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Recht: So wäre es zeitgemäß

Ausgabe 02/2022

Der DGB geht mit einem eigenen Entwurf für eine moderne Betriebsverfassung an die Öffentlichkeit. Das sind die Vorschläge. Von Johanna Wenckebach, HSI-Direktorin und Micha Klapp, Leiterin Abteilung Recht beim DGB-Bundesvorstand

Die letzte große Reform des Betriebsverfassungsgesetzes liegt jetzt 50 Jahre zurück. Seitdem hat sich die Arbeitswelt rasant weiterentwickelt. Doch der aktuelle Koalitionsvertrag enthält zur Mitbestimmung zu wenig für einen großen Wurf. Vage Formulierungen wie die Erklärung, die Ampel werde die Mitbestimmung „weiterentwickeln“ auf Basis der Evaluierung des Betriebsrätemodernisierungsgesetzes, reichen für eine demokratische Arbeitswelt angesichts der Herausforderungen des 21. Jahrhunderts nicht aus.

In dieser Arbeitswelt werden Betriebsräte immer wichtiger, die für die Einhaltung von Gesetzen und Tarifverträgen sorgen, die Beschäftigung sichern und die Digitalisierung gestalten. Aber Demokratie im Betrieb ist kein Selbstläufer. Die Zahl der Betriebsräte sinkt, und manche Arbeitgeber bekämpfen Betriebs-ratsgründungen und Mitbestimmung.

Ein modernes Betriebsverfassungsgesetz ist deshalb überfällig. Der DGB und seine Mit-gliedsgewerkschaften haben einen Gesetzent-wurf für eine zeitgemäße Betriebsverfassung ausgearbeitet, die es Beschäftigten und ihren Interessenvertretungen erlaubt, die strategi-sche Ausrichtung der Unternehmen in Zeiten der digitalen Transformation und des ökologi-schen Umbaus mitzugestalten. Was enthält der DGB-Gesetzentwurf, kurz DGB-GE?

Die Projektgruppe

Die Mitglieder der Projektgruppe, die seit Dezember 2020 an dem Entwurf gearbeitet haben, sind:

Thomas Klebe (Leiter der Projektgruppe und langjähriger Justiziar der IG Metall)
Antonius Allgaier (IG BAU)
Isabel Eder (IG BCE)
Johanna Wenckebach (Leiterin des Hugo Sinzheimer Instituts für Arbeitsrecht)
Kerstin Jerchel (Verdi)
Micha Heilmann (langjähriger Justiziar NGG)
Micha Klapp (Leiterin der Abteilung Recht beim DGB-Bundesvorstand)
Michael Bolte (beim DGB-Bundesvorstand zuständig für betriebliche Mitbestimmung und die offensive Mitbestimmung)
Olaf Deinert (Professor für Arbeitsrecht in Göttingen)
Rudolf Buschmann (Gewerkschaftliches Centrum für Revision und Europäisches Recht der DGB Rechtsschutz GmbH)
Verena zu Dohna (IG Metall)
Wolfgang Däubler (emeritierter Professor für Arbeitsrecht).

Umwelt- und Klimaschutz
Klimaschutz wird zur Überlebensfrage, auf die auch Betriebe eine Antwort finden müssen. Das Wissen der Beschäftigten in Fragen von Umweltschutz und Nachhaltigkeit darf nicht ignoriert werden. Ein Initiativ- und Mitbestimmungsrecht für Maßnahmen zum Umwelt- und Klimaschutz soll dieses Wissen nutzen. Zum Beispiel könnte der Betriebsrat bei der Wahl zwischen einer umweltfreundlichen und einer umweltbelastenden Produktion mitentscheiden (§ 87 Abs. 1 Nr. 15 DGB-GE). In größeren Betrieben, ab 100 Beschäftigten, soll ein Umweltausschuss gegründet werden (§ 28 Abs. 3 DGB-GE).

Gleichstellung der Geschlechter
Zur Gleichstellung der Geschlechter sieht der Gesetzentwurf u. a. ein Initiativ- und Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats zur Herstellung von Entgeltgerechtigkeit vor (§ 87 Abs. 1 Nr. 10a DGB-GE). Auch sollen Gleichstellungsausschüsse in Betrieben gebildet werden können, und der Arbeitgeber soll regelmäßig über den Stand der Gleichstellung berichten (§ 28 Abs. 2; § 43 Abs. 2 DGB-GE).

Beschäftigungssicherung und Personalplanung in der Transformation
Das Vorschlags- und Beratungsrecht zur Beschäftigungssicherung soll nach den Vorschlägen des DGB zum Mitbestimmungsrecht ausgebaut werden. Somit kann auch hier die Einigungsstelle verbindlich entscheiden (§ 92a Abs. 2 DGB-GE). Von der Personalplanung hängt für Beschäftigte eine Menge ab. Gute Personalplanung schützt vor Entgrenzung und Überlastung, sie sichert Beschäftigung und fördert Gleichstellung. Daher soll die Personalplanung in Unternehmen mit mehr als 20 Beschäftigten der Mitbestimmung des Betriebsrats unterliegen (§ 92 Abs. 1 DGB-GE). Wenn es um Vereinbarkeit von Familie und Beruf, Gleichstellung von Frauen und migrantischen Beschäftigten oder die Eingliederung Schwerbehinderter geht, gilt das auch in kleineren Unternehmen (§ 92 Abs. 3 DGB-GE). 
Bei der Berufsbildung gibt es schon heute ein Initiativrecht der Betriebsräte. Bei Meinungsverschiedenheiten darf zwar eine Einigungsstelle eingeschaltet werden, allerdings ohne Einigungszwang. Daher sieht der Gesetzentwurf des DGB ein generelles Initiativ- und Mitbestimmungsrecht bei der Ein- und Durchführung von betrieblichen Weiterbildungsangeboten vor, das auch über eine Einigungsstelle erzwingbar sein soll (§ 97 Abs. 2 DGB-GE).
Die Mitbestimmung in wirtschaftlichen Angelegenheiten bei Betriebsänderungen wird gestärkt (§§ 111, 112 DGB-GE). Ein Interessenausgleich soll u. a. erzwingbar werden.

Schutz der Persönlichkeitsrechte 
Auch technischen Entwicklungen trägt der Reformvorschlag Rechnung, um Lücken im Schutz von Persönlichkeitsrechten zu schließen: Digitale Technik wie künstliche Intelligenz muss mitbestimmt sein, insbesondere um den Schutz von Beschäftigtendaten zu gewährleisten. Nach den Vorstellungen des DGB soll der Betriebsrat bei Maßnahmen hierfür initiativ werden können und mitbestimmen (§ 87 Abs. 1 Nr. 6a und 6b DGB-GE).

Grenzüberschreitende Mitbestimmung
Grenzüberschreitende Strukturen der Beschäftigung verbreiten sich zunehmend. Das Betriebsverfassungsgesetz ist dagegen weiterhin an nationalstaatliche Grenzen gebunden. Schon heute ist es möglich, durch Tarifverträge Gremien zu bilden, die unter Umständen besonderen Unternehmensstrukturen angepasst sind. Diese Möglichkeit soll gestärkt werden (§ 3 DGB-GE).
Zudem soll eine internationale Vernetzung der Betriebsratsgremien ermöglicht werden, indem festgelegt wird, dass der Arbeit-geber auch diese Kosten tragen muss. Der Wirtschaftsausschuss soll auch für Unternehmensbeschäftigte im Ausland geöffnet werden (§ 3a, § 40, § 107 Abs. 1 DGB-GE).
Bei einer ausländischen Konzernspitze wird die Mitbestimmung auf Konzernebene sichergestellt, wenn keine inländische Teilkonzernspitze besteht (§ 54 DGB-GE).

Reichweite des Gesetzes 
Die Reichweite der Betriebsverfassung wird durch die gesetzliche Definition des Arbeitnehmer- und Betriebsbegriffes festgelegt. Sie ist nicht mehr zeitgemäß und soll daher erweitert werden. Sie muss betriebliche Realitäten erfassen, in denen Leiharbeit, Werkverträge, arbeitnehmerähnliche Personen sowie Plattformarbeit durch Strukturen verknüpft werden, die nicht mehr durch einen gemeinsamen Arbeitsort definiert werden, sondern durch wirtschaftliche Entscheidungen des Arbeitgebers (§§ 1, 5 DGB-GE).
Den sogenannten Tendenzschutz und die Ausnahmeregelung für Religionsgemeinschaften soll es in der bisherigen Form nicht mehr geben (§ 118 DGB-GE). Tendenzbetriebe sollen nicht länger ausgenommen werden. Das Gesetz soll damit auch auf Religionsgemeinschaften Anwendung finden, jedoch ohne Mitbestimmungsrechte im Zusammenhang mit verkündungsnahen Tätigkeiten. 

Demokratiezeit und Beschäftigtenrechte
Beschäftigte brauchen Zeit für Demokratie und Beteiligung. Eine Stunde pro Woche sollen sie von der Arbeit freigestellt werden, um ihre Beteiligungsrechte wahrnehmen zu können (§ 81 Abs. 5 DGB-GE). Zudem wird die Meinungsfreiheit der Beschäftigten gestärkt, indem klargestellt wird, dass sie auch außerhalb des Betriebs zu betrieblichen Fragen Stellung nehmen dürfen (§ 82a DGB-GE), und ihr Beschwerderecht gestärkt.
Zu jedem Personalgespräch soll ein Betriebsrat hinzugezogen werden können. Das schützt, wenn z. B. ein Aufhebungsvertrag vorgelegt wird.

Stärkung der Betriebsratsarbeit, Erleichterung von Gründungen
Der Koalitionsvertrag der Ampel sieht vor, dass die Behinderung von Betriebsratswahlen und Behinderung von Betriebsarbeit über eine Einstufung als Offizialdelikt nachhaltiger unterbunden werden soll. Auch der Gesetzentwurf des DGB sieht eine entsprechende Formulierung vor (§ 119 DGB-GE). Ebenso wird beim Kündigungsschutz nachgefasst. Ein häufiges Problem ist der Ausspruch fristloser Kündigungen von Beschäftigten, die Wahlen initiieren, und die der Arbeitgeber unter einem Vorwand ausspricht, wenn er die Betriebsratswahl verhindern will. Hier ist vorgesehen, dass in solchen Fällen eine Bestätigung durch das Arbeitsgericht erforderlich ist.  Auch befristet Beschäftigte und arbeitnehmerähnliche Personen sollen besser geschützt werden, um der häufig bestehenden Angst entgegenzuwirken, im Betriebsrat aktiv zu sein. Außerdem soll der Schutz von Mandatsträgern auf Beschäftigte im dualen Studium ausgedehnt werden. Betriebsräte sollen zudem leichter gegründet werden können. Dazu sind in betriebsratslosen Betrieben einmal im Jahr Versammlungen vorgesehen, in denen über die Möglichkeit einer Betriebsratswahl informiert wird. Dazu können (sofern vorhanden) Gesamt- oder Konzernbetriebsrat einladen oder auch eine im Betrieb vertretene Gewerkschaft. Wenn sie es nicht tun, muss der Arbeitgeber diese Ver-sammlungen abhalten und die Gewerkschaft dazu einladen (§ 17 DGB-GE). Daneben sind Regelungen zur einfacheren Bestellung des Wahlvorstandes durch die im Betrieb vertretene Gewerkschaft vorgesehen. Der Wahlvorstand kann gegebenenfalls auch nur aus den Mitgliedern der im Betrieb vertretenen Gewerkschaft bestehen.  Mitbestimmte Vereinbarungen müssen eingehalten werden. Deshalb sieht der Entwurf Unterlassungs- und Beseitigungsansprüche gegen Arbeitgeber vor, die Absprachen zuwiderhandeln (§ 74 DGB-GE). Ein digitales gewerkschaftliches Zugangsrecht wird explizit geregelt (§ 2 DGB-GE).

Mit dem konkreten Vorschlag liegt der Ball für die im Koalitionsvertrag vorgesehene „Weiterentwicklung“ der betrieblichen Mitbestimmung nun im Feld der Politik.
 

Den Entwurf im Wortlaut gibt es unter www.hugo-sinzheimer-institut.de (pdf)

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