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Björn Hayer ist schon mit 33 Jahren habilitiert Stipendien

Altstipendiat: Der rationale Melancholiker

Ausgabe 02/2021

Björn Hayer ist schon mit 33 Jahren habilitiert. Er denkt rational, aber verfasst einfühlsame Gedichte. Von Andreas Schulte

Ein großes Foto von einem Mann, der einsam von einer Mole auf das Meer blickt, dominiert Björn Hayers kleines Büro an der Universität Landau. „Es spiegelt meine melancholische Seite“, erläutert der Privatdozent. Doch man mag es kaum glauben. Melancholie? Wo soll denn einer wie er auch noch Zeit für Traurigkeit und Schwermut hernehmen? Einer wie er, der in Überschallgeschwindigkeit alle akademischen Qualifikationsschritte abreißt, als wären sie nur Kreuzworträtsel – und nicht nur das.

Schon mit 33 Jahren hat Hayer seine Habilitation als Germanist in der Tasche, er ist neben seiner Dozententätigkeit für fast alle angesehenen Zeitungen Deutschlands als Theater- und Literaturkritiker unterwegs, er hat sich als Tierethiker bundesweit einen Namen gemacht, und er sitzt den Grünen im Kreis Südwestpfalz vor. Vielleicht wird er demnächst noch Jura studieren. „Nebenbei“ sagt er ganz ohne Arroganz im leichten Pfälzer Dialekt.

In Wörth in der Pfalz ist er zur Schule gegangen. Die Mutter alleinerziehend, das Geld ist knapp – sogar für Schulbücher. „Es war auch immer mein Antrieb, dieser Situation zu entkommen“, sagt Hayer. Schon als Teenager ist er bei den Grünen aktiv, das Abi macht er mit 1,8. Ein Stipendium der Hans-Böckler-Stiftung ermöglicht ihm das Germanistikstudium in Mainz, Nebenfächer Politik und Philosophie. Er absolviert Praktika bei der Süddeutschen Zeitung und der FAZ. Magister, Promotion und Habilitation hakt er locker nacheinander ab. Die Liste seiner Veröffentlichungen im medialen und wissenschaftlichen Diskurs ist länger als die so manch eines emeritierten Professors.

Dabei hatte Hayer die akademische Karriere nicht einmal von langer Hand geplant. „Noch vor meinem Magister war ich an einem Punkt, da hätte ich für die Grünen in den Landtag kommen können. Aber ich wollte meine Themen nicht aufgeben. Deshalb bin ich kürzergetreten.“ Vor allem mit seiner Haltung zur Tierethik eckt er in Teilen der Partei an. Hayer, selbst Vegetarier, spricht Tieren ein Grundrecht auf die Unversehrtheit des Körpers zu. „Damit werden Sie bei den Grünen nicht gewählt. Viele bezeichnen meine Haltung als radikal. Dabei handeln doch diejenigen radikal, die Fleisch essen. Sie nehmen dem Tier das Recht auf Dasein.“

Als Politikwissenschaftler spricht Hayer von einer Veroberflächlichung der Gesellschaft. Er beklagt Raubtierkapitalismus, Smartphonisierung sowie Egomanie der vergangenen Jahre und schreibt in einem bald erscheinenden Essayband zum Thema Utopien dagegen an. „Die Politik hat immer auf Appelle gesetzt: Verbraucher entscheiden, ob sie bio essen oder nicht, ob sie E-Mobilität wollen oder nicht“, sagt er. „Aufgrund der globalen Situation können wir uns eine solche Freiwilligkeit nicht mehr leisten.“ Sein Rezept: ein strengerer Staat. „Die Regierung muss mehr Werte setzen.“

Das klingt harsch. Aber die kühle Sicht auf die Gesellschaft zeigt nur die eine, die rationale Seite des Verdi-Mitglieds. Zwar folgt der Arbeitstag des Workaholics, wie er sich selbst nennt, einem strengen Muster, doch der feste Stundenplan birgt eine Überraschung: Neben starren Zeiten für akademische und journalistische Texte findet sich auch ein Fenster für die eigene Lyrik.

Innere Eingebung nach Stundenplan, kann das gut gehen? Bei einem Erfolgsmenschen wie Hayer schon. Ein erster Band mit seinen Werken ist bereits veröffentlicht, ein zweiter erscheint demnächst. Er verehrt Dichter der literarischen Moderne und des Expressionismus wie Georg Trakl und Rainer Maria Rilke. Auch die Stimmung seiner Zeilen sei durchaus melancholisch, räumt er ein. Seinen Spagat zwischen abgeklärtem Denken und einfühlsamer Lyrik empfindet er nicht als Widerspruch. „Das ist meine produktive Zerrissenheit.“

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