zurück
Magazin Mitbestimmung

: Die Werbetour der Bayern

Ausgabe 11/2009

HOCHQUALIFIZIERTE Wie die IG Metall München und der BMW-Betriebsrat neue Mitstreiter im Angestelltenbereich gewinnen. Von Stefan Scheytt

STEFAN SCHEYTT ist Journalist bei Tübingen/Foto: Werner Bachmeier

Lernt man den BMW-Betriebsrat Hans Haumer kennen und den Münchner IG-Metall-Funktionär Horst Lischka, fällt einem unwillkürlich der FC Bayern München ein. Haumer und Lischka, beide eingefleischte Anhänger der blau-weißen "Löwen" von 1860 München, würde diese Assoziation überhaupt gar nicht schmecken, aber ihr Auftreten entspricht nun mal viel mehr dem Konkurrenz-Club in Rot: selbstbewusst bis zum Anschlag, ehrgeizig, leistungs- und ergebnisorientiert.

Bei BMW in München ist der Organisationsgrad im Angestelltenbereich innerhalb weniger Jahre auf 25 Prozent gestiegen von ehedem unter zehn, aber Hans Haumer, der Kopf der gewerkschaftlichen Vertrauensleute und Vize-Betriebsratschef, will von einer "Erfolgsstory" noch längst nicht reden: "So wie wir als BMWler die besten Autos bauen wollen und nicht die zweit- oder drittbesten, so geben wir uns auch als Gewerkschafter und Betriebsräte nicht mit 25 Prozent zufrieden."

Fast identisch hört sich Horst Lischka an, erster Mann der Münchner IG Metall, wenn er über seine Verwaltungsstelle spricht. "Wir sind absolut zukunftsfähig: Unsere Angestelltenquote ist mit 40 Prozent die höchste bundesweit, und wir gehören bei den Neuaufnahmen und der Azubiquote - das Krisenjahr ausgenommen - seit Jahren zu den Besten." 2000 bis 3000 Neuaufnahmen pro Jahr seien sein Ziel, "und mindestens jedes zweite neue Mitglied soll ein Angestellter sein."

GEFÄHRLICHE TRANSFORMATION_ Bei der Mobilisierung der Hochqualifizierten haben Haumer und Lischka freilich einen Standortvorteil - und das ist der Münchner Wirtschaftsraum, der zu den dynamischsten Technologiestandorten Europas gehört. Im 3er-Dienst-BMW zeigt Horst Lischka bei einer kleinen Tour durch den Münchner Norden und Westen einen Ausschnitt davon: MAN, KraussMaffei, MTU und schließlich BMW mit seinen fast 30 Standorten: "Da drüben das neue IT-Center und hier das futuristische, erst eingeweihte Aerodynamikcenter mit den Windkanälen", sagt Lischka und zeigt nach draußen. Sie gehören zum Forschungs- und Innovationszentrum (FIZ), es ist das "technische Herz" von BMW mit rund 7000 Ingenieuren, Modellbauern, IT-Fachleuten und Wissenschaftlern. "Von den 20 000 Kollegen bei BMW München im Jahr 1965 waren 17 000 Gewerbliche und 3000 Angestellte", weiß Betriebsrat Haumer. "Heute sind von den 30 000 zwei Drittel Angestellte und ein Drittel Gewerbliche." Ähnlich bei Siemens: Waren dort 1995 bundesweit noch 70 Prozent der Beschäftigten Gewerbliche und 30 Prozent Hochqualifizierte, hatte sich das Verhältnis nur zehn Jahre später umgekehrt. Die Konsequenz ist klar: Schafft es die IG Metall nicht, diesen Transformationsprozess in ihrer Mitgliederstruktur abzubilden, droht ihr die Marginalisierung. "Noch vor zehn Jahren gab es Unternehmensbereiche bei uns mit kaum fünf Prozent Organisationsgrad - katastrophal", sagt BMW-Mann Haumer.

Horst Lischka steht jetzt am Stehpult seines Büros in der Münchner Innenstadt, das so aufgeräumt und durchorganisiert wirkt wie die ganze Verwaltungsstelle. Mit seiner randlosen Brille und den feingliedrigen Fingern könnte der 46-Jährige auch ein Lehrer oder Verwaltungsbeamter sein. Auf den ersten Blick wirkt er technokratisch, er selbst beschreibt sich als einen, der Unpünktlichkeit und Unvorbereitetsein nicht ausstehen kann, dem Disziplin sehr wichtig ist und der "saumäßigen Spaß" hat an Organisationsentwicklung. Aber Lischka ist alles andere als steif, er ist ein umgänglicher, jovialer Typ, direkt, sehr entspannt, authentisch, und das nicht nur wegen seines breiten bayerischen Akzents. Man glaubt ihm, wenn er sagt, dass er mit Susanne Klatten oder Stefan Quandt im BMW-Aufsichtsrat nicht anders redet als mit jedem anderen.

WANDERER ZWISCHEN DEN WELTEN_ Horst Lischka hat in einer Gießerei in der Oberpfalz Betriebsschlosser gelernt, mit 15 trat er der IG Metall bei, mit 24 war er freigestellter Betriebsrat, mit 27 Gewerkschaftssekretär. Seit eineinhalb Jahren leitet er das Münchner IG-Metall-Büro, es ist das größte in Bayern mit 200 zu betreuenden Betrieben. Außerdem ist Lischka ehrenamtlicher Arbeitsrichter, sitzt in drei Aufsichtsräten und seit 2008 auch noch für die SPD im Münchner Stadtrat. Früher habe er darunter gelitten, dass er "kein Diplomierter" sei, sagt Lischka, aber seine Biografie zeigt, dass man auch ohne Diplom Karriere machen kann. Er liebe es, sich in vielen Welten zu bewegen, Menschen in Schlips und Kragen zu begegnen und solchen im Blaumann, Politikern, Vorständen, Inhabern von Gesellenbriefen und doppelten Doktortiteln, und vielleicht ist das die Erklärung dafür, dass er so erfolgreich Hochqualifizierte wirbt.

Natürlich tut er das selten selbst. Aber er hat seine Verwaltungsstelle konsequent darauf ausgerichtet, das zu überwinden, was er "selbst geschürte Berührungsängste" nennt. Motto: "Wir müssen einfach zu den Angestellten gehen. Die beäugen uns am Anfang vielleicht misstrauisch, aber sie beißen nicht." Horst Lischkas Mannschaft ist sehr jung, keiner ist älter als der 46-jährige Chef. Und sie ist ständig in den Betrieben, "mehr als vier bis sechs Stunden pro Woche ist keiner unserer politischen Sekretäre im Büro", schätzt Lischka. Das neueste Dienstfahrzeug ist ein knallroter Mini mit IG-Metall-Logo. "Ein echter Hingucker in München", sagt Lischka - gerade für die umworbene Klientel.

VERTRAUENSLEUTE SIND DAS A UND O_ 34-mal hat die Münchner IG Metall im vergangenen Jahr Vertrauensleute von BMW, MTU, MAN und vielen anderen Firmen zu Wochenendseminaren eingeladen; außerdem bieten die Gewerkschafter Workshops und Seminare an, zum Beispiel im Forschungs- und Innovationszentrum von BMW. "Wenn einer unserer Juristen dort über Arbeitsrecht referiert und die Leute verstehen, welche Rechte sie haben, wo die Fallstricke lauern, bringt uns das Anerkennung bei den Beschäftigten ein", sagt Lischka.

Die Vertrauensleute sind für ihn entscheidend, um in die Belegschaft die Botschaft zu tragen, "dass man keine Pusteln kriegt, wenn man mit Gewerkschaftern am Tisch sitzt oder gar Mitglied wird." Die Vertrauensleute in möglichst alle Entscheidungen einzubinden mache glaubhaft, "dass wir weg wollen von der Stellvertreterpolitik, bei der sich Gewerkschaftsfunktionäre mit dem Betriebsrat schlaue Pläne ausdenken und hinterher den Leuten präsentieren."

Zwei dieser Multiplikatoren bei BMW in München sind Dominique Mohabeer und Michael Krebs, beide sind Vertrauensleute und freigestellte Betriebsräte. Die Diplomkauffrau Dr. Dominique Mohabeer kam im Jahr 2000 als Referentin für Prozessanalyse zu BMW, zuvor war sie an der Universität gewesen und hatte mit Gewerkschaften nichts am Hut. Doch bei BMW sei ihr schnell klar geworden, "dass die guten Rahmenbedingungen für BMW-Mitarbeiter das Resultat eines starken Betriebsrats und einer starken Gewerkschaft sind." Ohne diese zwei Gegenpole zur Unternehmensleitung "hätten wir in dieser Krise nie die Arbeitsplätze sichern können", ist Mohabeer überzeugt. Der Autobauer hat bis heute keine betriebsbedingten Kündigungen ausgesprochen, die vereinbarte Tariferhöhung 2009 wurde voll ausgezahlt, das Weihnachtsgeld beträgt unverändert 100 Prozent.

CHANCE FÜR QUEREINSTEIGER_ Nur zwei Jahre nach ihrem Einstieg bei BMW wurde Dominique Mohabeer 2002 in den Betriebsrat gewählt. Inzwischen ist sie auch IG-Metall-Mitglied und betreut einen Bereich mit mehr als 1000 Angestellten im Einkaufsressort des FIZ. Die Kollegen kommen zu ihr wegen harmloser Fragen und handfester Probleme - von Mobbing bis Burn-out. Und wenn es passt, spricht sie dabei das Thema Mitgliedschaft an. "Abgesehen von der vergleichsweise guten Situation bei BMW, in der wir auch dank der IG Metall sind, gibt es viele Themen, die einen Zugang zum Thema Gewerkschaft öffnen - vom Kampf gegen die Rente mit 67 bis zum Einsatz für die Abwrackprämie oder für die bessere Behandlung von Leiharbeitern."

Betriebsratskollege Michael Krebs ist zwar schon länger bei BMW und auch in der IG Metall. Auch Krebs ging lange davon aus, dass man "seine Interessen gut selbst vertreten kann." Doch als der Maschinenbautechniker in einen anderen Unternehmensbereich wechselte, wo das Klima rauer war, "merkte ich, dass man Unterstützung braucht, um seine Interessen als Führungskraft und die Interessen seiner Mitarbeiter durchzusetzen". So wurde der bekennende "Gerechtigkeitsfanatiker" Michael Krebs zuerst Vertrauensmann bei den Ingenieuren und schließlich vor drei Jahren, da war er 52, auch Betriebsrat. Seine Klientel sind Kfz-Mechaniker aus den FIZ-Werkstätten, aber auch Ingenieure und promovierte Physiker aus dem Windkanal. "In mein Büro kommen sie in Anzug und Krawatte und im Blaumann", sagt Krebs.

KAUM OFFENE ABLEHNUNG_ Natürlich haben die Besucher unterschiedliche Probleme. "Bei den Gewerblichen geht es oft um Ärger mit den Vorgesetzten, sie fühlen sich ungerecht behandelt oder lehnen den Wechsel in eine andere Abteilung ab", sagt Krebs, während es sich bei den Ingenieuren oft um Fragen der Einstufung oder mangelnde Anerkennung durch die Vorgesetzten dreht. In der Sprache, im Auftreten und in der Bildung mögen Krebs' Kollegen unterschiedlich sein, "aber im Kern geht es um Grundsätzliches: faire Entlohnung, faire Behandlung und eine Arbeit, die nicht krank macht". Zumal die Grenzen zwischen den Milieus immer mehr verwischen. "Ein sehr gut qualifizierter Facharbeiter und ein Ingenieur - das sind heute keine zwei Welten mehr", meint auch Gewerkschafter Lischka.

Wenn Michael Krebs dann irgendwann den Satz sagt: "Kollege, du bist ja noch nicht in der Gewerkschaft", erntet er unterschiedliche Reaktionen. "Es gibt Ingenieure, die sich offen zu ihrem Gewerkschaftsbeitritt bekennen, andere kommen morgens sehr früh in mein Büro, damit es der Chef nicht sieht." Manche möchten nicht, dass ihre Zugehörigkeit zur IG Metall publik wird, andere wiederum bestücken ihr Schwarzes Brett reichhaltig mit Gewerkschaftsinfos. Offene Ablehnung durch die Vorgesetzten, sagt Krebs, erlebe er selten. Das eindimensionale Bild vom Gewerkschafter, der eine rote Mütze und eine Trillerpfeife um den Hals trägt, habe sich verändert. Und spätestens wenn Krebs den Umworbenen in Anzug und Krawatte gegenübersitzt und nur die IG-Metall-Nadel am Revers seine Funktion kenntlich macht, ist das Klischee widerlegt, kann Krebs mit Inhalten punkten.

Ein Jungingenieur aus der Fahrzeugentwicklung, der namenlos bleiben möchte, kam an einem Freitag im September zu Krebs und trat am darauffolgenden Montag ein. "Ich hatte es schon lange vor, abgehalten hatte mich nur der Weg ins Betriebsratsbüro: Im Alltagsgeschäft bleibt dafür kaum Zeit", sagt der Mann. Was aktuell in der Industrie passiere, habe ihn in seiner Absicht bestärkt. "Wer weiß, vielleicht brauche ich mal eine Rechtsberatung. Ich bin froh, dass ich diesen Anspruch jetzt habe." Seine Mitgliedschaft soll jedoch geheim bleiben - aus Sorge, sie könnte sich karriere- und gehaltshemmend auswirken.

MIT HERZBLUT FÜR BMW UND DIE IG METALL_ Dass Quereinsteiger wie Michael Krebs und Dominique Mohabeer bei BMW heute das Bild vom Gewerkschafter und Betriebsrat mitprägen, ist vor allem das Verdienst von Betriebsrats-Vize Hans Haumer, 58, gelernter Schlosser mit klassisch gewerblicher Gewerkschaftsbiografie. "Meine sämtliche Bildung verdanke ich der IG Metall", sagt Haumer. Sein Betriebsratsbüro liegt gleich neben dem Stammwerk, in dem der 3er-BMW gebaut wird, und nur wenige Schritte vom berühmten "Vierzylinder" entfernt, der BMW-Hauptverwaltung mit den Vorstandsbüros, in denen er seit 25 Jahren als freigestellter Betriebsrat für seine Belegschaft streitet. "Mein Herzblut hängt an BMW", sagt Haumer - über das Unternehmen zu schimpfen sei so schlimm wie über die Münchner Fußball-"Löwen" herzuziehen. Hans Haumer ist aber auch der Draht zur Gewerkschaft als Vertrauenskörperleiter und ehrenamtliches IG-Metall-Vorstandsmitglied. Starke Gewerkschaften, findet Haumer, seien nicht nur ein Vorteil für Arbeitnehmer, sondern auch für BMW und die Gesellschaft insgesamt. Dafür hat er in vielen Gesprächen geworben. "Auch Akademikern muss klar sein, dass gewerkschaftliche Stärke ein Erfolgsgeheimnis für starke Betriebsratsarbeit ist und dass sich die Stärke einer Gewerkschaft auch in der Zahl ihrer Mitglieder ausdrückt."

"Allein Dominique Mohabeer und Michael Krebs haben in diesem Jahr 100 neue IG-Metall-Mitglieder im Engineering-Bereich geworben", erzählt Haumer, "ich wette, dass es das in der ganzen Republik nicht gibt." Im vergangenen Jahr gewann die IG Metall München bei BMW 1065 neue Mitglieder, davon waren 700 Angestellte. "Dass die Angestellten einmal die Lokomotive der Mitgliederwerbung sein würden, war früher unvorstellbar", meint Haumer. Das sei sicher teilweise der Krise geschuldet, aber auch schon durch die Nokia-Verlagerung hätten einige erkannt, "dass man eine Gewerkschaft, die nicht vorhanden ist, nicht zur Rettung rufen kann". So wie jetzt bei Siemens. "Da kann jeder sehen, dass man eben nicht nur super Betriebsräte braucht, sondern auch starke Gewerkschaften."

PROTEST IM STRÖMENDEN REGEN_ Am Tag, nachdem Hans Haumer diesen Satz sagt, fährt Dr. Martin Kimmich, 37, im knallroten IG-Metall-Mini am Münchner Siemens-Standort in Perlach vor. Kimmich ist Jurist und politischer Sekretär in der Münchner Verwaltungsstelle - Schwerpunkt Angestellte. Auch Kimmich, der zuvor Wissenschaftler in der Hans-Böckler-Stiftung war, ehe er ein Trainee-Programm bei der IG Metall absolvierte, bezeichnet sich als "Quereinsteiger". In Perlach protestieren mehr als 1000 Siemensianer bei einer Betriebsversammlung gegen die geplante organisatorische Abspaltung der IT-Sparte in eigenständige Betriebe. "Das ist ein untrügliches Zeichen dafür, dass der Verkauf der Einheiten vorbereitet wird", glaubt Kimmich.

Nach der Betriebsversammlung sollen die Beschäftigten zum Büro der Geschäftsleitung marschieren, um ihre Forderungen zu übergeben. Kimmich, der im vergangenen Jahr 230 Münchner Betriebe besucht hat, hat ein "mulmiges Gefühl": Denn erstens regnet es in Strömen, und zweitens ist der IT-Standort von Siemens, an dem fast nur Akademiker arbeiten, "nicht gerade für eine renitente Belegschaft bekannt; als Gewerkschafter sollte man da nicht mit tosendem Applaus rechnen", sagt Kimmich. Doch dann schließen sich dem Aufruf zum Protestmarsch 400 Siemensianer an, "die Stimmung war großartig". Nach der Veranstaltung kommt eine Siemens-Mitarbeiterin zu Kimmich: "Ach, Herr Doktor Kimmich, ich möchte mich für Ihre Rede bedanken, endlich hat mal jemand Klartext gesprochen." "Und, sind Sie Mitglied?", fragt Kimmich. "Nein", antwortet die Frau, "aber ich überleg's mir."


Mehr Informationen

www.engineering-igmetall.de

Forum für Siemens-Beschäftigte
www.dialog.igmetall.de

 

Zugehörige Themen

Der Beitrag wurde zu Ihrerm Merkzettel hinzugefügt.

Merkzettel öffnen