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Magazin Mitbestimmung

: Wissen, was Betriebsräte bewegt

Ausgabe 07+08/2008

BETRIEBSPOLITIK Die Betriebsräte-Befragung 2007 des WSI belegt: Die Arbeitsbedingungen in Deutschland sind härter geworden. Verlagerungen und Ausgliederungen nehmen zu, Leiharbeit ist auf dem Vormarsch, und der Druck auf die Beschäftigten steigt.

Von CLAUS SCHÄFER, HARTMUT SEIFERT und ASTRID ZIEGLER. Die Autoren sind Wissenschaftler am WSI in der Hans-Böckler-Stiftung./Foto: Werner Bachmeier

Personalabbau, Standortverlagerungen, Ausgliederungen - das sind die zurzeit wichtigsten Themen für Betriebsräte in Deutschland. Sechs von zehn Betriebsräten müssen sich in ihrer täglichen Arbeit mit Personalabbau auseinandersetzen - unabhängig davon, ob der Abbau nur angedroht oder auch vollzogen wird. In jedem vierten Betrieb nimmt die reguläre oder betriebsübliche Arbeitszeit zu, bei der Hälfte davon unbezahlt oder ohne Lohnausgleich. Die Überstunden steigen sogar in zwei von drei Unternehmen; fast jeder vierte Arbeitnehmer bekommt dafür aber nicht einen Cent mehr überwiesen. Als sehr großes Problem sehen 71 Prozent der Betriebsräte, dass der Leistungsdruck weiter steigt. In diesem Punkt bestätigt die Betriebsrätebefragung Ergebnisse des DGB-Index "Gute Arbeit". Ein besonderer Schwerpunkt der jüngsten WSI-Untersuchung lag auf den Themen Ausgründungen und Standortverlagerungen sowie Leiharbeit - für die befragten Betriebsräte zwei besonders heikle Punkte, wie die Umfrage zeigt.

OFFSHORING UND OUTSOURCING_ Umstrukturierungen bestimmen vielfach den Alltag von Betriebsräten und Beschäftigten. In der WSI-Untersuchung wurden Betriebsräte nach ihren Erfahrungen mit Standortverlagerung und Ausgliederung - Offshoring und Outsourcing - befragt und danach, wie sie sich auf die Arbeitsbedingungen der Beschäftigten auswirken. In jedem sechsten befragten Betrieb spielte in den vergangenen Jahren Offshoring eine Rolle. In nahezu jedem vierten Betrieb kam es zu Outsourcing. Insgesamt haben 40 Prozent der befragten Betriebe verlagert, ausgegliedert oder beides. Offshoring und Outsourcing sind keine neuen Phänomene. Die Mehrzahl der Betriebsräte berichtete, dass sie bereits vor 2005 damit zu tun hatte. Die meisten Betriebe verlagern seitdem häufiger oder gliedern wiederholt Funktionsbereiche aus. Seit 2005 kam es in den betroffenen Betrieben zu durchschnittlich 2,3 Standortverlagerungen und 2,8 Ausgliederungen - ein Prozess, der vermutlich weiter anhält.

Arbeitgeber nutzen Offshoring oder Outsourcing, um sowohl am bisherigen Standort als auch im verlagerten oder ausgegliederten Betrieb Druck auf die Beschäftigten auszuüben. Es liegt auf der Hand, dass sich solche Prozesse, und seien sie nur angedroht, auf die Betriebsratsarbeit auswirken. Umstrukturierung bedeutet oft: Personalabbau, Sozialpläne, Einschränkung betrieblicher Sozialleistungen - weitaus häufiger als in anderen Betrieben ohne Standortverlagerung oder Ausgliederung. Aber auch ohne solche weit reichenden Konsequenzen kommt es zu Verschlechterungen der Arbeitsbedingungen in den verlagerten oder ausgegliederten Betrieben: Dies sagten die Betriebsräte von 32,4 Prozent der verlagerten und sogar 42,5 Prozent der ausgegliederten Firmen. Selbst an den bisherigen Standorten wirken sich die Umstrukturierungen auf die Arbeitsbedingungen negativ aus, wenn auch nicht in gleichem Maße: So berichteten 30,2 Prozent der Betriebsräte, die mit Verlagerung, und 37,5 Prozent, die mit Ausgliederung zu tun hatten, von einer Verschlechterung.

Arbeitgeber begründen Umstrukturierungen häufig mit der Sicherung oder Schaffung von Arbeitsplätzen. Tatsächlich aber tritt der letztgenannte Effekt aus Sicht der befragten Betriebsräte meist nicht ein: Nur knapp ein Fünftel (19,1 Prozent) gab an, dass durch Verlagerung neue Arbeitsplätze entstehen, während knapp die Hälfte (45,5 Prozent) aussagte, dass Arbeitsplätze abgebaut werden. Ähnlich bei Ausgliederungen: Diese führen nach Einschätzung von nur 10,1 Prozent der Interviewten zu neuen Jobs, für 42,7 Prozent dagegen zu Arbeitsplatzverlusten. Demgegenüber verbessert eine solche Umstrukturierung nach Ansicht von gut der Hälfte der betroffenen Betriebsräte die wirtschaftliche Lage des Unternehmens. Deshalb versuchen die Betriebsräte auch immer öfter, die negativen Folgen der Umstrukturierung auf Arbeitsplätze und Arbeitsbedingungen durch Betriebsvereinbarungen abzuwehren oder wenigstens zu mildern. Am Erfolg scheinen sie aber nach eigener Aussage große Zweifel zu haben: Aus diesem Grund rufen 57 Prozent der befragten Betriebsräte, die Erfahrungen mit Ausgliederung oder Verlagerung haben, nach tarifpolitischen Regelungen für betriebliche Umstrukturierungen, die ihnen Rückendeckung geben sollen.

MITARBEITER AUF PROBE_ Leiharbeit boomt seit der Deregulierung im Zuge der Hartz-Reformen, und die im Vergleich zur Stammbelegschaft schlechteren Arbeitsbedingungen sowie der personalpolitische Einsatz dieser Beschäftigungsform haben eine heftige Kontroverse ausgelöst. Daran knüpft die WSI-Betriebsrätebefragung an: Unter den untersuchten Betrieben setzen gut 37 Prozent Leiharbeitnehmer ein. Diese Beschäftigtengruppe hat einen Anteil von durchschnittlich acht Prozent an den Gesamtbelegschaften. Die Mehrheit der Betriebe hat seit 2005 die Zahl der Leiharbeitnehmer aufgestockt. Gut jeder zehnte Betrieb nutzt Leiharbeit sehr intensiv, bei ihnen erreicht der Anteil der Leiharbeitnehmer an der Belegschaft 20 Prozent und mehr. Noch ist der Kreis dieser Betriebe relativ klein - er wächst aber.

Doch welche personalpolitischen Änderungen führen zu der starken Expansion der Leiharbeit, und wie unterscheiden sich die Arbeitsbedingungen der Leiharbeitnehmer von denen der Stammbeschäftigten? Besonders bei den Firmen, die sehr stark auf Leiharbeit setzen, zeigt sich ein Wandel in der Personalstrategie. Ursprünglich diente Leiharbeit vorrangig dazu, kurzfristigen Personalausfall infolge von Krankheit, Urlaub oder Freistellungen zu überbrücken. Inzwischen nutzen Betriebe diese Beschäftigungsform aber immer öfter, um Mitarbeiter zu erproben. Und als flexible Personalreserve: Auf Neueinstellungen wird verzichtet, und scheiden Stammkräfte aus, werden sie durch Leiharbeitnehmer ersetzt.

Doch rund zwei Drittel aller Entleihbetriebe haben in den vergangenen zwei Jahren Leiharbeitnehmer als reguläre Arbeitskräfte übernommen. Die Erprobung spielte offensichtlich eine bedeutende Rolle. Ein gutes Viertel der Betriebe nutzte Leiharbeit aber auch, um reguläre Stellen zu ersetzen. Dies bietet den Entleihern eine Reihe von Vorteilen, die mit der besonderen Rechtskonstruktion der Leiharbeit zu tun haben. Wegen dieser Konstruktion weichen in der Regel Lohn- und Arbeitsbedingungen der Leiharbeitnehmer von denen der Kernbelegschaft im Entleihbetrieb ab. Erhalten die Leiharbeitnehmer den DGB-Tariflohn der Verleihbranche - was nicht selbstverständlich ist -, dann öffnet sich die Einkommensschere gegenüber den Stammkräften umso stärker, je höher das Lohnniveau der Entleihbetriebe ist.

GROßER LOHNABSTAND_ Der Vergleich der Arbeitsbedingungen von Leiharbeitnehmern und Stammkräften zeigt ein differenziertes Bild: In der überwiegenden Mehrheit der Betriebe werden Leiharbeitnehmer schlechter entlohnt. Der Lohnabstand ist mit durchschnittlich 29 Prozent beträchtlich. Lohndifferenzen bestehen aber nicht in allen Betrieben. In fast einem Viertel der Entleihbetriebe berichten die Betriebsräte vom Equal-Pay-Prinzip - also gleicher Lohn für gleiche Arbeit. Aber: In etwa jedem dritten Betrieb werden Leiharbeitnehmer bei der beruflichen Weiterbildung benachteiligt.

Für Betriebsräte bedeuten Leiharbeitnehmer vor allem eines: mehr Stress. Denn Leiharbeit ist mit zusätzlichem Aufwand verbunden und verläuft nicht immer konfliktfrei. Trotzdem sind bei den letzten Betriebsratswahlen Leiharbeitnehmer nur in 45 Prozent der Nutzerbetriebe in die Wählerverzeichnisse einbezogen worden; dort wurden durchschnittlich gut zwei Drittel von ihnen aufgenommen. Sie durften also den Betriebsrat mit wählen. Gleichzeitig aber werden Leiharbeitnehmer nicht berücksichtigt, wenn die Freistellungen der Betriebsräte berechnet werden.

Über Konflikte mit dem Arbeitgeber aufgrund des Leiharbeitnehmereinsatzes berichtet fast jeder vierte Betriebsrat aus den Nutzerbetrieben; in knapp 13 Prozent kam es auch zu Auseinandersetzungen mit den Belegschaften. Der Mehraufwand, der Betriebsräten durch Leiharbeitnehmer entsteht, ist in der weit überwiegenden Mehrheit der Nutzerbetriebe so hoch, als würde die Stammbelegschaft aufgestockt. Er ist themenabhängig und betrifft am häufigsten Fragen zum Arbeits- und Gesundheitsschutz (gut drei Viertel der Nutzerbetriebe).

 

WSI-FORSCHUNG

Zehn Jahre Betriebsrätebefragung

Was die 330.000 Betriebsräte und 225.000 Personalräte denken und mit welchen betrieblichen Problemen sie zu kämpfen haben, wissen wir erst, seit es die Befragungen des WSI gibt.

1997 begann das Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliche Institut (WSI) in der Hans-Böckler-Stiftung, die gewählten Arbeitnehmervertreter - als unmittelbare Akteure der betrieblichen Mitbestimmung - systematisch und ausführlich zu befragen, in einem Rhythmus von zwei Jahren. Zwar gab es zuvor bereits das IAB-Betriebspanel, eine Arbeitgeberbefragung. Diese fragt allerdings lediglich nach der Existenz eines Betriebs- oder Personalrats und nach der Tarifbindung des Betriebs, nicht jedoch nach den Bedingungen und Ergebnissen der Vertretungsarbeit selbst. Auch war lange Zeit unbekannt, wie viele Gremien und Mitglieder es in der betrieblichen Interessenvertretung überhaupt gibt - obwohl die betriebliche Mitbestimmung ein grundlegender Bestandteil der Wirtschafts- und Sozialordnung in Deutschland ist. Anders als etwa in den Niederlanden oder in Österreich, wo die Zahl der Arbeitnehmervertreter über Register oder Kammern zentral erfasst wird, existiert in Deutschland keine vergleichbare Informationsquelle. So löste ein Befund des IAB-Betriebspanels vor einigen Jahren großes Erstaunen in Gewerkschaftskreisen aus: Die Befragung hatte ergeben, dass es in Betrieben ab fünf Beschäftigten rund 120?000 Betriebsrats- und zirka 40?000 Personalratsgremien gebe. Die Gewerkschaften hatten bis dahin mit deutlich weniger Gremien gerechnet, denn sie hatten sich bei der Schätzung lediglich auf jene neu konstituierten Räte nach Wahlen gestützt, die sich bei den Gewerkschaften gemeldet hatten. Die so entstehenden systematischen Verzerrungen wurden offenbar unterschätzt - mit der Folge, dass zu wenige Gremien aus kleineren Betrieben und mit geringer Gewerkschaftsanbindung erfasst worden waren.

Aber auch über die Qualität der Betriebsratsarbeit sowie deren Arbeitsbedingungen wurde lange Zeit nur gemutmaßt - zu heterogen waren die Betriebe in den verschiedenen Branchen, zu unterschiedlich die Betriebsgrößen und die Marktlagen. Diese Informationslücke hat erst die WSI-Betriebs- und Personalrätebefragung geschlossen. Sie untersucht jeweils in ihrem Hauptteil Veränderungen und Entwicklungen im Zeitverlauf und fragt in einem Sonderteil nach speziellen Themen aus dem Alltag von Betriebs- und Personalräten. In den rund 150 Fragen werden sowohl betriebliche Probleme wie auch das Verhältnis zu Arbeitgebern, Belegschaften und Gewerkschaften abgehandelt. Die Befragung wird mithilfe von computergestützten Telefoninterviews (CATI) durchgeführt, welche durchschnittlich 50 Minuten dauern. Die Akzeptanz bei den Interviewten ist außerordentlich hoch, 90 Prozent haben zuletzt angegeben, wieder teilnehmen zu wollen. Schließlich liefert die Befragung detaillierte, repräsentative Ergebnisse, die alle Betriebe und Dienststellen ab 20 Beschäftigten (mit Interessenvertretung) in allen Branchen und Regionen bundesweit spiegeln. Zuletzt wurden insgesamt rund 52?000 Betriebsratsgremien und 40?000 Personalratsgremien gezählt. Das heißt, 32 Prozent der privatwirtschaftlichen Betriebe ab der genannten Größenschwelle haben einen Betriebsrat, und 85 Prozent der Dienststellen des öffentlichen Dienstes einschließlich öffentlicher Banken haben einen Personalrat. Diese vertreten etwa 14 Millionen Beschäftigte in der Privatwirtschaft und knapp vier Millionen im öffentlichen Dienst.

MEHR INFORMATIONEN
"Betriebspolitik - Daten und Trends aus der WSI-Befragung von Betriebsräten 2007", siehe die Aufsätze in den WSI-Mitteilungen 6/2008. Veröffentlichungen zur Personalrätebefragung -folgen.

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