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HBS Böckler Impuls

Aufsichtsräte: Mitbestimmung erweitert den Horizont

Ausgabe 01/2015

Arbeitnehmervertreter bringen zusätzliche Perspektiven in die Aufsichtsratsarbeit ein und erhöhen den Frauenanteil. Auch Vertreter der Kapitalseite empfinden das als Bereicherung.

Auf die Mischung kommt es an: Das gilt für Zement, Wertpapierportfolios und Müsli. Dass es auch auf Aufsichtsräte zutrifft, zeigen Mihael Duran und Kerstin Pull. Die Wirtschaftswissenschaftler von der Universität Tübingen haben untersucht, inwiefern Mitbestimmung Aufsichtsräte vielfältiger macht und welche Auswirkungen das auf deren Funktionsweise hat. Das Ergebnis ihrer von der Hans-Böckler-Stiftung unterstützten Studie: Arbeitnehmervertreter verbreitern die Wissensbasis und tragen zu einem ausgewogeneren Geschlechterverhältnis bei. Beides dürfte sich positiv auf die Aufsichtsratsarbeit auswirken.

Aus theoretischer Sicht spricht laut Duran und Pull einiges dafür, dass Vielfalt die Leistungsfähigkeit von Gruppen erhöht. Unterschiedliche Persönlichkeiten dürften demnach dieselbe Situation anders beurteilen, heterogene Teams also über mehr Perspektiven verfügen. Außerdem sei davon auszugehen, dass sich die Mitglieder solcher gemischten Teams in ihren Kenntnissen und Fähigkeiten ergänzen. Andererseits gehe Vielfalt möglicherweise mit einem erhöhten Risiko von Konflikten und Verständigungsproblemen einher.

Um einen Eindruck davon zu gewinnen, wie sich diese Zusammenhänge in Aufsichtsräten darstellen, haben die Forscher 13 Aufsichtsratsmitglieder interviewt: acht Arbeitnehmervertreter, darunter drei Frauen, und fünf Vertreter der Kapitalseite. Darüber hinaus haben sie Lebensläufe und Unternehmensdaten ausgewertet. Die Interviewpartner verfügen über Erfahrungen aus insgesamt über 40 Mandaten bei deutschen Unternehmen unterschiedlicher Branchen mit bis zu 22.000 Mitarbeitern.

Alles in allem, so Duran und Pull, seien sich die Befragten einig, dass sich Mitbestimmung positiv auf die Zusammensetzung und Arbeitsweise von Aufsichtsräten auswirkt: „Die Unterschiedlichkeit von Wissensbeständen und Kompetenzen wird allgemein als produktiv und zielführend angesehen.“ Arbeitnehmervertreter aus den Reihen der Belegschaft könnten vor allem ihr spezifisches Wissen über interne Prozesse einbringen. Vertreter der Anteilseigner heben hervor, wie nah diese Kollegen „am Puls der Belegschaft“ sind, und loben die Verpflichtung gegenüber dem Unternehmenswohl.

Gewerkschaftsvertreter sind der Analyse zufolge oft gut informiert über Entscheidungsprozesse in vergleichbaren Unternehmen und über das Branchenumfeld – etwa weil sie Mandate in anderen Aufsichtsräten wahrnehmen. Zudem verfügten sie über spezifisches fachliches Wissen, beispielsweise als Juristen oder Betriebswirte. Darüber hinaus könnten sie zum Teil mit internationalen Erfahrungen aus Euro-Betriebsräten oder gewerkschaftlichem Engagement auf europäischer Ebene aufwarten.

Zugleich hätten die Interviews gezeigt, dass die Kapitalvertreter oft keine genaue Vorstellung über die Unterschiede in den Wissensbeständen und Kompetenzen zwischen den beiden Gruppen der Arbeitnehmer haben, schreiben die Wissenschaftler. Die Vertreter der Beschäftigten würden eher als homogene Bank wahrgenommen. Das heiße, dass die Anteilseigner die Expertise der Arbeitnehmerseite eher noch unterschätzen.

Dass Mitbestimmung zu einem höheren Frauenanteil in Aufsichtsräten beiträgt, bewerten die Befragten einhellig positiv – auch wenn sich die Kapitalvertreter zugleich gegen eine feste Quote aussprechen. Laut männlichen Interviewpartnern ändern sich die „Kultur“ und das „Klima“ der Diskussionen, wenn Frauen dabei sind. Zu begrüßen sei, dass Frauen „eine andere Sicht auf die Dinge haben und auch mal andere Themen ansprechen“. Die weiblichen Aufsichtsratsmitglieder selbst beschrieben sich als fleißiger und kritischer, aber auch zurückhaltender als Männer. Dass der Frauenanteil auch auf der Seite der Anteilseigner langfristig zunehmen dürfte, könnte nach Einschätzung der Autoren dazu beitragen, Verwerfungen zwischen den Bänken abzubauen.

Insgesamt, so das Fazit von Duran und Pull, stützen die Ergebnisse die Vermutung, dass Arbeitnehmervertreter eine wichtige Funktion erfüllen: „Sie repräsentieren unterschiedliche Wissensträgertypen und vergrößern damit die fachliche Diversität.“ Dieser positive Beitrag werde ausdrücklich auch von Anteilseignern anerkannt.

  • Die Mehrheit der weiblichen Aufsichtsratsmitglieder wird von der Arbeitnehmerseite entsandt. Zur Grafik

Mihael Duran, Kerstin Pull: Der Beitrag der Arbeitnehmervertreter zur fachlichen und geschlechtlichen Diversität von Aufsichtsräten: Erkenntnisse aus einer qualitativ-explorativen Analyse, in: Industrielle Beziehungen 4/2014

Zum Projekt der Forschungsförderung: Zusammensetzung, Effektivität und Erfolgsbedingungen mitbestimmter Aufsichtsräte

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