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Tagungsbericht "Besser geht´s mit.bestimmt! 2024": Sozialer Dialog - Erfolgsfaktor in der Krise

Auf einer zweitägigen Konferenz von Hans-Böckler-Stiftung und IGBCE ging es um den sozialen Dialog und Wettbewerbsfähigkeit.

[27.03.2024]

Von Eric Bonse

Die Wettbewerbsfähigkeit ist in aller Munde, der soziale Dialog wird in vielen EU-Ländern vernachlässigt. Dabei gehören beide gerade in Zeiten von Krise und Transformation zusammen, wie eine Tagung der Hans-Böckler-Stiftung und der Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie (IGBCE) in Brüssel gezeigt hat.

Die zweitägige Konferenz aus der Reihe „Besser geht’s mit.bestimmt“ begann mit einer ernüchternden Bestandsaufnahme. Wenn er eine Note für den sozialen Dialog in Europa vergeben müsste, dann wäre es eine „vier minus“, sagte IGBCE-Chef Michael Vassiliadis. Deutschland befinde sich wegen der betrieblichen Mitbestimmung in einer „Premium-Situation“.

Deutlich positiver stellte Barbara Kauffmann, Direktorin in der Generaldirektion Beschäftigung und Soziales der EU-Kommission, die Lage dar. Sie vergab eine „zwei minus“ und verwies darauf, dass der soziale Dialog in der EU auf mehreren Ebenen laufe. Neben den regelmäßigen Treffen der Sozialpartner in Brüssel gibt es noch fast vier Dutzend sektorspezifische Komitees, in denen Arbeitgeber- und Arbeitnehmervertreter zusammenkommen. Zudem versuche die EU-Kommission, Tarifverträge zu stärken, etwa durch die kürzlich erlassene Mindestlohnrichtlinie, die auch eine Stärkung der Abdeckung durch Tarifverträge vorsieht.

Tatsächlich hat sich auf EU-Ebene in den letzten Jahren einiges getan. Sozialkommissar Nicolas Schmit hat wichtige Anstöße gegeben, da waren sich die meisten einig. Allerdings hat sich die wirtschaftliche Lage verschlechtert. Auch die Wettbewerbsfähigkeit hat in einigen Branchen - darunter die Chemie - nachgelassen. „Warum gehören Wettbewerbsfähigkeit und sozialer Dialog zusammen?“, wollte Moderatorin Anke Harnack wissen.

Die Antworten waren vielfältig. Es gab gute Beispiele aus der Praxis, etwa vom Schott Euroforum. Es gab aber auch die Warnung, dass der wachsende Wettbewerbsdruck genutzt werden könnte, die Mitbestimmungskultur in einzelnen EU-Ländern kaputt zu machen. „Wir verlieren gerade in allen unseren Unternehmen an Substanz“, warnte Vassiliadis. Doch gerade vor dem Hintergrund von Krise und Klima-Transformation sei der Sozialdialog ein Erfolgsfaktor.

  • Podiumsdiskussion besser geht´s mitbestimmt 2024
Mit Dialog schneller aus der Krise

Ähnlich äußerte sich die Vertreterin der EU-Kommission. „Mit Dialog kommen wir schneller aus der Krise“, so Barbara Kauffmann. Der soziale Dialog könne auch helfen, die Herausforderungen aus dem Green Deal und dem klimaverträglichen Umbau der Wirtschaft zu bewältigen.

Ein praktisches Beispiel für die mögliche Verknüpfung von Green Deal und betrieblicher Mitbestimmung ist die neue EU-Richtlinie zur unternehmerischen Nachhaltigkeitsberichterstattung. Darüber berichteten Maxi Leuchters vom Institut für Mitbestimmung und Unternehmensführung (I.M.U.) der Hans-Böckler-Stiftung und Katrin Vitols vom DGB-Bundesvorstand.

Das Thema Nachhaltigkeit sei eine große Chance, die Belange der Beschäftigten voranzutreiben, betonten Leuchters und Vitols. Themen wie Tochterfirmen ohne Tarifvertrag, Mitbestimmung im gesamten Konzern oder angemessene Entlohnung könnten durch die Richtlinie auf Unternehmensebene diskutiert werden. Es sei falsch, die Nachhaltigkeitsberichte nur als Bürokratiemonster zu betrachten - sie enthielten auch starke Hebel für die Beschäftigten und ihre Vertretung, wenn man sie strategisch einsetzt.

  • Vortragende steht vor Präsentation
Stärkung Europäischer Betriebsräte

Um die Europawahl und die gewerkschaftliche Offensive zur Stärkung Europäischer Betriebsräte ging es im zweiten Teil der Tagung. Am 3. April steht die Reform der EBR-Richtlinie auf der Tagesordnung des Beschäftigungsausschuss des EU-Parlaments. „Wir arbeiten mit Hochdruck, um noch in dieser Legislatur voranzukommen“, sagte die SPD-Europaabgeordnete Gaby Bischoff. Dies sei wichtig, weil es nach der Europawahl neue Mehrheiten im Parlament geben könnte, die der EBR-Reform weniger aufgeschlossen gegenüberstehen, daher sei es so wichtig, eine erste und damit bindende Position vor der Wahl festzulegen. Positiv sei, dass die belgische EU-Ratspräsidentschaft sehr ambitioniert an das Thema herangehe. Allerdings marschiere auch die Gegenseite los.

Zu Vorsicht mahnte der CDU-Parlamentarier Dennis Radtke. Die Reform sei noch nicht in trockenen Tüchern: „Zum Feiern ist es zu früh.“ Radtke verwies auch auf das Problem, dass die Stimmung nicht nur im Parlament, sondern auch in den Unternehmen kippen könnte. In vielen Betrieben liege der Anteil der AfD-Wähler bei 30 Prozent und mehr. Das sei nicht nur ein Problem für die Betriebsräte, sondern auch für den sozialen Dialog.

Die Gewerkschaften müssten die AfD-Wähler zurückholen und die Demokratie verteidigen, sagte Francesco Grioli vom Hauptvorstand der IGBCE. „Wir können und dürfen in dieser Hinsicht niemals politisch neutral sein“, betonte er. Der Kampf um die Mitbestimmung am Arbeitsplatz und das Einstehen für die Demokratie in Deutschland und anderen EU-Ländern seien nicht voneinander zu trennen, betonten mehrere Diskutant*innen. Die Verunsicherung vor den Wahlen sei enorm.

Mitbestimmung ist vorangekommen

Dennoch dürfe man das Erreichte nicht klein reden, betonte Gaby Bischoff. In den letzten Jahren sei die Mitbestimmung am Arbeitsplatz in Europa vorangekommen - auch in bisher schwierigen Ländern wie Frankreich oder Belgien. Gute Modelle gebe es nicht nur in Deutschland, sondern auch in Finnland oder Österreich. Nun gehe es darum, von den jeweiligen Stärken und Schwächen zu lernen und EU-weite Mindeststandards zu entwickeln.

„Wir müssen riesige Transformationen bewältigen - und das ist besser zu schultern, wenn die Beschäftigten beteiligt werden“, so Bischoff. Allerdings gelte es auch, die Demokratie insgesamt zu stärken. "Die Demokratie - ob in der Gesellschaft oder im Betrieb - verteidigen wir nur gemeinsam“, so Bischoffs Fazit. Ähnlich äußerte sich Grioli. Gewerkschafter*innen müssten sich als Stimme der Arbeit profilieren und einen Rechtsruck verhindern.

Dass dies gelingt, ist jedoch fraglich. Alle Umfragen zur Europawahl deuten auf eine Stärkung der Rechtspopulisten und Nationalisten. Zugleich versucht die konservative Europäische Volkspartei EVP, der auch CDU/CSU angehören, den Green Deal, aber auch die Sozialagenda der EU zugunsten der Wettbewerbsfähigkeit und anderer Kapitalinteressen aufzuweichen. Auf die Gewerkschaften kommt noch harte Arbeit zu - vor und nach der Wahl.

 

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