zurück
HBS Böckler Impuls

Beschäftigung: Höhere Löhne, weniger Arbeitslosigkeit

Ausgabe 11/2015

Geringe Lohnsteigerungen erhöhen die Gewinne. In der Folge nehmen angeblich Investitionen, Wirtschaftswachstum und die Zahl der Arbeitsplätze zu. Von historischen Fakten ist diese Theorie allerdings nicht gedeckt.

Wenn konservative Ökonomen die Gründe für das Wirtschaftswunder der 1950er-Jahre aufzählen, fehlt selten der Hinweis auf die seinerzeit vermeintlich bescheidenen Gewerkschaften: Erst ihre Zurückhaltung habe hohe Wachstumsraten und den beinahe vollständigen Abbau der Arbeitslosigkeit möglich gemacht. Aber stimmt die Erzählung von den genügsamen Gewerkschaften überhaupt? Erik Bengtsson von der Universität Göteborg hat untersucht, wie sich die Löhne in der Bundesrepublik entwickelt haben.

Es zeigt sich: Die Reallohnsteigerungen der Jahre ab 1955 blieben keineswegs hinter dem Produktivitätsfortschritt zurück. Im Gegenteil: In der bis Mitte der 1970er-Jahre andauernden wirtschaftlichen Blütephase führten die Lohnabschlüsse zu einer langsamen, aber stetigen Umverteilung zugunsten der Arbeitnehmer. Geringer als die Produktivitätssteigerungen fielen die Lohnzuwächse erst in der, so Bengtsson, „neoliberalen Phase“ von 1980 bis 2010 aus, ohne dass deshalb die inzwischen aufgekommene Massenarbeitslosigkeit verschwunden wäre. Die Gleichung, nach der eine schwache Lohnentwicklung Investitionen und Investitionen neue Arbeitsplätze bedeuten, gehe offenbar nicht auf. Umgekehrt gelte: „Tatsächlich können Lohnquoten steigen, ohne zu höherer Arbeitslosigkeit zu führen.“ Unter anderem, weil höhere Löhne mehr Kaufkraft und damit mehr Nachfrage bedeuten.

Bengtssons Beobachtungen stellen außerdem noch ein weiteres verbreitetes Gedankenmodell infrage. Häufig werde argumentiert, dass zentralisierte Lohnverhandlungen und starke Gewerkschaften – beides typisch für die guten Jahre vor Beginn der Massenarbeitslosigkeit – Lohnzurückhaltung begünstigen. So hätten Kapital und Arbeit seinerzeit eng kooperiert, um per Lohnpolitik eine Win-win-Situation zu schaffen, in der neue Arbeitsplätze entstehen. Bei genauem Blick auf die Daten stellen sich die Zusammenhänge jedoch anders dar: Starke Gewerkschaften erreichen substanzielle Einkommenszuwächse für die Beschäftigten. Durch Politik, globalen Wettbewerb und hohe Arbeitslosigkeit geschwächte Arbeitnehmerorganisationen haben dagegen schlechtere Karten. Die Folge ist nach Bengtssons Analyse kein Beschäftigungszuwachs, sondern zunehmende Ungleichheit.

  • Lohnzurückhaltung schafft keine neuen Arbeitsplätze Zur Grafik

Erik Bengtsson: Lohnzurückhaltung und Lohnmilitanz: Belgien, Deutschland und die Niederlande 1950–2010, in: WSI-Mitteilungen 4/2015

Impuls-Beitrag als PDF

Zugehörige Themen

Der Beitrag wurde zu Ihrerm Merkzettel hinzugefügt.

Merkzettel öffnen