian Sick, Jurist am Institut für Mitbestimmung und Unternehmensführung (I.M.U.) der Hans-Böckler-Stiftung. Bereits im gewerkschaftsfern besetzten Besonderen Verhandlungsgremium kämpfte er bei der SE-Gründung gegen die Abschaffung der Gewerkschaftssitze und ebnete der Klage den Weg. Juristisch war die Meinungslage umstritten, und so fand der Gang vors Gericht auch viele Kritiker. Letztendlich ging es um eine Grundsatzfrage für die Gewerkschaften und um die Zukunft der Unternehmensmitbestimmung insgesamt. In den ersten zwei Instanzen mussten IG Metall und Verdi Niederlagen einstecken und gaben doch nicht auf. Ihr Durchhalte­vermögen wurde belohnt: Das Bundesarbeitsgericht (BAG) und nun auch der EuGH bestätigten die Auffassung der Gewerkschaften. Auch die EU-Kommission und die Bundesregierung folgten der Position. „Der Erfolg gibt uns recht“, sagt Daniel Hay, Direktor des I.M.U.. „Das getrennte Wahlverfahren für Gewerkschaftsvertreter im Aufsichtsrat bei der Umwandlung in eine SE hat Bestand. Eine tolle Bestätigung durch den EuGH für die Mitbestimmung im Aufsichtsrat“, so Hay.

Der Abschaffung von Gewerkschaftssitzen durch SE-Umwandlung hat der EuGH so einen Riegel vorgeschoben. Darüber hinaus erklärte der EuGH, dass alle wesentlichen nationalen Elemente der Mitbestimmung geschützt sind und in Zukunft für die gesamte europäische Belegschaft einer SE gelten. „Damit ist der nationale Gesetzgeber relativ frei, das Mitbestimmungsrecht zu schützen“, sagt Sebastian Sick vom I.M.U. Welche Kernelemente der nationalen Mitbestimmung darunter konkret fallen, müsse nun ausbuchstabiert werden.

Daniel Hay war von Beginn der gerichtlichen Auseinandersetzung an klar, dass es schwer werden würde: „In der Wissenschaft gibt es wenige Publikationen, die das Thema aus Mitbestimmungssicht behandeln, aber sehr viele arbeitgebernahe, auch wenn deren Argumente sehr dünn und dem anwaltlichen Beratungsgeschäft zugetan sind.“ Umso mehr freut er sich, dass sie nun Erfolg hatten: „Aus einer Minderheitenmeinung ist EuGH-Rechtsprechung geworden. Das wäre ohne die wissenschaftliche und koordinierende Unterstützung des I.M.U. der Hans-Böckler-Stiftung nicht möglich gewesen“, sagt Hay. Die hierzu speziell eingerichtete und von Sebastian Sick geleitete EuGH--Taskforce holte auch die europäischen Gewerkschaften und die Regierung von Luxemburg mit ins Boot.

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