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Magazin Mitbestimmung

: 'Das wird wieder gerade gerückt'

Ausgabe 11/2004

Wie sich die CDU zur Unternehmensmitbestimmung positionieren wird, ist keine unwesentliche Frage. Wird sie den Ball von Seiten der Marktliberalen aufnehmen und sich für einen Rauswurf von Arbeitnehmervertretern aus den Aufsichtsräten stark machen? Das fragten wir den Vorsitzenden der christlich-demokratischen Arbeitnehmerschaft (CDA) Hermann-Josef Arentz.

Das Gespräch führte Cornelia Girndt im Düsseldorfer Landtag.

Herr Arentz, kennen Sie die Zeitschrift Mitbestimmung?
Na klar, sie informiert hervorragend. Besonders hilfreich fand ich vor kurzem eine Ausgabe zu betrieblichen Bündnissen für Arbeit. Für mein neues Buch "Sozialstaat im Härtetest" habe ich da einiges daraus entnommen.

Stimmt es, dass unser Pfad von Mitbestimmung starke Wurzeln in der katholischen Soziallehre hat?
Ja, natürlich stimmt das.

Können Sie uns auch sagen, wie das dort begründet ist?
Die Begründung ist einfach: Die Würde der menschlichen Arbeit ist höher anzusiedeln als die des toten Kapitals oder auch des arbeitenden Kapitals, und es ist Ausdruck der Menschenwürde, Mitbestimmung zu praktizieren.

Wer zum Beispiel postulierte das?
Das erste Betriebsrätegesetz in Deutschland stammt von einem Reichsarbeitsminister der Zentrumspartei. Der war katholischer Priester und Präses der katholischen Arbeitervereine in Essen. Sein Name: Heinrich Brauns. Somit ist der Grundgedanke der Mitbestimmung ein zutiefst christlich-sozialer Gedanke. Und deswegen steht die Union heute wegen ihrer eigenen Identität in der Pflicht, die Mitbestimmung gegen Angriffe zu verteidigen und darüber nachzudenken, wie sie auch positiv weiterentwickelt werden kann.

Vor zwei Monaten sagte der FDP-Fraktionsvize im Bundestag, Rainer Brüderle, in einem Interview: "Die paritätische Mitbestimmung ist eine Illusion, die man in den 70er Jahren hatte." Außerdem würde sie laue Lösungen produzieren, und deswegen würden wir weltweit nicht mehr vorne liegen. Was meinen Sie dazu?
Die Ausführungen von Herrn Brüderle zur Mitbestimmung sind genauso intelligent wie die Bemerkung von Herrn Westerwelle, dass dann, wenn jeder an sich denkt, an alle gedacht ist.

Die FDP ist dabei einen Antrag in den Bundestag einzubringen. Sie will Schluss machen mit der beinahe paritätischen Mitbestimmung im Aufsichtsrat. Und es soll "sichergestellt werden, dass nicht unternehmensfremde Gewerkschaftsfunktionäre als Arbeitnehmervertreter auftreten", heißt es in einem FDP-Papier. Wie werden Sie sich als CDA-Vorsitzender positionieren?
Diesen Antrag kann man nur ablehnen. Das gilt für beide Punkte. Tatsache ist, dass die Mitbestimmung - und zwar, sowohl die Betriebsverfassung als auch die Unternehmensmitbestimmung - ein erheblicher Standortvorteil für die Unternehmen gerade im Strukturwandel ist. Der wäre nie und nimmer so friedlich vonstatten gegangen, wenn wir nicht die Mitbestimmung der Beschäftigten hätten. Im Übrigen sagen drei Viertel aller Unternehmen, die die Mitbestimmung praktizieren, dass sie gute oder sehr gute Erfahrungen damit gemacht haben. Das heißt, die FDP und Herr Brüderle hören nicht auf die Erfahrungen der Praktiker, sondern folgen einer krassen neoliberalen Ideologie.

Aber in Hamburg war es kürzlich die CDU-Regierung, die überraschend eine Vereinbarung aufgekündigt hat über die paritätische Mitbestimmung in den Aufsichtsräten öffentlicher Unternehmen. Die werden wieder auf die Drittelbeteiligung zurückgefahren. Ihre Partei scheint da ziemlich gespalten?
Da müssen Sie mit den Hamburgern sprechen, mir ist der Vorgang nicht bekannt. Die CDU hat in ihrem Grundsatzprogramm sehr eindeutig klar gestellt, dass die Mitbestimmung zum christlich-demokratischen Gedankengut gehört und dass wir Tarifautonomie und Mitbestimmung auch in Zukunft als wichtig ansehen.

Gleichwohl leitet aber der CDU-Bundestagsabgeordnete und BDA-Hauptgeschäftsführer Reinhard Göhner die Kommission Mitbestimmung der Wirtschaftsverbände BDA und BDI. Diese wollen die Unternehmensmitbestimmung "auf ein jenseits unserer Grenzen akzeptables Maß" herunterfahren und insgesamt Arbeitnehmer- und Gewerkschaftsrechte einschränken.
Die Arbeitgeber können Initiativen ergreifen, so viel sie wollen, das ist ihr gutes Recht. Genauso wie es das gute Recht des DGB ist, jede Menge eigener Initiative zu ergreifen. Wenn der DGB das tut und dann ein sozialdemokratischer Mandatsträger dabei ist, würde ich das genauso wenig zu einer Angelegenheit der SPD machen, wie in diesem Falle die Arbeitsgruppe von BDI und BDA etwas mit der CDU zu tun hat.

Auch unter den Vertretern der Wirtschaftsverbände und Unternehmen, die in BDI und BDA sind, gibt es offenbar erhebliche Meinungsverschiedenheiten, wie weit die Einschnitte gehen sollen. Wie schätzen Sie die Gefechtslage ein?
Es ist ja ein gutes Zeichen, wenn auch innerhalb der Arbeitgeber unterschiedliche Stimmen zu dem Thema laut werden. Nun lassen wir doch mal die Arbeitgeber ihre Position erstmal untereinander abstimmen. Dann sollen sie die vorlegen, und dann bin ich sicher, dass eine muntere gesellschaftliche Debatte anfangen wird.

Die muntere Debatte ist jetzt losgegangen, nachdem BDI-Präsident Rogowski die Mitbestimmung als "Irrtum der Geschichte" bezeichnete. Wodurch sich Jürgen Schrempp, Chef von DaimlerChrysler veranlasst sah, ausgiebig zu widersprechen. Viele reagierten - doch aus der großen Volkspartei CDU hört man so gut wie nichts. Kein Thema?
Dass aus der CDU nichts gekommen ist, stimmt so nicht. Ich habe am Tag nach dem Interview Herrn Rogowski öffentlich heftig widersprochen. Es ist ebenso unhistorisch wie falsch, die Unternehmensmitbestimmung als einen Irrtum zu bezeichnen. Mit seinem Satz hat Rogowski haargenau die Wasserscheide zwischen den Vertretern der sozialen Marktwirtschaft und den Marktradikalen beschrieben. Die CDU hat keinen Grund von der positiven Würdigung der Mitbestimmung abzurücken, wie sie im Grundsatzprogramm verankert wurde.

Sehen auch Sie einen gewissen Modernisierungs- und Reformbedarf?
Ich glaube, dass Mitbestimmung erfahrbarer gemacht werden muss. Zweitens müssen die Träger der Mitbestimmung in den Aufsichtsräten - vom zeitlichen Budget, aber auch von der Zuarbeit her - stärker in die Lage versetzt werden, diese Aufgaben wahrzunehmen. Und drittens sollten die Arbeitnehmer auch über eine Kapitalpartnerschaft in den Unternehmen Mitbestimmungsrechte bekommen. Das heißt, dass Arbeitnehmer über Belegschaftsaktien auch auf den Hauptversammlungen mitreden können. Ich glaube, dass der Gedanke der Sozialpartnerschaft um den Gedanken der Kapitalpartnerschaft ergänzt werden muss.

Ihre Partei, die CDU, präsentiert sich derzeit zerrissen - zwischen einem sozialpartnerschaftlich orientierten und einem marktradikalen Flügel. Erst im März dieses Jahres haben die Generalsekretäre von CDU/CSU drastische Einschnitte ins Tarif- und Arbeitsrecht vorgeschlagen…
… mit dem Ergebnis, dass diverse Ministerpräsidenten und CDU-Landesvorsitzende und ich diesen Entwurf der beiden Generalsekretäre in der gemeinsamen Sitzung der beiden Präsidien von CDU und CSU am 7. März zu Grabe getragen haben.

Aber das hält offensichtlich nicht lange vor. Jetzt soll wieder der Kündigungsschutz radikal heruntergefahren und sollen Mitbestimmungsrechte in Kleinbetrieben eingeschränkt werden - das steht in einem Leitantrag für den CDU-Parteitag im Dezember in Düsseldorf. Waren Sie an den Beratungen beteiligt?
Die ursprünglich vorgesehene Einschränkung der Mitbestimmung in den Kleinbetrieben ist gottlob vom Tisch - da konnten wir die Parteispitze rasch überzeugen. Aber nach wie vor halte ich einige andere Stellen für weiterhin verbesserungsfähig. Es macht keinen Sinn, von unseren Beschlüssen vom März abzuweichen und jetzt stattdessen anzukündigen, dass in den ersten drei Jahren einer Beschäftigung kein Kündigungsschutz gewährt wird. Wir brauchen einen funktionierenden Kündigungsschutz, der die Menschen nicht rechtlos stellt. Das Thema ist geeignet, viele Ängste zu schüren. Deswegen rate ich meiner Partei an dieser Stelle zur Vorsicht.

Zumal die Landtagswahlen im Mai 2005 im größten Bundesland NRW vor der Tür stehen.
Wir werden uns als CDA, aber auch als CDU in Nordrhein-Westfalen dafür einsetzen, dass der Einklang von wirtschaftlicher und sozialer Kompetenz gewahrt wird. Das sind zwei Seiten einer Medaille, die zusammengehören - das ist der Grundgedanke von sozialer Marktwirtschaft. Und das muss sich auch in der Beschlussfassung auf dem Bundesparteitag widerspiegeln. Denn es ist in der Sache richtig, und es ist auch die richtige Politik für die Union in einem stark durch Arbeitnehmer geprägten Land wie Nordrhein-Westfalen. Hier stimmt auch der Landesvorsitzende und Fraktionsvorsitzende der CDU, Jürgen Rüttgers, mit der CDA nahtlos überein.

Könnte auch die Unternehmensmitbestimmung im Wahlkampf in NRW eine Rolle spielen?
Ich sehe nicht, dass die Unternehmensmitbestimmung im Moment ein Thema ist, das in der Öffentlichkeit zu neuem Leben erwacht, auch nicht durch die Initiative von BDI und BDA. Das könnte ja nur dann passieren, wenn sich eine der beiden großen Volksparteien deren Thesen zu Eigen machen würden. Ich sehe im Übrigen im Moment auch keine Initiative aus dem Bereich des DGB, die Mitbestimmung der Arbeitnehmer zu einem neuen, großen Thema zu machen, beispielsweise durch Vorschläge zu einer Fortentwicklung der Mitbestimmung. Das wäre ja möglicherweise auch mal ein spannender Ansatz.

Ähnelt die Christlich-Demokratische Arbeitnehmerschaft in Deutschland nicht zunehmend einer streitbaren Ein-Mann-NGO, deren in allen Blättern präsenter Aktivist Hejo Arentz heißt?
Die CDA ist keine Ein-Mann-NGO, sondern eine quicklebendige Arbeitnehmerorganisation mit weit über 100 Abgeordneten im Deutschen Bundestag und in den Landtagen. Allerdings war es schon früher so, dass in der Öffentlichkeit vor allem der CDA-Vorsitzende im Rampenlicht stand.

Was hat sich seit den Zeiten Hans Katzers und Norbert Blüms geändert?
Heute reden wir in allen Bereichen der Politik nicht mehr darüber, wo man noch was aufsatteln kann, sondern es geht eher darum, ob man irgendwas einsparen oder weglassen kann. Weil wir nach 40 oder 45 Jahren einer bundesrepublikanischen Wirtschaftsgeschichte, die durch kontinuierliche Wachstumsraten gekennzeichnet war, im Moment zu den Schlusslichtern in der Europäischen Union gehören.

Was würden Sie tun?
Wir haben Reformbedarf an vielen Ecken und Enden in diesem Land, und deshalb brauchen wir eine vernünftige Reformpolitik, die auch akzeptiert wird von den Leuten. Das heißt, Reformen müssen, so schwer das im Einzelfall auch ist, dem tiefen Bedürfnis der Menschen nach Gerechtigkeit entsprechen. Dazu hat schon der heilige Augustinus gesagt: "Was wären denn Staaten ohne Gerechtigkeit anderes als eine große Räuberbande?" Und Augustinus hatte Recht. Aber von gerechten Reformen kann heute keine Rede sein.

Das werfen Sie bekanntlich der Regierung vor.
Die Leute empfinden heute Reformen als einen permanenten Prozess, bei dem ihnen Sicherheit weggenommen wird, ohne dass am Ende eine neue verlässliche Grundlage zur Planung des persönlichen Lebens steht. Die Folge ist Angstsparen und eine gewaltige Reformphobie in der Bevölkerung. Die Leute kriegen ja schon Pickel im Gesicht, wenn sie das Wort Reform hören.

Ob die CDU den Leuten Sicherheit vermittelt, wenn sie einmal den Kündigungsschutz ganz abschaffen will und ein andermal dann wieder doch nur fast ganz?
Nein, das stimmt nicht, bitte verbreiten Sie keine falschen Meldungen, die CDU will den Kündigungsschutz nicht abschaffen, und selbst wenn sich Einzelne so äußern, wird das wieder gerade gerückt.

Hat es Ihnen gefallen, dass der DGB-Vorsitzende Michael Sommer in einem Stern-Interview sagte, der DGB werde 2006 keinen Wahlkampf mehr für die SPD und für Gerhard Schröder machen?
Ja, das hat mir gut gefallen, aber er muss auch konsequent dabei bleiben. Denn in der Tat hat der DGB 2002 dem schlechten Geld, das man 1998 für die Wahl dieser Bundesregierung ausgegeben hat, noch mal gutes Geld hinterher geworfen. Aus meiner Sicht ein großer Fehler, übrigens auch ein Verstoß gegen den Grundgedanken von Einheitsgewerkschaft. Alle sollten mit der gleichen Elle gemessen werden. Dabei darf es keinen Rabatt für Rot-Grün geben. Ich will auch keinen christdemokratischen Rabatt haben.

Hermann-Josef Arentz

ist gebürtiger und bekennender Kölner. Dort studierte er auch Geschichte und Sozialwissenschaften, ehe er 1980 Mitglied des Landtages von Nordrhein-Westfalen wurde. Dem gehört er nunmehr seit 24 Jahren an. Hejo Arentz ist in der Katholischen Arbeitnehmerbewegung genauso zu Hause wie in der Christlich-Demokratischen Union. Er war erst Referent, dann Redakteur und außerdem Betriebsrat bei der Katholischen Arbeitnehmerbewegung. Und er war bis 1992 sieben Jahren lang in der Bundesgeschäftsstelle der CDU in Bonn tätig. Seit drei Jahren ist der 51-Jährige Bundesvorsitzender der Christlich-Demokratischen Arbeitnehmerschaft Deutschlands (CDA). In dieser Funktion nimmt er selten ein Blatt vor den Mund: Er kritisiert über die Medien die "Anschläge auf die Arbeitnehmerrechte", die aus seiner Partei, der CDU, kommen. Mehr noch aber geißelt er zum Beispiel die "Proletarisierung der Langzeitarbeitslosen" durch Hartz IV, sprich: durch die rot-grüne Regierung.

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