Projektbeschreibung
Kontext
Die Osterweiterung 2004 bedeutete nicht nur das Erreichen lang verfolgter Zielstellungen der Überwindung der europäischen Nachkriegsordnung, sondern auch Risiken für die europäische Entwicklung vor allem hinsichtlich der weiteren Vertiefung der politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Integration. Diese Fragen wurden in dem Verfassungsdiskurs diskutiert, der letztlich 2005 scheiterte. Die Folge dessen war eine bestätigte Skepsis der Bevölkerungen gegenüber der EU. In Deutschland wurden Befürchtungen für die Fortsetzung der Transformation laut. Waren die Menschen in Ostdeutschland erneut vor die Herausforderung gestellt, sich einer völlig veränderten gesellschaftlichen Lage anpassen zu müssen? Wie würden sich die neuen Bedingungen auf die grundsätzlichen Werte und Einstellungen auswirken? Diese Fragen konnten nicht untersucht werden, ohne die gravierenden Veränderungen zu berücksichtigen, die gleichzeitig innerhalb Deutschlands durch die Agenda 2010 ausgelöst wurden.
Fragestellung
Unter den Bedingungen der Gleichzeitigkeit von Osterweiterung, Verfassungsdiskurs und Agenda 2010 stellte sich die Frage, ob und wenn ja, wie sich die Erweiterung auf den Fortgang der innerdeutschen Transformation auswirken würde. Daraus ergaben sich Fragen zur Veränderung von Werten und Einstellungen der Menschen gegenüber der EU im Kontext von Konsequenzen der Erweiterung. Diese Fragen untersuchten wir 2005 in den Dimensionen Legitimation der Erweiterung, Erfahrungen hinsichtlich verschiedener Lebensbereiche seit der Erweiterung, Bewertung von Chancen und Risiken für die regionale Entwicklung, Veränderung von Verhaltensdispositionen im Kontext der Erweiterung und Bilanzierung der Erweiterung nach Vor- und Nachteilen insgesamt, wie auch hinsichtlich verschiedener Lebensbereiche. Wir berücksichtigten in der Analyse vor allem auch regionale Faktoren der räumlichen Nähe zur Grenze, weil die Vermutung bestand, dass diese Faktoren einen deutlichen Einfluss auf die Antworten haben würden.
Untersuchungsmethoden
Die Untersuchung stützt sich vor allem auf die Ergebnisse der Bevölkerungsbefragung "Leben 2005", die das SFZ innerhalb der jährlich durchgeführten Befragungsreihe "Leben in den neuen Bundesländern" im Jahr 2005 erhoben hat. Die schriftliche Befragung schloss die neuen Bundesländer und ausgewählte Regionen im Freistaat Bayern und im Saarland für Vergleichszwecke ein. Die Befragung ist repräsentativ für Ostdeutschland, hat aber für die beiden alten Bundesländer nur illustrativen Charakter. Die Auswertung der Befragungsergebnisse erfolgte in erster Linie nach regionalen Gesichtspunkten der Entfernung des Wohnortes zur (Ost-) Grenze und zum illustrativen Vergleich nach Ost und West. Darüber hinaus ist der Einfluss sozialstruktureller Merkmale auf wichtige Indikatoren der Einstellungen gegenüber der EU untersucht worden. Mittels eines Clusteranalyseverfahrens wurde der Einfluss von Einstellungen gegenüber Ausländern auf die Bewertung der Erweiterung dargestellt.
Darstellung der Ergebnisse
- Die Osterweiterung hat auf die ostdeutsche Transformation keinen Einfluss gehabt. Jedoch sind Rahmenbedingungen der Verteilungs- und Förderpolitik geändert worden.
- Die EU-Erweiterung hatte keine nachweisbaren Auswirkungen auf die Wertestruktur der ostdeutschen Bevölkerung, wohl aber wirkten sich bestehende Einstellungen auf die Bewertung der Erweiterung aus.
- Die Befragten rechnen ihre seit 2004 gemachten Erfahrungen auf die EU-Erweiterung zu, obwohl die Ursachen dieser Erfahrungen innerhalb Deutschlands (Agenda 2010) zu verorten sind.
- Die Legitimation der Erweiterung ist teilweise hoch, nimmt aber in dem Maße ab, in dem sich die Beurteilung auf konkrete politische Zielstellungen bezieht. Kritische Bewertungen überwiegen (Souveränitätsverlust, Bürokratie, Entfernung der Politik, Mangel an Demokratie, Verschwendung von Mitteln, Konkurrenz unter den Mitgliedsländern, Verzögerung der Angleichung der Lebensverhältnisse in Deutschland).
- Vor dem Hintergrund von Deprivationserfahrungen fällt die Bilanz der Erweiterung für die Befragten äußerst negativ aus. Dabei spielen regionale, sozialstrukturelle Faktoren eine Rolle, vor allem aber Voreinstellungen gegenüber Ausländern.