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Nadja Rakowitz Magazin Mitbestimmung

Altstipendiatin: Die Sozialistin

Ausgabe 03/2021

Nadja Rakowitz wollte als Schülerin nur weg aus Bayern. Sie studierte in Frankfurt, promovierte über Marx und engagiert sich heute für ein besseres Gesundheitssystem. Von Fabienne Melzer

Ihre politischen Überzeugungen packt Nadja Rakowitz in Sätze wie: „Ich bin Sozialistin und der Ansicht, dass die Kritik von Marx richtig ist.“ Wie eine Mauer aus Buchstaben stehen die Worte plötzlich im Raum – unumstößlich. Seit 15 Jahren leitet sie als Geschäftsführerin die Arbeit des Vereins demokratischer Ärztinnen und Ärzte (VdÄÄ). Mit den meisten Menschen dieser Zunft verbindet sie nicht viel. Niedergelassene Ärzten sind in ihren Augen primär Vertreter des Unternehmertums.

Der VdÄÄ versteht sich als Opposition zu den ständisch orientierten Ärztekammern. Hier sammeln sich seit Jahrzehnten die linken Ärzte, die sich gegen die Ökonomisierung des Gesundheitswesens wehren. Rund 700 sind es derzeit. „Und wir wachsen gerade mit einer Quote von jährlich zehn Prozent“, sagt Nadja Rakowitz.

1966 in Aschaffenburg geboren, wuchs sie als Kind einer Arbeiterfamilie im kreuzkonservativen Bayern von Franz-Josef Strauß auf. Als politisch links denkende Schülerin fühlte sie sich dort nie zu Hause. Von den kritischen Theorien der Frankfurter Schule angezogen, ging sie nach dem Abitur an den Main und studierte Politologie. In ihrer Familie war sie die Erste mit einem akademischen Abschluss und konnte mit einem Stipendium der Hans-Böckler-Stiftung anschließend über Marx’ Kritik des Frühsozialismus promovieren.

Nach dem Abschluss ihrer Arbeit fing sie 2001 als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für medizinische Soziologie in Frankfurt am Main an. „Gerade im Gesundheitssystem zeigt sich, was passiert, wenn etwas den Prinzipien des Kapitals unterworfen wird“, sagt Nadja Rakowitz. Sie spricht von der „Subsumtion des Gesundheitswesens unter das Kapital“, von der Priorität, Profit zu machen, vom Zwang, zu wachsen. Sie schimpft über den Irrglauben, dass Krankenhäuser effizienter würden, wenn man sie wie eine Fabrik organisiert. Es wundert sie nicht, dass viele Pflegekräfte unter diesen Bedingungen nur noch Teilzeit arbeiten oder ganz hinschmeißen. „Nirgends ist die Quote der Teilzeitbeschäftigten so hoch wie im Gesundheitswesen“, erregt sich Nadja Rakowitz.

Mit ihrem Verein sammelt sie Argumente gegen die Ökonomisierung der Krankenhäuser, schreibt Presseerklärungen, plant Aktionen und engagiert sich im Bündnis „Krankenhaus statt Fabrik“. In der Coronapandemie steht ihr Verein der Zero-Covid-Forderung nahe. „Die Pandemie zeigt erneut die gesellschaftliche Ungleichheit mit ihrer ganzen Brutalität“, sagt Nadja Rakowitz, „bei uns hier im Land und international.“

Als einen der größten Erfolge ihres Vereins und seiner Vorläuferorganisationen wertet die 54-Jährige die Aufarbeitung der nationalsozialistischen Vergangenheit der Medizin. Die Verbrechen von Medizinerinnen und Medizinern während der Naziherrschaft blieben bis in die 1980er Jahre mit Ausnahme einiger weniger Verurteilungen während der Nürnberger Prozesse ungestraft.

Zur Gewerkschaft und zur Hans-Böckler-Stiftung kam Nadja Rakowitz über die Bildungsarbeit. In den 1990er Jahren gab sie in einer provisorischen Bildungsstätte der ÖTV in Mecklenburg-Vorpommern Seminare zum Zusammenwachsen der beiden deutschen Staaten. Von dieser Arbeit habe sie auch persönlich viel gewonnen: „Mir hat sich dadurch eine neue, aber bereits im Untergehen begriffene Welt eröffnet, mit sehr interessanten Menschen.“

Ihre politische Haltung hat sie nie geändert, seit sie Aschaffenburg den Rücken kehrte. Mit ihrer konservativen Heimat hat sie sich aber insofern versöhnt, als sie auch dort Widerstände entdeckte, wo sie keine vermutet hatte. „Heute weiß ich Bayern wieder zu schätzen.“

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