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HBS Böckler Impuls

Autoindustrie: Facharbeit sichert Beschäftigung

Ausgabe 14/2019

Die Arbeitsplätze in der Automobilbranche sind trotz Digitalisierung auf absehbare Zeit nicht in Gefahr. Qualifizierte Facharbeit wird noch wichtiger.

Wie es angesichts des digitalen Fortschritts um die Perspektiven der Beschäftigten im verarbeitenden Gewerbe steht, hat Martin Krzywdzinski vom Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB) und dem Weizenbaum-Institut für die vernetzte Gesellschaft am Beispiel der Automobilindustrie analysiert. Erhebliche Jobverluste sind demnach in nächster Zeit ebenso unwahrscheinlich wie Rückverlagerungen aus dem Ausland in größerem Umfang. Deutsche Standorte dürften sich noch stärker auf ihre Rolle als Vorreiter bei technologischen Innovationen spezialisieren.

Krzywdzinskis Analyse beruht auf Befunden diverser, zum Teil von der Hans-Böckler-Stiftung geförderter WZB-Projekte. Unter anderem sind die Ergebnisse einer Befragung von 142 Betriebsratsvorsitzenden in der Automobilzuliefererindustrie in die Untersuchung eingeflossen, die das WZB gemeinsam mit dem Stuttgarter IMU-Institut und der Beratungsgesellschaft Sustain Consult durchgeführt hat.

In der Diskussion über die Auswirkungen der Digitalisierung seien zwei Szenarien verbreitet, schreibt der Soziologe. Zum einen werde befürchtet, dass in großem Umfang Jobs der Automatisierung zum Opfer fallen. Zum anderen kursiere aber auch die Hoffnung, dass Produktivitätssteigerungen durch digitale Innovationen die Fertigung in Hochlohnländern attraktiver machen und damit zu Rückverlagerungen führen.

Beide Szenarien hält der Forscher für nur begrenzt plausibel. Denn ein Automatisierungsschub sei bislang nicht festzustellen. Das liege nicht zuletzt daran, dass die Industrie bereits in weiten Teilen automatisiert ist. Der Einsatz von Robotern sei schon lange üblich, in ihrem Haupteinsatzbereich – dem Karosseriebau – betrage der Automatisierungsgrad 90 Prozent. Das Wachstum des Roboterbestands in der deutschen Automobilindustrie habe sich zuletzt im Vergleich zu den 1990er-Jahren deutlich verlangsamt.

Gegen Rückverlagerung in großem Stil spreche auch das Tempo, mit dem sich neue Prozesstechnologien in multinationalen Konzernen verbreiten, so Krzywdzinski. Digitalisierung gehe einher mit der Standardisierung von Prozessen und Wissen; das erleichtere die Globalisierung von Wertschöpfungsketten. Zugleich erweiterten digitale Assistenzsysteme den Spielraum für Verlagerungen an Niedriglohnstandorte mit geringqualifizierter Belegschaft.

Langfristige Beschäftigungssicherung an Hochlohnstandorten ist laut dem Autor am besten möglich, wenn Betriebe als sogenannte Leitwerke fungieren, an denen neue Technologien erprobt und zur Serienreife gebracht werden. Aktuell seien bereits 40 bis 50 Prozent der deutschen Automobilzulieferer-Werke für die Einführung neuer Produkte und Produktionstechnologien zuständig, in Mittelosteuropa nur 20 bis 30 Prozent.

Vor diesem Hintergrund dürfte der Studie zufolge die Bedeutung von Facharbeit zunehmen. Bei den Betrieben mit Leitwerkrolle in der Zuliefererindustrie haben 60 bis 79 Prozent der Produktionsarbeiter eine abgeschlossene Berufsausbildung, bei den anderen Werken sind es nur 40 bis 59 Prozent. Eine Modernisierung des Aus- und Weiterbildungssystems sei daher von großer Dringlichkeit.

Die Gefahr, dass neue Formen onlinebasierter Arbeit auf breiter Front den „betrieblichen Kern“ schrumpfen lassen und arbeitsrechtliche Standards untergraben, hält der Soziologe dagegen für überschätzt. Der Einsatz von externen Crowdworkern beschränke sich auf Unterstützungstätigkeiten wie die Kategorisierung von Bildern oder die Aktualisierung von Daten in Marketing und Vertrieb.

Alles in allem geht Krzywdzinski davon aus, dass Prozessinnovationen im Rahmen der Digitalisierung eher gradueller Natur sein werden. Radikalere Veränderungen seien dagegen in Form von Produktinnovationen denkbar: Datenbasierte Geschäftsmodelle könnten die klassischen Branchengrenzen zwischen Industrie und IT-Sektor verschwimmen lassen und neue Wettbewerber auf den Plan rufen. Hier könnten auch gravierendere Auswirkungen auf die Beschäftigung drohen. Allerdings sei der Wettbewerb um die Kontrolle der industriellen Wertschöpfungskette durchaus offen. Bei Industrie-4.0-Softwareplattformen etwa, die Lösungen für die Vernetzung von Anlagen, die Analyse von Fertigungsdaten und Fernwartung anbieten, hätten traditionelle Industrieunternehmen wie Siemens, Bosch oder Trumpf eine starke Position.

  • Langfristige Beschäftigungssicherung an Hochlohnstandorten ist am besten möglich, wenn Betriebe als sogenannte Leitwerke fungieren Zur Grafik

Martin Krzywdzinski: Digitalisierung und Wandel der globalen Arbeitsteilung, in: Bettina Kohlrausch, u.a. (Hg.): Neue Arbeit – neue Ungleichheiten? Weinheim 2019

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