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Förderprogramm: Die Kunst, von der Kunst zu leben

Ausgabe 03/2023

Für eine Diskussion über Arbeits­bedingungen in der Kultur könnte kaum ein Ort geeigneter sein als die Ruhrfestspiele. Studierende des Stipendien­programms der Hans-Böckler-Stiftung nutzen den Rahmen. Von Fabienne Melzer

Kunst und faire Bezahlung gehen selten zusammen. Das weiß Ceren Yildirim. Die 25-Jährige studiert Theaterwissenschaft mit einem Stipendium der Hans-Böckler-Stiftung und kennt die Arbeitsbedingungen am Theater. Stipendiat Omid Arabbay studiert Fotografie in Leipzig und hat ähnliche Erfahrungen gesammelt. Da dürfte doch Industriedesign bessere Aussichten versprechen. Merle Nau, ebenfalls Stipendiatin der Hans-Böckler-Stiftung, studiert Industriedesign in Halle und runzelt die Stirn: „Vielleicht wenn man schicke Autos designen will.“ Für sich selbst hat die 23-Jährige allerdings andere Pläne. Die drei überraschte daher nicht, was sie beim Besuch der Ruhrfestspiele in Recklinghausen über die Arbeitsbedingungen in der Kunst erfuhren.

Die Hans-Böckler-Stiftung hatte gemeinsam mit den Ruhrfestspielen Studierende aus dem Stipendienprogramm zu einem dreitägigen Besuch eingeladen. Neben zwei Inszenierungen stand auch ein Gespräch über Arbeitsbedingungen in der Kunst auf dem Programm. Die Ruhrfestspiele entstanden nach dem Krieg aus dem Tausch von Kunst gegen Kohle. Hamburger Theaterschaffende bedankten sich 1947 bei den Recklinghäuser Bergleuten mit einem Auftritt. Ohne ihre Kohle als Akt der Solidarität  hätten sie im Winter in Hamburg nicht weiterspielen können. Den Wert der Kunst für die Gesellschaft schätzt auch Stefan Körzell, Mitglied des DGB-Bundesvorstands und im Aufsichtsrat der Ruhrfestspiele, hoch ein: „Kunst und Kultur sind Ausgangspunkt für Dialog und Diskurs, sind also Teil einer demokratischen Verständigung.“ Das Festival stehe für einen kritischen Diskurs zu Arbeitsbedingungen, sozialen und gesellschaftlichen Entwicklungen in Deutschland, Europa und weltweit.

Doch wie steht es um die Arbeitsbedingungen in der Szene selbst? Kunstschaffende wollen sich selbst verwirklichen, nicht entfremdet arbeiten, ohne Hierarchien und basisdemokratisch, skizziert Kai van Eikels, Akademischer Oberrat für Theaterwissenschaft an der Ruhr-Universität Bochum, die Motivation in der Szene. Manche arbeiten in festen Gruppen über Jahre zusammen. „Die Gruppe bildet eine Trutzburg gegen den Rest der Welt, in der man sich gegenseitig unterstützt“, sagt van Eikels. Gleichzeitig schwanken die Gruppenmitglieder ständig zwischen Solidarität und Konkurrenz um die Fördertöpfe.

Anerkennung wird oft gegen Geld ausgespielt.“

Kai van Eikels, Akademischer Oberrat für Theaterwissenschaft

Für die meisten messe sich der Wert ihrer Arbeit in Anerkennung durch das Publikum und durch Profis. „Anerkennung wird da oft gegen Geld ausgespielt“, sagt van Eikels. Wer ein Projekt ablehnt, weil er für ein paar Euro pro Stunde nicht arbeiten will, riskiert beim nächsten, besser bezahlten, nicht dabei zu sein, und erntet nichts von dem möglichen Erfolg. Die Frage, ob man von seiner Kunst Miete und Strom zahlen kann, rückt dahinter meist zurück.

Olaf Kröck, Intendant der Ruhrfestspiele, kennt alle Seiten des Geschäfts. Er arbeitete in einer freien Theatergruppe, schrieb Anträge und saß in Jurys, die über Anträge entschieden haben. Daher weiß er: „Der erste Impuls fragt nicht nach dem Gegenwert.“ Aber das gelte nicht nur am Theater. „Das gibt es auch in der Medizin.“ Auch dort werde der Idealismus ausgenutzt, mit dem Menschen ihren Beruf ausüben.

Im Gegensatz zu der freien Szene bietet das Engagement an einem Theater eine gewisse Sicherheit. Hier gilt der Tarifvertrag Bühne, der eine Mindestgage von 2550 Euro vorschreibt. Die Schauspielerin Regina Leenders ist Mitglied am Theater Oberhausen. Die Strukturen in einem Theater findet sie hilfreich, aber sie vermisst Mitbestimmung: „Es wird immer über die Künstler entschieden.“ Dieses Phänomen bestätigt auch Kröck: „Die meiste Macht in den In­stitutionen haben diejenigen, die am wenigsten beklatscht werden.“ Doch es fällt der Szene schwer, einheitliche Forderungen zu stellen.

Die Kleinteiligkeit, die Offenheit, die die Kultur einerseits auszeichnet, mache es andererseits schwer, gewerkschaftliche Strukturen auf die Kunst zu übertragen.

Die Studentin der Theaterwissenschaften, Ceren Yildirim, vermisst allerdings noch etwas anderes: „Hochschulen und Schauspielschulen sind sehr elitär“, kritisiert sie. Wer nicht schon vom Elternhaus künstlerisch gefördert wurde, habe kaum eine Chance, dort aufgenommen zu werden. „Aber brauchen nicht auch Menschen eine Chance, deren Eltern ihnen die Ballettschule nicht bezahlen konnten?“, fragt Ceren Yildirim.

Olaf Kröck sieht den Zugang nicht so eng. Es gebe keine Zugangskriterien, vielmehr komme es darauf an, ob die Kunst einen Markt findet. Kröck macht den angehenden Kulturschaffenden auch Hoffnung auf bessere Arbeitsbedingungen: „Immer mehr Häuser können Stellen nicht besetzen. Eure Generation hat keinen Bock mehr auf diese Ausbeutung.“

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