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HBS Böckler Impuls

Löhne: Europa: Gerechter mit Tarif

Ausgabe 14/2018

Die Löhne in Europa steigen real nur moderat. Ein wichtiger Grund ist die unzureichende Tarifbindung.

Die gute Konjunktur lässt die Löhne in der EU nominal wieder stärker wachsen. Doch weil gleichzeitig die Inflation von einem extrem niedrigen auf ein normales Niveau zurückgekehrt ist, bleibt davon in etlichen Ländern preisbereinigt nicht viel übrig. 2017 legten die realen Effektivlöhne im EU-Schnitt nur um 0,4 Prozent zu, in  neun von 28 EU-Ländern sanken sie sogar. Im laufenden Jahr dürften sie um durchschnittlich ein Prozent steigen, leichte Verluste werden noch in Spanien und Kroatien erwartet. Das zeigt der Europäische Tarifbericht des WSI. Deutschland liegt mit einem Reallohnzuwachs von 0,9 Prozent 2017 und prognostizierten 1,5 Prozent 2018 deutlich über dem europäischen Durchschnitt, angesichts des stabilen Aufschwungs und der relativ niedrigen Arbeitslosigkeit fällt das inflationsbereinigte Plus aber auch hier moderat aus. Zudem ist der Niedriglohnsektor weiterhin groß, von soliden Zuwächsen bei den Tariflöhnen kommt dort mangels Tarifbindung nur ein Teil an.

Um europaweit auf einen „nachhaltigen und inklusiven Wachstumspfad zu kommen und die Ungleichheit zu bekämpfen“, sei eine höhere Reichweite von Tarifverträgen unerlässlich, schreiben die WSI-Forscher Malte Lübker und Thorsten Schulten. Länder mit geringer Lohnungleichheit – etwa Schweden, Belgien, Finnland und Dänemark – erreichen dies nach Analyse der Experten durch eine hohe Tarifbindung und starke Zentralisierung der Tarifverhandlungen. Deutlich ungleicher sind die Löhne in Osteuropa, wo vergleichbare Institutionen für kollektive Lohnverhandlungen fehlen. In Rumänien, Bulgarien und Lettland sind die Löhne der Besserverdienenden mindestens viermal so hoch wie die der Geringverdiener, verglichen mit einem Verhältnis von 2,3 in Schweden. Deutschland lag im Jahr 2016 nach OECD-Angaben mit einem Wert von 3,3 im europäischen Mittelfeld.

„Die Lohnspreizung ist einer der wesentlichen Einflussfaktoren für die gesamtgesellschaftliche Ungleichheit“, so die Forscher. Dazu kommen Veränderungen in der Lohnquote. Besonders stark sank der Anteil der Löhne an den Gesamteinkommen unter anderem in Zypern, Finnland, Portugal oder Spanien, wo sich eine Mischung aus Sparpolitik und Deregulierung bei der Lohnfindung auswirkte.

„Dabei sind es gerade die umverteilenden Wirkungen starker Tarifvertragsinstitutionen, die durch eine Erhöhung der Lohnquote und eine Reduzierung der Lohnspreizung eine inklusive Wirtschaftsentwicklung unterstützen können“, erklären Lübker und Schulten. Ein balanciertes Wachstum mit starker binnenwirtschaftlicher Komponente sei nicht nur mit Blick auf den gesellschaftlichen Zusammenhalt in Europa wichtig: „Eine weitere Zunahme der europäischen Leistungsbilanzüberschüsse und eine damit einhergehende Abhängigkeit vom Weltmarkt ist angesichts der drohenden Handelskonflikte insbesondere mit den USA mit großen Risiken behaftet.“

Aktuell hält in zahlreichen europäischen Ländern die Lohnentwicklung mit der Konjunktur und der anziehenden Inflation nur mühsam Schritt. Zwar prognostiziert die EU-Kommission, dass sich die nominalen Lohnzuwächse 2018 in 22 von 28 Staaten beschleunigen. Doch der neutrale Verteilungsspielraum, der sich aus der Summe von Inflation und Produktivitätszunahme ergibt, wird in immerhin zwölf Ländern nicht ausgeschöpft, so die WSI-Untersuchung. 2017 traf das sogar auf 17 EU-Staaten zu. Deutschland steht hier besser da: 2015 und 2016 war die Verteilungsbilanz aus Arbeitnehmersicht deutlich positiv, 2017 und wohl auch 2018 wird der Verteilungsspielraum ebenfalls ausgeschöpft.

Größer als in den meisten anderen nord- und westeuropäischen Staaten ist in der Bundesrepublik allerdings der Abstand zwischen niedrigen und mittleren Löhnen. Darin spiegelt sich laut WSI „die trotz Einführung des Mindestlohns weiterhin große Bedeutung des Niedriglohnsektors in Deutschland wider“. Zu einem Niedriglohn arbeiteten 2016 nach OECD-Daten 18,9 Prozent der Vollzeitbeschäftigten in Deutschland – das ist nach Irland mit 22,5 Prozent und Großbritannien mit 19,3 Prozent der dritthöchste Wert in Westeuropa und deutlich mehr als beispielsweise in Finnland mit 7,1 Prozent oder Belgien mit 4,6 Prozent. 

Malte Lübker, Thorsten Schulten: Europäischer Tarifbericht des WSI – 2017/2018: Lohnentwicklung und Ungleichheitsdynamiken (pdf), WSI-Report Nr. 42, September 2018

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