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HBS Böckler Impuls

Bildungsfinanzierung: Gezielter investieren - besser lernen

Ausgabe 19/2005

Jeder zehnte erwirtschaftete Euro wird in Deutschland für Bildung, Forschung und Wissenschaft ausgegeben. Mehr als ein Viertel der gesamten Bevölkerung ist tagtäglich mit institutionalisierter Bildung befasst. Und trotzdem: International gemessen ist das deutlich zu wenig. Bildungsforscher Klaus Klemm hat die dringendsten Reformen skizziert und im Modell eines Bildungshaushalts 2015 aufgerastert, wie Deutschland auf das Durchschnittsniveau der OECD-Länder kommen kann.

Die Wertschätzung von Bildung wird international am Anteil der öffentlichen Bildungsausgaben am Bruttoinlandsprodukt (BIP) gemessen. Für Deutschland ergibt dies kein gutes Bild: In den vergangenen 30 Jahren ist dieser Anteil deutlich geschrumpft - von 5,2 Prozent 1975 auf 4 Prozent 2002. Die kräftigen Investitionen in ostdeutsche Schulen und Hochschulen nach der Wende entpuppten sich als Zwischenhoch. In seiner Studie für die Friedrich-Ebert-Stiftung stellt der Forscher Klaus Klemm die Dimension dieser Zahlen am Haushalt 2002 klar: Ein Prozent entsprach 21,1 Milliarden Euro - doppelt so viel, wie in die gesamte Vorschul-Erziehung floss.

Bei internationalen Vergleichen hinkt Deutschland deutlich hinterher. Für den Erwerb von Wissen geben die Deutschen - private Ausgaben mitgerechnet - von ihrem Wohlstand ein halbes Prozent weniger aus als der Schnitt der OECD-Industrieländer. Bei öffentlichen Mitteln allein sind es sogar 0,7 Prozent Rückstand. Selbst OECD-Mitglieder wie Portugal, Polen und Mexiko zweigen trotz geringerer Wirtschaftskraft ein größeres Stück ihres BIP ab, Dänen und Südkoreaner gleich 1,8 Prozent mehr.

Bei seinen Bildungsausgaben weicht Deutschland  von international üblichen Mustern ab. "Deutschland konzentriert seine Bildungsausgaben stärker als andere Länder auf Personalausgaben", schreibt Klemm, "und dies weniger zu Gunsten eines großen Personalvolumens und mehr zu Gunsten vergleichbar günstiger Gehälter." Das Bildungssystem ist zudem auf lange Verweildauer eingerichtet, Absolventen anderer Länder sind in der Regel jünger. Das kostet viel, führt aber offenkundig nicht zu besseren Ergebnissen. Klemm spricht von "möglicherweise falsch eingesetzten Ressourcen".

Die Herausforderungen in der Bildungspolitik sind enorm. Klemm nennt eine Reihe von Gründen für umfassende Bildungsreformen und mehr Investitionen:

=> In den Industrieländern werden einfache Arbeiten knapp. Da der Strukturwandel gering Qualifizierten kaum Beschäftigungschancen bietet, kann es sich Deutschland nicht länger leisten, 15 Prozent eines Jahrgangs ohne abgeschlossene Ausbildung in das Arbeitsleben zu entlassen.

=> Die Zahl der Einwohner schrumpft und damit auch die der Arbeitskräfte.

=> Der Anteil der Kinder aus bildungsfernen Schichten wird deutlich zunehmen. Schlecht ausgebildete Mütter bekommen heute mehr Kinder als Akademikerinnen. Zwischen 2003 und 2030 werden 5,6 Millionen Zuwanderer erwartet. Kinder aus unteren sozialen Schichten sowie Einwandererkinder ohne ausreichende Deutschkenntnisse zu unterrichten verlangt mehr Aufwand.

Seinen Modell-Etat für 2015 baut Klemm auf diesen Grundlagen auf: Er schreibt das Budget öffentlicher Bildungsausgaben im Jahr 2002 fort und berechnet zusätzliche Kosten für die dringendsten Verbesserungen. Im Plus verbucht er Milliarden-Einsparungen wegen der demografischen Entwicklung: Die Zahl der Kinder im Krippenalter sinkt bis dann auf 94 Prozent, die der Drei- bis Sechsjährigen auf 89 Prozent und die der Schüler auf 87 Prozent. Insgesamt hebt er Deutschland auf das Ausgaben-Niveau des OECD-Durchschnitts.

Bessere Kinderbetreuung soll es Eltern ermöglichen, Beruf und Familie zu vereinbaren. Außerdem scheint es Klemm geboten, die Bildungszeiten zu verkürzen, um einen früheren Berufsstart zu ermöglichen.

Vorschule: Die Betreuung der Kleinen soll Kinder früher fördern als heute und ihren Eltern den Rücken frei halten, wenn sie arbeiten möchten. Das Modell strebt mehr Plätze in Krippen und Kindergärten an und besser ausgebildete Betreuer.

Schulen: Wichtigstes Anliegen ist es, auch schwächere Schüler zu qualifizieren und sie bis zum Berufsabschluss zu bringen. Schüler sollen im Blick darauf schon in der Grundschule gezielte Unterstützung bekommen. Da viele Jugendliche im dualen System keinen Ausbildungsplatz erhalten, müssen künftig mehr Berufe in Schulen gelehrt werden.

Hochschulen: Klemm erwartet einen Anstieg der Studierenden von 1,9 auf 2,6 Millionen. Den Effekt möglicher Studiengebühren klammert er aus. Er plant mehr Ausgaben an den Universitäten und Fachhochschulen ein - zur Förderung der einzelnen Studierenden, zur besseren Ausstattung der Institute und für mehr Dozenten. Seit 1980 steigt die Zahl der Studierenden je Wissenschaftler. Klemm peilt eine Rückkehr zur damaligen Relation an. Eine gute Betreuung von mehr Studierenden könnten die deutschen Hochschulen im Jahr 2015 erreichen, wenn die Länder 7,4 Milliarden mehr investieren. Das wäre der größte Kraftakt, denn es müssen 61 Prozent auf das heutige Budget aufgeschlagen werden.

Lebenslanges Lernen: Eine Aufgabe des Staates ist es, Qualifizierung gerade schlecht Ausgebildeter stärker zu unterstützen, meint Klemm. Angebote zum Nachholen von Abschlüssen und generell zur Qualifizierung könnten den Bildungsschwachen helfen.

Nicht alle Bundesländer verfügen über die Finanzkraft, um in diese Zukunftsaufgaben zu investieren. Klemm regt an, die nötigen Bildungsausgaben beim Länderfinanzausgleich zu berücksichtigen. Schließlich muss der Staat für gleichwertige Lebensverhältnisse sorgen; ähnliche Bildungschancen zählen dazu.

  • Jeder zehnte erwirtschaftete Euro wird in Deutschland für Bildung, Forschung und Wissenschaft ausgegeben. Mehr als ein Viertel der gesamten Bevölkerung ist tagtäglich mit institutionalisierter Bildung befasst. Und trotzdem: International gemessen ist das deutlich zu wenig. Zur Grafik
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Klaus Klemm: Bildungsausgaben in Deutschland: Status Quo und Perspektiven, Studie im Auftrag der Friedrich-Ebert-Stiftung, 2005.
Gutachten zum Download.

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