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Missverstandene Versicherung Böckler Impuls

Pflege: Missverstandene Versicherung

Ausgabe 11/2025

Zu den Auf- und Ausgaben der Pflegeversicherung kursieren allerhand falsche Vorstellungen in der öffentlichen Debatte.

In ihrem Koalitionsvertrag hat die Bundesregierung eine „große Pflegereform“ angekündigt. Dabei soll es um die künftigen Leistungen sowie deren Finanzierung gehen. „Bezüglich beider Aspekte“ ist die Diskussion dem Gesundheitsexperten Heinz Rothgang von der Universität Bremen zufolge jedoch „von Mythen überlagert“.

Kostenexplosion?

Zu diesen Mythen zählt Rothgang die Rede von der Kosten­explosion – was so klingt, als seien die Ausgaben der Pflegeversicherung unerwartet, schlagartig und unkontrollierbar in die Höhe geschossen. Tatsächlich sind die Ausgaben und damit die Beitragssätze heute erheblich höher als im Jahr der Einführung 1995. Allerdings, so der Experte, war ein moderater Beitragssatzanstieg von Anfang an vorgesehen. Ein Blick auf frühere Prognosen zeige, „dass die Beitragssatzentwicklung der Pflegeversicherung in ihren ersten zwanzig Jahren nicht überraschend war“. Erst ab 2017 übersteigt die Zunahme früher prognostizierte Werte deutlich. Auch dies kommt jedoch nicht aus heiterem Himmel. Im Wesentlichen sind zwei Faktoren dafür verantwortlich: erstens erweiterte Leistungen – vor allem für Menschen mit kognitiven Einschränkungen –, zweitens höhere Löhne für Pflegekräfte, um die Arbeit in diesem Sektor attraktiver zu machen. Beides bewusste und gut begründbare politische Entscheidungen. 

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Der Beitragssatz zur Pflegeversicherung ist seit ihrer Einführung 1996 in mehreren Schritten gestiegen. Aktuell beträgt er 3,6 Prozent, für Kinderlose gilt ein Zuschalg von 0,6 Prozent.
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Ein dritter Punkt kommt hinzu, bei dem der Zusammenhang mit politischen Entscheidungen weniger offensichtlich ist: Die Bemessungsgrundlage für die Beiträge zur Pflegeversicherung ist in der Vergangenheit nicht im gleichen Maße gewachsen wie die Wirtschaftsleistung. So verdoppelte sich das nominale Bruttoinlandsprodukt (BIP) von 2000 bis 2024, die für die Pflegeversicherung relevanten Arbeitnehmereinkommen erhöhten sich aber nur um 67 Prozent. Wären sie genauso gestiegen wie das BIP, könnte der Beitragssatz heute mehr als einen Prozentpunkt niedriger liegen. 

Teilkaskoversicherung statt Erbenschutzprogramm?

Die Eigenanteile für einen Heimpflegeplatz sind in den vergangenen Jahren erheblich gestiegen. Derzeit sind zunächst mehr als 3100 Euro im Monat selbst aufzubringen, wobei sich der Betrag mit der Dauer des Heimaufenthalts reduziert. Im Schnitt liegt der monatliche Eigenanteil bei gut 2500 Euro. Beide Werte dürften Prognosen zufolge weiter zulegen. Dies wird von einigen nicht als problematisch angesehen. Sie argumentieren, die Pflegeversicherung sei keine Einrichtung, die das Vermögen von Pflegebedürftigen im Sinne der Erben schützen solle. Hohe Eigenanteile widersprechen jedoch dem „Leitbild der Pflegeversicherung bei ihrer Einführung“, schreibt der Wissenschaftler. Damals sei es darum gegangen, durch Beitragszahlung eine Lebensstandardsicherung zu erreichen, wie es in anderen Zweigen der Sozialversicherung üblich ist – die Kosten für Krankenhaus­aufenthalte muss auch niemand aus dem eigenen Vermögen zahlen. Es sei ein Mythos, mahnt der Experte, dass dermaßen hohe Eigenanteile „von Anfang an“ vorgesehen waren. Das Ziel war, „eine Grundversorgung sicherzustellen, die im Regelfall ausreicht, die pflegebedingten Aufwendungen abzudecken“. Lediglich die Kosten der Unterkunft und Verpflegung sollten Heimbewohner ursprünglich selbst tragen. 

Auch der im Zusammenhang mit der Pflegeversicherung häufig benutzte Begriff Teilkaskoversicherung ist Rothgang zufolge irreführend. Bei Teilkasko steht die zu erbringende Eigenleistung fest – und alles darüber Hinausgehende zahlt die Versicherung. Das wäre bei der Pflegeversicherung erst der Fall, wenn der aktuell diskutierte Reformvorschlag eines Sockel-Spitze-Tauschs umgesetzt würde.

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