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Magazin Mitbestimmung

Mitbestimmung: 100 Jahre Betriebsverfassung – was sich jetzt ändern muss

Ausgabe 01/2020

Das Betriebsverfassungsgesetz ist in die Jahre gekommen. Fünf Ideen für eine Modernisierung – damit die Demokratie im Betrieb gestärkt wird. Von Wolfgang Däubler, Professor für Arbeitsrecht

Seit 100 Jahren gibt es eine Betriebsverfassung in Deutschland. Das Jubiläum lädt zu Lobreden ein. Auch ohne Jubiläumsbonus gilt: Die Betriebsverfassung schafft ein Stück Demokratie im Betrieb, in der der Einzelne durchaus etwas bewirken kann. Die Wahlbeteiligung ist deshalb häufig höher als bei einzelnen Landtagswahlen. Darauf kann man stolz sein. Aber nicht überall funktioniert diese Demokratie in gleicher Weise. Wenn es nicht klappt oder die Ergebnisse enttäuschend sind, so muss dies nicht an den Betriebsratsmitgliedern liegen. Es gibt strukturelle Hindernisse für eine wirksame Mitbestimmung, an die man viel zu selten denkt:

1 Die Mitbestimmung ist auf Entscheidungen des Arbeitgebers bezogen. Wenn es darum geht, dass Abteilung X vier Wochen lang täglich eine Überstunde machen soll, ist dies in Ordnung. Nur: Die wichtigsten Entscheidungen haben einen langen Vorlauf: Ein neues SAP-System wird nicht einfach von heute auf morgen angeschafft, und der Einsatz von Robotern wird von den Geschäftsleitungen und ihren Beratern eingehend diskutiert. Wenn der Betriebsrat erst am Ende eingeschaltet wird und über den konkreten Einsatz mitreden darf, sind die wichtigsten Entscheidungen schon getroffen. Welcher Betriebsrat wäre bereit, den Einsatz schon gekaufter Systeme zu blockieren? Die Konsequenz ist klar: Mitbestimmung muss sich auch auf den Prozess beziehen, der der eigentlichen Entscheidung vorgelagert ist. In der Projektarbeitsgruppe, die über die Anschaffung von SAP-Systemen und Robotern entscheidet, muss auch der Betriebsrat vertreten sein. Bei Bedarf muss er kraft eigener Entscheidung Sachverständige zuziehen können.

2 Nur etwa 40 Prozent der unter das Betriebsverfassungsgesetz fallenden Arbeitnehmer werden durch einen Betriebsrat repräsentiert. Wie es in den Betrieben ohne Betriebsrat aussieht, ist von Betriebssoziologen erst in jüngster Zeit untersucht worden; vorher war das unbekanntes Gelände. Es fehlen gute und praktikable Regeln, wie man einfacher Betriebsräte wählen kann als heute. Wichtig wäre ein digitales Verfahren, bei dem sich der einzelne Kandidat und der einzelne Wähler im Betrieb möglichst wenig exponieren muss.

3 Betriebsräte sind in Gefahr, nur noch die Stammbelegschaft zu repräsentieren. Leiharbeiter können nicht gewählt werden, auch wenn sie immer wieder im Betrieb auftauchen. Formal Selbstständige sind nicht in die Betriebsverfassung einbezogen, ebenso wenig Arbeitnehmer, die auf der Grundlage eines Werkvertrags im Betrieb tätig sind. Diese „Randbelegschaften“ können bis zu einem Drittel (oder auch mehr) der Personen ausmachen, die auf dem Betriebsgelände oder in engem und dauerhaftem Arbeitskontakt mit den Beschäftigten tätig sind. Der Gesetzgeber sollte dafür sorgen, dass der Betriebsrat zum Fürsprecher auch dieser Gruppen werden kann.

4 Beschäftigte und Betriebsräte werden zu reinen Opfern der Globalisierung: Der weltweite Wettbewerb wird wie ein Naturgesetz hingenommen. Betriebe können ins Ausland verlagert werden, ausländische Firmen können deutsche Betriebe aufkaufen. Muss das ohne Grenzen möglich sein? Wo bleibt die Mitbestimmung, wenn der Arbeitgeber sagt: Ohne Lohnverzicht mache ich den Laden dicht und verlagere den Betrieb nach Thailand? Wer da von Erpressung spricht, bekommt bei den Kollegen emotionalen Zuspruch, aber juristisch steht er auf verlorenem Posten. Muss das immer so bleiben? Wo gibt es globalisierungskritische Betriebsräte und Entscheidungsträger?

5 Der Klimaschutz ist zu einem Megathema geworden. In den Betrieben ist das noch wenig angekommen. Man kann klein anfangen: Im Großstadtbetrieb gibt es zum Beispiel Fahrtkostenzuschüsse. Warum sollen diejenigen nicht mehr erhalten, die auf öffentliche Verkehrsmittel umsteigen? Oder in ungleich größerer Dimension gedacht: Wo ist die Forderung der Arbeitnehmervertretungen, dass Banken keine Umweltverschmutzer mehr finanzieren dürfen? Betriebsräte brauchen ein Initiativrecht zugunsten klimafreundlicher Maßnahmen.

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