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Magazin Mitbestimmung

: ZUR SACHE - Martin Behrens über Arbeitgeberverbände

Ausgabe 10/2011

„Die Ressourcen der Mitglieder kommen nicht den Verbänden selbst zugute – sie bieten Unternehmen die Freiheit, die Arbeitsbeziehungen im Zweifel selbst zu regeln.“

Martin Behrens leitet das Referat Europäische Arbeitsbeziehungen im WSI der Hans-Böckler-Stiftung.

Arbeitgeberverbände sind unverzichtbar im System der deutschen Arbeitsbeziehungen – sie sind aber auch fragil. Ohne organisationsstarke Kollektivakteure auf der Arbeitgeberseite wäre es nur schwer möglich, tarifliche Mindeststandards für Einkommen und elementare Arbeitsbedingungen für eine Mehrheit der abhängig Beschäftigten zu etablieren. Doch zugleich sind Arbeitgeberverbände Zusammenschlüsse von Firmen, die am Markt miteinander konkurrieren. Als solche können sie zwar eine Reihe von Interessen ihrer Mitglieder einer kollektiven Vertretung zuführen, sie müssen aber stets darauf achten, die unternehmerischen Einzelinteressen ihrer Mitglieder zu wahren und vor allem ihre Geschäftsgeheimnisse vor Missbrauch durch andere Mitglieder zu schützen. Dies erweist sich als fortlaufender Balanceakt. Er wird auch dadurch nicht leichter, dass die Mitgliedsunternehmen der Arbeitgeberverbände erwiesenermaßen mächtig und finanzstark sind. Wie der unlängst verstorbene Industriesoziologe Franz Traxler zeigen konnte, kommt die vorteilhafte Ressourcenausstattung der Mitgliedsunternehmen nicht den Verbänden selbst zugute. Im Gegenteil: Sie bietet den Unternehmen die Freiheit, die Arbeitsbeziehungen mit ihrer Belegschaft und der sie vertretenden Gewerkschaft im Zweifel selbst – also ohne Hilfe des Verbandes – zu regeln.

Wie man es auch wenden mag, der wunde Punkt deutscher Arbeitgeberverbände besteht gerade darin, dass sich die Stärke ihrer Mitglieder gegen den Verband selbst wenden kann. Doch wie gehen Verbände mit diesem Damoklesschwert um, das da über ihren Köpfen baumelt? Nicht sehr weise, wie es scheint, denn viele Verbände drohen, die langfristige Entwicklung ihrer Organisationen zugunsten kurzfristig wirkender Anpassungsreaktionen zu vernachlässigen. Seit etwa Mitte der 1990er Jahre ging eine Reihe von Verbänden dazu über, ihren Mitgliedern ein Wahlrecht darüber einzuräumen, ob sie mit ihrer Mitgliedschaft im Arbeitgeberverband an einen Verbandstarifvertrag gebunden sein wollen oder nicht. Diese sogenannten „Mitgliedschaften ohne Tarifbindung“, kurz OT-Mitgliedschaften, ermöglichen es den Mitgliedsunternehmen, von allen sonstigen Dienstleistungen des Verbandes, wie der arbeitsrechtlichen Beratung und der Prozessvertretung, zu profitieren, jedoch die Bindung an den Verbandstarif quasi abzuwählen. Die Motivationen für die Einführung dieser OT-Option waren recht unterschiedlich: Einige Verbände wollten z.B. den fortschreitenden Mitgliederverlust aufhalten, indem sie sich für jene Unternehmen attraktiv machten, die von der Bindung an einen Verbandstarifvertrag eher zurückschrecken; andere Verbände versprachen sich von der OT-Strategie eine Stärkung der Arbeitgeberseite am Verhandlungstisch. Mit dem Verweis auf eine mögliche Flucht von Mitgliedern in die OT-Mitgliedschaft sollte hier der Druck auf die Gewerkschaften erhöht werden.

Wie unterschiedlich auch die Gründe für die Einführung gewesen sind: Kaum bedacht werden die erheblichen Folgen für die Verbände selbst und ihre heikle Balance zwischen kollektiver Interessenvertretung auf der einen und dem Bedürfnis nach dem Schutz vor Marktkonkurrenten auf der anderen Seite. Mit der Einführung von OT wird es jedem einzelnen Mitglied selbst überlassen, ob es die Resultate der verbandlichen Tarifpolitik für sich gelten lassen will oder nicht. Mitglieder können sich selbst selektiv aus der verbandlichen Solidarität verabschieden und verpflichten sich somit – außer vielleicht zur fortlaufenden Entrichtung der Beiträge – zu recht wenig. Die verbandliche Tarifpolitik muss die Mitglieder auch nicht mehr wesentlich interessieren, können sie sich doch durch Übertritt in die OT-Mitgliedschaft den Folgen der Verhandlungen zunächst elegant entziehen. Im Resultat wird einer sowieso schon heiklen Balance der Interessen im Arbeitgeberverband ein wesentlicher Stabilitätsanker geraubt. Mitglieder, welche die Folgen der Verbandspolitik selbst kaum mehr tragen müssen, nehmen an der Formulierung dieser Politik nicht mehr aktiv teil – so die Vermutung. Letztlich dürften OT-Mitgliedschaften nicht zu einer Sicherung der Organisationen beitragen, sondern zum genauen Gegenteil: Die Arbeitgeberverbände werden destabilisiert.

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