zurück
HBS Böckler Impuls

Arbeitsmarkt: Minijobs befördern Boom bei Nebenjobs

Ausgabe 15/2019

Seit Jahren nimmt die Zahl der Nebenjobber zu. Der wichtigste Grund dafür ist die Minijob-Reform von 2003.

Vier Millionen Menschen in Deutschland gehen aktuell mehr als einer Beschäftigung nach. Das entspricht knapp neun Prozent aller Beschäftigten. Die Zahl und der Anteil der Mehrfachbeschäftigten haben sich seit 2003 mehr als verdoppelt. „Der Anstieg der Nebenbeschäftigungen ist in Deutschland einzigartig“, schreiben Sabine Klinger und Enzo Weber vom Institut für Arbeitsmarkt und Berufsforschung (IAB). In keiner der zehn größten europäischen Volkswirtschaften habe es eine ähnliche Entwicklung gegeben.

Einen Nebenjob haben der Analyse zufolge überdurchschnittlich häufig Frauen, Menschen mit Migrationshintergrund und Menschen im mittleren Alter. Der Anteil liegt deutlich höher in den südlichen Bundesländern. In Ostdeutschland sind die Nebenjobquoten halb so hoch wie im Westen. „Nebenjobs gibt es vor allem in den reichen Bundesländern mit viel Industrie. Daraus zu schlussfolgern, mit Nebenjobs sei keine prekäre Situation verbunden, wäre aber voreilig“, schreiben Klinger und Weber.

Die Mehrfachbeschäftigten verdienen im Schnitt in ihrem Hauptberuf gut 600 Euro im Monat weniger als Einfachbeschäftigte. Zum Teil liegt das daran, dass sie überdurchschnittlich häufig in Teilzeit arbeiten. Aber auch wenn man den Teilzeit-Effekt herausrechnet, bleibt eine Einkommensdifferenz von monatlich circa 500 Euro in der Hauptbeschäftigung. „Dieser Unterschied hängt auch damit zusammen, dass Nebenjobber häufiger Dienstleistungsberufe mit geringerem Entgelt ausüben, während Personen mit typischerweise besser bezahlten Berufen wie Ingenieur, Chemiker oder Techniker seltener einen Nebenjob haben“, so die Forscher. Nicht nur mit ihrer Hauptbeschäftigung, auch mit ihrer Nebenbeschäftigung sind die Nebenjobber überwiegend als Dienstleister tätig. Beispiel: Zwölf Prozent der Menschen mit Zweitjob sind nebenberuflich im Gastgewerbe tätig, im verarbeitenden Gewerbe nur 6,9 Prozent. 

Auf der Suche nach Gründen für den erheblichen Anstieg der Mehrfachbeschäftigungen ist den Forschern ein Punkt besonders aufgefallen: die Minijob-Reform. Im Zuge der Hartz-Reformen wurde 2003 die Verdienstgrenze für Minijobs von 325 Euro auf 400 Euro  – inzwischen 450 Euro – angehoben, die zeitliche Begrenzung auf 15 Stunden pro Woche wurde fallengelassen. Vor allem aber sind geringfügige Beschäftigungen seither für die Arbeitnehmer von der Sozialversicherungspflicht und der Einkommensteuer freigestellt. „Die Änderungen im gesetzlichen Regelwerk haben die Stellung geringfügiger Nebenjobs gegenüber den Hauptjobs und gegenüber sozialversicherungspflichtigen Nebenjobs deutlich gestärkt“, schreiben die Wissenschaftler. „Schlagartig änderte sich im Jahr 2003 die eher stagnierende Bewegung bei der Zahl der Nebenjobber in einen steilen Aufwärtstrend.“ Dabei legte gerade die Kombination einer sozialversicherungspflichtigen mit einer geringfügigen Tätigkeit besonders stark zu. Beinahe 90 Prozent der Nebenjobber nutzen sie mittlerweile, acht Prozentpunkte mehr als noch 2003. Dagegen spielen andere Faktoren – wie etwa die Zunahme der Erwerbstätigkeit von Frauen – für den Anstieg der Mehrfachbeschäftigungen eine untergeordnete Rolle.

Die Forscher plädieren für eine Reform der Minijob-Reform: Erstens gebe es keinen sachlichen Grund, die Ausweitung der Arbeitsstunden in Form eines Mini-Nebenjobs besserzustellen als in einem sozialversicherungspflichtigen Neben- oder Hauptarbeitsverhältnis. Zweitens brächten kleine Nebenjobs gerade für die Personen, für die es besonders wichtig wäre, eine geringere soziale Sicherung und unsichere, wenig nachhaltige berufliche Perspektiven mit sich. Würde man die steuerliche Begünstigung von Minijobs als Nebenjob abschaffen, wären solche Arbeitsverhältnisse weniger attraktiv. Um damit nicht ausgerechnet den Schwächeren im Arbeitsmarkt die Verdienstmöglichkeiten zu nehmen, müssten Geringverdiener auf andere Weise unterstützt werden, etwa durch Entlastung bei den Sozialabgaben. „So könnten Anreize in die Richtung gesetzt werden, dass mehr sozialversicherungspflichtige Jobs mit einer größeren Stundenzahl entstehen“, schreiben Klinger und Weber.

Anmerkung: Nach einer kürzlich erfolgten Revision der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen 2019 liegt die Zahl der Mehrfachbeschäftigten aktuell bei vier Millionen, nicht wie in den WSI-Mitteilungen angegeben bei 3,4 Millionen.

  • Die Zahl der Mehrfachbeschäftigten hat sich seit 2003 mehr als verdoppelt. Zur Grafik

Sabine Klinger, Enzo Weber: Deutschland –Nebenjobberland (pdf), WSI-Mitteilungen 4/2019

Impuls-Beitrag als PDF

Zugehörige Themen

Der Beitrag wurde zu Ihrerm Merkzettel hinzugefügt.

Merkzettel öffnen