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HBS Böckler Impuls

Arbeitsmarkt: Acht Millionen mit Niedriglohn

Ausgabe 06/2012

Fast jeder vierte Beschäftigte in Deutschland ist Niedrigverdiener. Ein gesetzlicher Mindestlohn könnte den Trend zur schlechten Bezahlung stoppen.

Der Niedriglohnsektor hat sich auf hohem Niveau verfestigt, zeigen Thorsten Kalina und Claudia Weinkopf vom Institut Arbeit und Qualifikation (IAQ) der Universität Duisburg-Essen in einer aktuellen Untersuchung. Im Jahr 2010 erhielten 23,1 Prozent aller Beschäftigten in der Bundesrepublik ein Niedrigentgelt. Die Quote war nur geringfügig geringer als im Krisenjahr 2009. Die Wissenschaftler folgern: Ein gesetzlicher Mindestlohn für alle Branchen wäre dringend nötig.

Die IAQ-Forscher stützen ihre Berechnungen auf Daten des Sozio-oekonomischen Panels. Sie setzen die Niedriglohnschwelle bei zwei Dritteln des mittleren Brutto-Stundenlohns an – im Jahr 2010 waren das 9,15 Euro. Bezieht man Schüler, Studierende und Rentner ein, gab es fast 8 Millionen Niedriglohnbeschäftigte in Deutschland. Seit 1995, so die Analyse, hat die Zahl der Betroffenen um 2,3 Millionen zugenommen. Besonders drastisch war die Entwicklung im Westen: Zwischen 1995 und 2010 war in den alten Bundesländern ein Anstieg um 68 Prozent zu verzeichnen, in Ostdeutschland um 3 Prozent.

Durchschnittlich betrugen die Stundenlöhne im Niedriglohnsektor 6,68 Euro in West- und 6,52 Euro in Ostdeutschland, lagen also deutlich unter der Schwelle von 9,15 Euro. Gut 2,5 Millionen Beschäftigte verdienten 2010 weniger als 6 Euro pro Stunde. Darunter waren fast 800.000 Vollzeitbeschäftigte. Sie mussten also mit einem Monatslohn von weniger als 1.000 Euro auskommen. Insgesamt 1,4 Mil­lionen Menschen verdienten sogar weniger als ­5 Euro die Stunde.

Fast ein Drittel der Niedriglöhner erhielt damit eine besonders geringe Bezahlung. „Solche niedrigen Stundenlöhne sind auch häufig die Ursache dafür, dass das Erwerbseinkommen nicht zur Existenzsicherung reicht und aufstockende Leistungen des Staates in Anspruch genommen werden müssen“, kritisieren Kalina und Weinkopf.

Minijobber und junge Beschäftigte mit höchstem Niedriglohn-Risiko. Differenziert man verschiedene Gruppen am Arbeitsmarkt, dann haben Beschäftigte mit Minijobs das höchste Niedriglohnrisiko. Die Gehälter von 71 Prozent der geringfügig Beschäftigten lagen 2010 unterhalb der Niedriglohnschwelle. Zudem sind extrem niedrige Löhne besonders verbreitet: Knapp ein Viertel aller Minijobber verdiente 2010 unter 5 Euro, 36 Prozent unter 6 Euro. Auch junge und befristet Beschäftigte sowie Ausländer müssen sich nach der IAQ-Analyse überdurchschnittlich oft mit Niedriglöhnen zufrieden geben.

80 Prozent haben eine Ausbildung. Personen ohne abgeschlossene Berufsausbildung sind ebenfalls besonders gefährdet – 38 Prozent von ihnen waren 2010 Niedrigverdiener. Das heißt allerdings nicht, dass schlechte Bezahlung ein Problem nur für Geringqualifizierte wäre: Die große Mehrheit der Niedriglohnbeschäftigten – rund 80 Prozent – hat laut IAQ eine abgeschlossene Berufsausbildung oder sogar einen akademischen Abschluss.

Ein probates Gegenmittel wäre eine verbindliche Lohnuntergrenze: „Bei Einführung eines gesetzlichen Mindestlohnes von 8,50 Euro hätte jeder fünfte Beschäftigte Anspruch auf eine Lohnerhöhung“, so die Duisburger Wissenschaftler. Ein Viertel der Frauen und knapp 15 Prozent der Männer würden von einer entsprechenden Regelung profitieren. In Westdeutschland wären das 17 Prozent der Beschäftigten, in den neuen Bundesländern könnte sogar jeder dritte Arbeitnehmer durch einen Mindestlohn besser gestellt werden. Allerdings, mahnen die Forscher, „müsste eine solche Untergrenze für alle Branchen und Beschäftigtengruppen gelten und nicht nur für die wenigen Bereiche, in denen es keinerlei tarifliche Regelung gibt“.

  • Die große Mehrheit der Niedriglohnbeschäftigten hat eine abgeschlossene Berufsausbildung oder einen akademischen Abschluss. Zur Grafik
  • Im Jahr 2010 erhielten 23,1 Prozent aller Beschäftigten in Deutschland ein Niedrigentgelt. Die Quote war nur geringfügig geringer als im Krisenjahr 2009. Zur Grafik

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