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Magazin Mitbestimmung

: Zielgenau am Kern vorbei

Ausgabe 12/2011

AUFSICHTSRÄTE Die neuen Vorschriften für die Managervergütung in Kreditinstituten sind wenig geeignet, eine Orientierung an der langfristigen Unternehmensentwicklung durchzusetzen. Von Stefan Scheytt

STEFAN SCHEYTT ist Journalist in Rottenburg am Neckar/Foto: Lennart Preiss/dapd

Als Aufsichtsrat einen Konzernvorstand zu kontrollieren ist ja anspruchsvoll genug. Aber als Arbeitnehmervertreter in Hochzeiten der Finanzkrise Banken- oder Versicherungsaufseher zu sein, scheint zu den derzeit unattraktivsten Jobs zu gehören. Von Resignation und Frust ist die Rede, von bis zu 16 Aufsichtsratssitzungen pro Jahr, von Regulierungswut ohne Orientierung, von der persönlichen Sorge um gestiegene Haftungsrisiken und davon, dass es in manchen Banken und Versicherungen bald zu wenige Anwärter geben könnte, die sich für dieses Amt überhaupt noch aufstellen lassen. Einer, der seit vielen Jahren im Kontrollgremium einer Bank sitzt, sagt: „Ich bin illusionslos. Wir werden keinen Dank für unsere Arbeit ernten, sondern beschimpft werden. Denn viele glauben immer noch das Märchen, dass der Aufsichtsrat alles kontrollieren könne. Aber so ist es nicht – wir haben zu viele offene Flanken.“

REGULIERUNG „IRRELEVANT“?_ Aufschlussreich ist in diesem Zusammenhang eine Studie der Dresdner Niederlassung des ifo Instituts für Wirtschaftsforschung von Ende 2008. Die Autoren untersuchten darin die fachliche Kompetenz von 426 Aufsichtsratsmitgliedern (allerdings nur der Anteilseignerseite) in den 29 größten deutschen Banken und kamen zum Ergebnis, „dass Finanzmarkt- und Bankerfahrung von Aufsichtsratsmitgliedern besonders in den öffentlich-rechtlichen Banken die Ausnahme sind“; den vielen Männern und wenigen Frauen fehle oftmals die Kompetenz, ihre Kontrollfunktion effektiv auszufüllen, und auffällig sei, dass gerade die Landesbanken in der Krise so schlecht abschnitten. Diesen Befund nutzte das ifo zu der rhetorischen Frage: „Was nützt überhaupt die bestehende oder zusätzliche Bankenregulierung, wenn die Aufsichtsräte nicht in der Lage sind, die Unternehmenspolitik hinreichend zu überwachen?“ Die Studie gipfelte in der Feststellung, dass der politische „Handlungsbedarf vor allem hinsichtlich der Reform defizitärer Aufsichtsratsstrukturen“ bestehe; die Forderung nach zusätzlicher Bankenreglementierung sei „weitgehend irrelevant“, Grundsatzdiskussionen über eine Reform der internationalen Finanzmärkte lenkten „vom eigentlichen deutschen Kernproblem eher ab“.

Drei Jahre später, während derer die Krise immer nur an Tempo zugelegt, erscheint die Rede von den defizitären Aufsichtsratsstrukturen als dem „eigentlichen deutschen Kernproblem“ ziemlich abwegig. Genau umgekehrt sieht es jedenfalls Uwe Foullong, bis vor Kurzem ver.di-Bundesvorstandsmitglied und Aufseher bei der ehemals privaten Commerzbank, die es ohne milliardenschwere staatliche Stütze heute kaum mehr gäbe: „Niemand streitet ab, dass die fachliche Kompetenz von Aufsichtsräten verbessert werden kann“, sagt Uwe Foullong, selbst gelernter Bankkaufmann und Diplom-Betriebswirt. „Aber wenn man Krisen in Zukunft vermeiden oder entschärfen will, muss man über Derivate und andere Spekulationsprodukte reden, die die Realwirtschaft an den Rand des Abgrunds bringen, muss man über die Einführung einer Transaktionssteuer reden und über die Gier von Vorständen, denen Renditen von zehn, fünfzehn Prozent nicht genug sind.“ In den 1980er und 90er Jahren habe die Politik die Finanzmärkte liberalisiert und dereguliert und mit einem schwachen gesetzlichen Ordnungsrahmen die Voraussetzungen für die Krise geschaffen. Foullong erinnert etwa an die völlig legalen, aber hochspekulativen, unheilvollen Zweckgesellschaften deutscher Banken im Ausland, die nicht mal bilanziert werden mussten und über die man in vielen Aufsichtsräten wohl nie gesprochen hat. „Diese Liberalisierung und Deregulierung sind der Kern des Problems, alles andere sind Randprobleme“, beharrt Foullong.

HILFLOSER AKTIONISMUS_ Entsprechend hart kritisiert er die Regulierungsversuche der jüngsten Zeit: „Was da im Bundestag und in der EU aufgelegt wurde, ist völlig unzureichend und undifferenziert, um solche Krisendimensionen einzudämmen, wie wir sie jetzt erleben.“ Die Erwartung der Öffentlichkeit, die Aufsichtsräte – und gerade jene auf der Arbeitnehmerseite – könnten jetzt mit starker Hand dazwischengehen, sei deshalb völlig falsch: „Mit dem neuen Regulierungsrahmen wird man durch die Arbeit der Aufsichtsräte eine erneute Finanzkrise nicht abwenden können.“ Als „bürokratischen, sinnlosen Aktionismus“ bewertet Foullong zum Beispiel die neue Vorschrift, nach der Aufsichtsräte von Banken und Versicherungen ihre fachliche Qualifikation bei der BaFin in Form von Lebensläufen und Listen besuchter Seminare nachweisen müssen. „Das ist Ausdruck von Hilflosigkeit: Man wollte zeigen, dass man etwas unternimmt. Anstatt den Kern ins Visier zu nehmen, schießt man mit Kanonen auf Spatzen“, ärgert sich Foullong. Ebenso schätzt er die Verlängerung der Haftungsfristen für Vorstände und Aufsichtsräte nach dem Bankenrestrukturierungsgesetz ein, das außerdem eine Selbstbeteiligung wie bei der Teilkaskoversicherung vorsieht: „Das ist nicht falsch, aber auch in keinster Weise entscheidend für die Vermeidung künftiger Krisen“, meint Foullong.

Auch die seit Ende 2010 gültige Institutsvergütungsverordnung für die Managervergütung in Kreditinstituten hält Uwe Foullong letztlich für eine Waffe ohne nennenswerte Wirkung. Die Verordnung sollte die Leistungsanreize verschieben – weg von den teilweise extrem hohen, an kurzfristigen Erfolgen gemessenen Bonuszahlungen, hin zur Orientierung an der langfristigen Unternehmensentwicklung. Was früher meist nur im Präsidialausschuss des Aufsichtsrats verhandelt wurde, beschäftigt nun das Plenum. „Das ist ein kleiner Fortschritt in Richtung Transparenz“, konzediert Foullong, „und dennoch stoßen die Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat ohne eine klare Deckelung der Vergütungen an ihre Grenzen.“

KNAPP AM VERSTOß VORBEI_ Das bestätigen die Erfahrungen des unabhängigen Vergütungsberaters Heinz Evers, der als der Experte auf diesem Gebiet in Deutschland gilt und mit vielen Aufsichtsräten und Vorständen Vergütungssysteme entwickelt hat. Evers, seit mehr als 35 Jahren im Geschäft, erlebt, wie Bankenvorstände die neue Verordnung „so umsetzen, dass es zwar kein klarer Verstoß gegen die Buchstaben ist, aber sicher einer gegen den Geist der Verordnung“. Die will durch ein kompliziertes System mit verzögerten Vergütungsauszahlungen und Verkaufsfristen für unternehmenseigene Aktien einen Anreiz dafür schaffen, dass Vorstände und Manager risikobewusster entscheiden – eben weil relevante Teile ihrer Vergütungen erst fließen, wenn sich ihr Handeln als nachhaltig erfolgreich fürs Unternehmen erwiesen hat. Für Heinz Evers und die meisten Beobachter wären demnach Wartefristen von drei bis fünf Jahren vernünftig. Doch weil die Verordnung nur von einem „angemessenen Zeitraum“ spricht, hat Evers von Vorständen schon Vorschläge mit sechsmonatiger Sperrfrist vorgeschlagen bekommen. „Das ist Augenwischerei und macht auch die BaFin, die solche Dinge absegnet, völlig unglaubwürdig“, kritisiert er. Ihn habe das Vorgehen des Gesetzgebers erschreckt: „Die haben sich offenbar gedacht: Wenn die Verordnung unpraktisch ist, wird die Praxis sich das schon irgendwie zurechtbiegen.“

Auch in anderen Fragen sieht der Vergütungsexperte Anlass für Kritik. So kennt er Fälle, in denen Aufsichtsräte mit ihren Vorständen Zielgrößen für Erfolgskriterien vereinbaren, die so wenig ehrgeizig sind, dass die Vorstände sie annähernd um das Doppelte übertreffen – und sich so auch ihre variablen Bezüge fast verdoppeln. Und schon seit Jahren kritisiert Evers die völlig überzogenen Altersversorgungen für Vorstände und Führungskräfte, „die nichts anderes sind als Langfristvergütungen“. Viele Vorstände bekämen heute Renten oberhalb einer halben Million Euro pro Jahr, manche sogar mehr als eine Million. „Wo ist die Berechtigung dafür, dass einer, der ohnehin schon sehr gut verdient hat, aus Fürsorgegründen so eine Altersversorgung bekommt“, fragt Evers und plädiert dafür, die Altersversorgung in eigene Aktien mit Sperrfrist umzuwandeln, deren Erträge dann die Rente bilden: „Es kann doch nicht sein, dass ein Vorstand seine Altersversorgung in Aktien der Konkurrenz aufbaut.“

DIE BANKEN ALS OPFER?_ Bilanziert Heinz Evers seine Erfahrungen mit Top-Managern in deutschen Banken, hört sich das nicht so an, als könnten Arbeitnehmervertreter in den Aufsichtsgremien – gestärkt durch neue gesetzliche Instrumente – Entscheidendes zur Krisenprävention beitragen. Die starken Widerstände, die er beim Thema Vergütung spürt, fasst Evers so zusammen: „Viele Bankvorstände haben das Gefühl, dass sie Opfer sind und man ihnen jetzt in die Tasche greifen will. Das Bewusstsein, dass irgendetwas in der Branche nicht in Ordnung war und ist, das ist nicht so angekommen. Die Banken haben in dem Punkt wenig verstanden.“ Ähnlich erlebt es Alexandra Krieger, Finanzexpertin der Stiftung und Aufsichtsratsmitglied bei der Commerzbank: „Von den Banken hört man regelmäßig, dass die Politik schuld sei, aber das ist eine atemberaubende Umkehrung der Wahrheit. Die Banken nutzen jeden nur erdenklichen Freiraum, und dort, wo auch nur ein wenig reguliert werden soll, schicken sie sofort ihre Lobby los. Bis auf ganz wenige haben Banker nie gesagt: ‚Ja, wir tragen Verantwortung für das, was geschehen ist.‘“ Das klingt nach unverändert schlechten Zeiten, für Aufsichtsräte allemal.

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