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Große NRW-Buchstaben dahinter Vortragende der Workers-Voice Tagung 2024 Service aktuell

Veranstaltungsbericht Workers’ Voice Konferenz: Europa braucht Demokratie – Demokratie braucht Mitbestimmung

Bei der zweitägigen Workers‘ Voice Konferenz kamen in Brüssel Praktiker*innen mit Expert*innen aus Politik, Gewerkschaften und Wirtschaft zusammen, um über Erfolge und Herausforderungen in der Mitbestimmung zu diskutieren. Konkrete Forderungen für die nächste Europäische Kommission haben sie ebenfalls formuliert.

[19.-20.03.2024]

Von Fiene Kuhlmann und Maxi Leuchters

„Wir benötigen mehr Mitbestimmung am Arbeitsplatz als entscheidendes Element einer demokratischen und nachhaltigen europäischen Wirtschaft und Arbeitswelt.” – so lautet das Ergebnis der Workers’ Voice Konferenz zur Nachhaltigen Unternehmensführung, die vom 19.  – 20. März in Brüssel stattgefunden hat. An Aktualität für einen Impuls zur Stärkung der Mitbestimmung mangelt es nicht, denn am 09. Juni ist Europawahl. Auf Einladung des Instituts für Mitbestimmung und Unternehmensführung (I.M.U.) der Hans-Böckler-Stiftung kamen Mitbestimmungspraktiker*innen mit Expert*innen aus Politik, Wissenschaft und Gewerkschaften zusammen, um die mitbestimmungspolitischen Prioritäten für die nächste Europäische Kommission zu diskutieren.  
 
Seit Jahren nimmt der Druck auf Errungenschaften mitbestimmter Teilhabe in Deutschland und Europa zu. Die Auswirkungen sind mitunter drastisch, nicht nur für Beschäftigte und die Unternehmen, sondern für die Demokratie insgesamt und das Gelingen der Transformation. In Zeiten von zunehmend antidemokratischen Strömungen inner- und außerhalb der Europäischen Union gewinnt die Stärkung der innerbetrieblichen Demokratie an Dringlichkeit. 
 
Mit Blick auf die Rechte von Arbeitnehmer*innenhabe die EU-Kommission in der aktuellen Legislatur Erfolge erzielen können, so Isabelle Schömann, stellvertretende Generalsekretärin des Europäischen Gewerkschaftsbundes (ETUC). Die Verabschiedung der Mindestlohnrichtlinie, die auch eine Stärkung der Tarifvertragsbindung vorsieht, ist ein wichtiger Meilenstein auf dem Weg zu einem sozialen Europa. Das Lieferkettengesetz, das nach langer Blockade im Ministerrat kürzlich erlassen wurde, ist ein wichtiger Schritt hin zur Stärkung von Menschen- und Arbeitnehmer*innenrechten entlang der gesamten Lieferkette. Auch die reformierte Nachhaltigkeitsberichterstattung (CSRD) verpflichte Unternehmen zu mehr Transparenz in Bezug auf die Einhaltung von Arbeitnehmer*innenrechten. Dennoch komme auf die neue Kommission viel Arbeit zu, meint Schömann. Die Stärkung von Kollektivrechten müsse eine Priorität werden, etwa durch die Einführung von Minimumstandards für Information, Konsultation und Mitbestimmung auf europäischer Ebene. 
 
Nicolas Schmit, EU-Kommissar für Beschäftigung und Soziales sowie Spitzenkandidat der Sozialdemokratischen Partei Europas (SPE) für die kommende Europawahl, sprach am Abend mit den Teilnehmenden über Erfolge der noch andauernden Amtszeit der EU-Kommission und noch offene Herausforderungen. Für ihn sei Demokratie am Arbeitsplatz das zentrale Thema für die nächste Amtszeit, auch weil es die Basis einer starken europäischen Demokratie darstelle. Er warb eindringlich dafür, die Beschäftigten im Betrieb für die Europawahl zu gewinnen und die Stimme für jene demokratischen Kräfte abzugeben, die sich für die Rechte der Arbeitnehmer*innen stark machen. 
 
Den direkten Zusammenhang zwischen Mitbestimmung am Arbeitsplatz und politischer Demokratie zeigte auch Stan de Spiegelaere, Direktor für Politik und Forschung der Europäischen Dienstleistungsgewerkschaft UNI Europa, eindrücklich auf. Demnach lasse sich mit Studien belegen, dass Menschen, die Demokratie am Arbeitsplatz erleben, häufiger gesellschaftliches Engagement zeigen und seltener zu antidemokratischen Einstellungen neigen. Auch wirke sich Mitbestimmung positiv auf gesellschaftliche Gerechtigkeit und damit auf nahezu alle Aspekte sozialgesellschaftlicher Fragen aus. Demokratie schützt man am besten, in dem man sie für möglichst viele erlebbar macht, lautet sein Fazit. Das geht am besten dort, wo man viel Zeit seines Lebens verbringt: am Arbeitsplatz. 

Wichtigkeit der anstehenden richtungsweisenden Europawahl 

Sowohl de Spiegelaere als auch Tanja Bergrath, Leiterin des Brüsseler Verbindungsbüros des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB), die detaillierte Einblicke in den europäischen Gesetzgebungsprozess und sozialen Dialog gab, wiesen mit Nachdruck auf die Wichtigkeit der anstehenden richtungsweisenden Europawahl hin. Das Europäische Parlament habe bei für die Gewerkschaften wichtigen Initiativen entscheidende Impulse gesetzt, betont Tanja Bergrath. Nachdem eine europäische Verordnung oder Richtlinie durch die EU-Kommission vorgeschlagen wird, verabschieden das Europäische Parlament und der Ministerrat, die Vertretung der Mitgliedstaaten, eine jeweils eigene Position. In der Regel finden daran anschließend die sogenannten Trilog-Verhandlungen statt, bei denen Vertreter*innen des Europäischen Parlaments sowie des Ministerrats unter Moderation der EU-Kommission einen Kompromiss verhandeln. Wie sich die Mehrheitsverhältnisse im Europäischen Parlament verändern könnten, zeigen aktuelle Hochrechnungen. Mehrheiten für gewerkschaftsnahe Positionen zu finden, könnte in der nächsten Legislatur deutlich schwieriger werden. Das bedeutet in der Konsequenz weniger gewerkschaftliche Positionen in europäischen Gesetzen. Die Mobilisierung von Arbeitnehmer*innen zur Wahl demokratischer Parteien ist daher besonders wichtig.

  • Workshop Workers Voice - Tisch mit Teilnehmenden

Im Zentrum der Tagung standen außerdem die Workshops zu den Themen „Europäische Betriebsräte“, „Mitbestimmung in Aufsichtsräten“ und „Nachhaltige Unternehmensführung“. Gemeinsam diskutierten die Teilnehmenden über den Status quo und sowie Herausforderungen in ihrer Arbeit und entwickelten zudem konkrete Ideen und Handlungsempfehlungen für die Stärkung der „Workers‘ Voice”. Es wurde deutlich, dass der Richtlinienvorschlag zur Stärkung europäischer Betriebsräte eine wichtige Initiative ist, wobei die Verschärfung von Sanktionen und der Zugang zur Justiz als besonders relevant eingeordnet wurden. Die Unterwanderung der Unternehmensmitbestimmung durch europäisches Recht muss durch die Einführung einer Rahmenrichtlinie mit Mindeststandards zu Information, Konsultation und Mitbestimmung begegnet werden, unterstrichen die Teilnehmenden. Dabei muss ein dynamisches Element eingeführt werden, sodass gilt: Mehr Beschäftigte gleich mehr Mitbestimmung. Als Element nachhaltiger Unternehmensführung wurde die Einführung einer Richtlinie zu „Directors‘ Duties“ diskutiert. 

Mehr Mitbestimmung für eine gelungene Transformation

Die Erkenntnisse der Tagung werden in das Forderungspapier einfließen, welches das I.M.U. in Zusammenarbeit mit Vertreter*innen aus dem Europäischen Gewerkschaftsumfeld entwickelt. „Das Ziel ist, dass Mitbestimmung auf die Agenda der neuen Europäischen Kommission gesetzt wird“, fasst Maxi Leuchters, Referatsleiterin für Unternehmensrecht und Corporate Governance am I.M.U., zusammen. Nach der Europawahl wird die neue EU-Kommission durch die Mitgliedstaaten nominiert. Diese wird durch das neu gewählte Europäische Parlament angehört, ein*e EU-Kommissionpräsident*in wird gewählt und das gesamte Kabinett bestätigt. Hier kommen auch die politischen Prioritäten des neuen Kabinetts auf den Prüfstand. „Ohne Mitbestimmung können die Herausforderungen unserer Zeit nicht bewältigt werden“, ist sich Dr. Daniel Hay, wissenschaftlicher Direktor des I.M.U., sicher. Daher gilt für die nächste Amtszeit der EU-Kommission: Mehr Mitbestimmung für eine gelungene Transformation wagen!

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