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Automobilzuliefererkonferenz 2023 Service aktuell

Tagungsbericht "Automobilzuliefererkonferenz": Mit vielen PS gegen Standortverlagerungen

Die Automobil- und Zulieferindustrie kämpft mit den Nachwirkungen der Coronakrise und den Folgen des Kriegs in der Ukraine. Zugleich muss die Branche die sozial-ökologische Transformation vorantreiben. Wie kann das gelingen? war Thema der Zulieferkonferenz der Hans-Böckler-Stiftung und der IG Metall in Hannover.

von: Andreas Schulte

Will die Autoindustrie etwa abheben? Ausgerechnet einen Flughafen wählte die Hans-Böckler-Stiftung in Kooperation mit der IG Metall für ihre diesjährige Autozuliefererkonferenz. Die Branche traf sich im Maritim Airport Hotel in Hannover. Doch keine*r der mehr als 200 Expert*innen maß geflügelter Symbolik Bedeutung bei. Denn die Branche ist gut beraten, sich auf Bodenhaftung zu besinnen.

Tradierte Geschäftsmodelle stehen vor dem Aus. Der Verbrenner ist ein Auslaufmodell, das E-Auto rollt stattdessen mit Marktmacht an. Doch viele Unternehmen benötigen weiterhin alternative Strategien, um Wertschöpfung in Zeiten der Mobilitätswende zu gestalten und Beschäftigung zu sichern.  Es herrscht Materialknappheit, die Inflation grassiert. Zugleich müssen Unternehmen gerade jetzt investieren, um die Transformation zu schaffen – ein Spagat.

Die IG Metall bemängelt, Unternehmen müssten trotz der angespannten Lage „mehr Verantwortung übernehmen“. So steht es in der „Hannoveraner Erklärung“. Dieses vierseitige Papier gab die Gewerkschaft anlässlich der Konferenz heraus. Mehr Verantwortung von der Politik wünschte sich Claudia Bogedan in der Eröffnungsrede der Veranstaltung. Der Vorwurf der Geschäftsführerin der Hans-Böckler-Stiftung: Die Entscheidungsträgheit der Politik wie zum Beispiel bei den kürzlich im Marathon-Format gelaufenen Koalitionsgesprächen bremse die Mobilitätswende.

Die Keynote von Thomas Steinberger, Zulieferer-Experte der Unternehmensberatung PwC warf ein erstes Streiflicht auf die Branche. Kurzfristig sieht vieles gut aus: Die weltweite Autoproduktion erhole sich, aber auf einem niedrigen Niveau. Auch für Deutschland geht Steinberger von einer stabilen Produktion aus. Die Stückzahlen der Jahre 2017/18 dürften aber nicht erreicht werden. Noch profitieren die Autobauer vom Coronastau. Die Auftragsbücher sind voll.

Doch die Aussichten von OEMs und Zulieferern unterscheiden sich. Vor allem für mittelständische Komponentenlieferanten spitzt sich die Lage zu. PwC wertet regelmäßig selbsterhobene Daten aus. „50 Prozent der Zulieferer zeigen Anzeichen für eine Notlage. Die gehen zwar nicht sofort Pleite aber, es wird kaum mehr Profitabilität geben“, sagt Steinberger.

Denn viele Zulieferer haben sich während der Krise verschuldet. Dann stiegen 2022 Materialkosten und Zinsen. Neues Geld von Banken gibt es oft nicht. Die Geldhäuser bemängeln die Profitabilität, die Zulieferern wegen gestiegener Kosten verlorengegangen ist. Zulieferer sind daher genötigt, Neuverhandlungen mit OEMs anzustreben. „Da stehen wir gerade“, sagt Steinberger. „Das diskutiert die Branche.“

Neue Wertschöpfung entstünde in dieser Rangfolge durch Aufladen, durch Batterien und beim Autobau. Dies seien die lukrativen Felder, sagte Steinberger. Der Markt für Batterien beispielsweise wird sich nach PwC-Zahlen in zehn Jahren vervierfachen. Der traditionelle Komponentenbau für den Verbrenner kann da kaum mithalten. Dieses Geschäftsfeld sieht Steinberger nur auf Platz sechs dieser Rangliste. Hier werde sich die Wertschöpfung kaum verändern.

  • Autozuliefererkonferenz 2023

Natürlich kann nicht jeder Zulieferer im Batteriemarkt mitmischen. Aber wie können Zulieferer ihre Geschäftsmodelle anpassen? Den theoretischen Überbau zur Beantwortung dieser Frage erläuterte Christoph Wecht, Innovationsforscher der New Design University in St. Pölten. Ein Ansatz: Design Thinking. Traditionelles Projektmanagement richte sich nach einem festen Innovationsziel. Wird dieses nicht erreicht, würden Budget und Zeitplan oft gesprengt, führte Wecht aus.

Man müsse sich stattdessen von festen Innovationszielen lösen, stattdessen in kleinen Schritten vorgehen und das Innovationsziel je nach Erreichtem anpassen. Denn gerade in der Situation der mittelständischen Zulieferer sei derzeit ohnehin nicht klar, welches Innovationsziel auch ein funktionierendes Geschäftsmodell bedeute, so Wecht.

Nachher entschuldigen, statt vorher um Erlaubnis zu fragen

Diese Arbeitsweise ist aber unter Zulieferern noch nicht üblich. Ingenieure beharrten zu oft auf Innovationszielen. Ziel müsse sein: „Wir gehen in eine Gestaltungsprozess und entwickeln einen besseren Zustand als den derzeitigen. Betriebsräte müssen hier auf Ingenieure einwirken, um neue Wege zu gehen“, sagte Wecht. Ihm fehle in Deutschland eine typisch amerikanische Herangehensweise an Projekte: Sein Fazit, „es ist besser, sich nachher zu entschuldigen als vorher um Erlaubnis zu fragen“, sorgte für Lacher.

Konkrete Handlungsempfehlungen erarbeiteten Teilnehmer in den sechs nachmittäglichen Workshops zu Themen wie beispielweise neue Antriebstechniken, Lieferketten oder Standortverlagerungen. Heiß diskutiert würde gerade dieses letzte Thema in der Branche sagte Martin Krzywdzinski vom Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB).

Der Professor startete mit einem Ausflug in die Geschichte. In den Neunzigern habe Deutschland von Standorten in Osteuropa profitiert, weil hiesige Standorte sich damit auf neue Technologien und Produkte konzentrieren konnten. Seit rund drei Jahren sei die Ost-West-Arbeitsteilung aber ein Problem. Denn unter anderem haben sich Arbeitskosten und Energiekosten in Westeuropa erhöht. Immer mehr Standorte werden nach Osteuropa verlagert. Und damit auch erste hochqualifizierte Tätigkeiten. „Es kippt gerade“, sagte Krzywdzinski.

Der Anteil von Personal für Forschung und Entwicklung bei deutschen Zulieferern liegt nach Zahlen seines Instituts bei 15,2 Prozent, osteuropäische Länder verzeichnen hier durchschnittlich gut drei Prozent. „Eine Clusterbildung Hochqualifizierter gibt es dort nicht“, sage Krzywdzinski. Dennoch berichteten viele, darunter auch die Zulieferer Bosch und Magna, von Standortverlagerungen, bei denen auch Zukunftsprodukte und FuE-Kapazitäten abfließen.

Die IG Metall stemmt sich gegen diesen Trend. Zum Beispiel in Person von Raphael Menez. Mit seinem „Team Transformation“ begleitet er Betriebsräte bei der Transformation. Die IG Metall hat dazu eigens ein Werkzeug entwickelt. In Workshops ermitteln Menez´ Team und Betriebsräte gemeinsam die Zukunftsfähigkeit ihres Standortes.

Der Ansatz: Wir müssen uns frühzeitig mit Unternehmensstrategien der Zulieferer und auch der Hersteller beschäftigten. „Dabei dürfen wir nicht nur Produkte betrachten, sondern auch die Organisation- und Standortpolitik des Unternehmens.“ Denn klar ist längst: Nicht jedes Management ist in der Transformation angekommen. Nach einer IG-Metall-Umfrage unter 115 Betriebsratsvorsitzenden haben 41 Prozent der Zulieferer keine zukunftsfähigen Produkte. Doch ohne Strategie keine Zukunft. Deshalb müssten auch Betriebsräte strategische Ziele benennen, sagte Menez.

Sind allerdings Strategien im Management vorhanden, spielen Standortverlagerungen dabei eine große Rolle. Bei 44 Prozent der Betriebe sind Produktionsverlagerungen schon im Gang, bei 14 Prozent sind sie geplant. Rund 41 Prozent der Firmen wollten Forschung und Entwicklung fernab des Heimatstandorts aufbauen.  „Die alte Idee vom deutschen Leitmarkt ist Geschichte“, sagt Menez.

So weit wollte Jörg Hofmann in der letzten Rede des Tages nicht gehen. Der Erste Vorsitzende der IG Metall gab sich kämpferisch. Er forderte, mit Zulieferbetrieben die gesamte Wertschöpfungskette der E-Mobilität abzudecken, um den Leitmarkt zu erhalten.

Konkrete Forderungen richtete er an die Politik. Beihilfen müssen in Regionen fließen, wo ohne sie Arbeitsplätze verloren gehen. „Förderungen müssen damit verknüpft werden, dass hier Beschäftigung gesichert wird. Und die Unternehmen müssen dafür eine Arbeitsplatz- und Tarifgarantie geben.“

Hofmann schloss mit den drei Kernforderungen der Hannoveraner Erklärung. Unternehmen müssen Verantwortung übernehmen, die Politik muss für den Umbau Rahmen schaffen und die IG Metall gestaltet die sozial-ökologische Transformation aktiv mit.

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