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Magazin Mitbestimmung

Familienstiftungen: Wo die Familie das Sagen hat

Ausgabe 04/2016

Aldi und Lidl werden von Familienstiftungen regiert, dabei haben die Einzelhandels-Konzerne allein in Deutschland je um die 60 000 Mitarbeiter. Warum bindet der Gesetzgeber diese unternehmensgebundenen Stiftungen nicht in mitbestimmte Verantwortung ein? Von Andreas Molitor

Wenn man Roland Köstler fragt, ob er in seiner langjährigen Praxis als Rechtsanwalt schon mal einen Pyrrhussieg errungen hat, fällt ihm auf Anhieb ein ganz bestimmter Prozess ein: ver.di gegen die Edeka-Regionalgesellschaft Nordbayern-Sachsen-Thüringen (EHG). Köstler, der bis vor drei Jahren das Referat Wirtschaftsrecht der Hans-Böckler-Stiftung leitete, erinnert sich mit einem gewissen Groll an jenen Fall aus den Jahren 2006 bis 2009, bei dem er als Prozessbevollmächtigter für ver.di agierte. In einem Musterprozess vor dem Landgericht Nürnberg-Fürth hatte die Gewerkschaft zunächst einen wichtigen Etappensieg gegen Deutschlands größten Lebensmitteleinzelhändler errungen und die paritätische Mitbestimmung in der Regionalgesellschaft von Edeka, der EHG, erstritten. 

Die Gesellschaft sei ein Konzernunternehmen mit „deutlich mehr als 2000 Mitarbeitern“, entschied das Gericht – also müsse ein paritätisch besetzter Aufsichtsrat nach dem Mitbestimmungsgesetz gebildet werden. „Bei ver.di und auch bei mir keimte daraufhin die Hoffnung, dass wir jetzt die Parität auch bei den anderen sechs Edeka-Regionalgesellschaften durchsetzen können“, erzählt Köstler. 

Doch daraus wurde nichts. Im Mai 2008, wenige Monate nach dem ersten Urteil, vollzog der Einzelhandelsriese eine überraschende Volte. Edeka firmierte die Regionalgesellschaft in eine Stiftung & Co. KG um. Durch die Übertragung auf eine Stiftung sei das Firmenvermögen gegen Angriffe unwillkommener externer Investoren besser geschützt, lautete die offizielle Begründung, mit der Edeka seine Attacke gegen ver.di und die gerichtlich erstrittene paritätische Mitbestimmung zu kaschieren versuchte. Dabei war die eigentliche Zielsetzung doch klar erkennbar: Das 1976er-Mitbestimmungsgesetz gilt nicht für Stiftungen, auch dann nicht, wenn sie mehr als 2000 Mitarbeiter beschäftigen. „Damit hatte Edeka das Ding wasserdicht und die erstrittene Parität abgeschmettert“, erklärt Roland Köstler. Zähneknirschend musste ver.di akzeptieren, dass mehr als die bisherige Regelung – ein Drittel Arbeitnehmervertreter im regionalen EHG-Aufsichtsrat – nicht herauszuholen war.

„Ein bewusst geschaffenes Nirwana“

Bei den beiden Marktführern unter den deutschen Lebensmitteldiscountern wäre ver.di schon froh, wenn es zumindest eine solche Drittelbeteiligung gäbe. Bei Aldi und Lidl herrschen nämlich völlig anachronistische Zustände. Die Unternehmen sind komplett mitbestimmungsfreie Zonen – ohne auch nur einen einzigen Arbeitnehmervertreter im Kontrollgremium. Der Trick ist im Grunde der gleiche wie bei Edeka – nur dass die Discounter schon viel früher aus der Unternehmensmitbestimmung stiften gingen. Theo und Karl Albrecht, die ihr Reich 1961 in Aldi Nord und Aldi Süd aufgeteilt hatten, überführten das Unternehmensvermögen schon in den 70er Jahren in mehrere nicht auflösbare Familienstiftungen und schufen so Dauerparkplätze für ihre Gewinne. Die Unternehmen, die allein in Deutschland zusammen rund 63 000 Mitarbeiter beschäftigen, befinden sich vollständig im Besitz der Stiftungen und werden somit vom Mitbestimmungsgesetz nicht erfasst. 

Unterhalb der Stiftungen, die für den Lebensunterhalt der Albrecht-Erben sorgen und gleichzeitig die Geschäfte lenken, operieren 66 Regionalgesellschaften, von denen keine die für die Anwendung des Mitbestimmungsgesetzes maßgebliche magische Schwelle von 2000 Mitarbeitern überschreitet. Da die Albrechts als Rechtsform für die Regionalgesellschaften die GmbH & Co. KG gewählt hatten – eine Unternehmensart, die im Drittelbeteiligungsgesetz von 2004 nicht auftaucht –, kommt nicht einmal „Mitbestimmung light“ in Betracht.

Ganz ähnlich handhabt es die im baden-württembergischen Neckarsulm beheimatete Schwarz-Gruppe, zu der 3200 Lidl-Filialen und 580 Kaufland-Märkte in Deutschland gehören. Lidl und Kaufland werden durch je eine Stiftung gesteuert; auch hier greift das Mitbestimmungsgesetz ins Leere. Der Lidl-Stiftung sind wiederum rund 800 Landes- und Servicegesellschaften unterstellt. Bei ver.di nennt man das „ein bewusst geschaffenes Nirwana“ – mit dessen Hilfe sich das Unternehmen, das mit deutschlandweit 59 000 Mitarbeitern mehr Menschen beschäftigt als Industrieriesen wie ThyssenKrupp oder Bayer, aus der Mitbestimmung davonstiehlt. Die Dienstleistungsgewerkschaft hat vor einigen Jahren einige Monate damit zugebracht, ein Organigramm des Konzerns zu erstellen – und es schließlich aufgegeben. „Wir haben nach wie vor keinerlei vertiefte Einblicke in das Innere dieses Konzerns“, so Bernhard Franke, Landesfachbereichsleiter Handel bei ver.di in Baden-Württemberg.

Die Discounter-Riesen dienen als fragwürdige Vorbilder für eine ganze Reihe von Unternehmen, deren Eigentümer oder Manager sich ebenfalls nicht von Arbeitnehmervertretern reinreden lassen wollen. Durch die gezielte Gründung von Stiftungen sind nach Berechnungen der Hans-Böckler-Stiftung vor allem im Einzelhandel bundesweit rund 325 000 Arbeitnehmer – völlig im Einklang mit den Gesetzen – von der paritätischen Mitbestimmung ausgeschlossen. Eine „skandalöse Kultur der Vermeidung von Mitbestimmungsstandards“, urteilt die Hans-Böckler-Stiftung.

Beim DGB denkt man seit Längerem darüber nach, die Schlupflöcher im Mitbestimmungsgesetz zu stopfen. Im Juli beschloss der Bundesvorstand ein Papier namens „Offensive Mitbestimmung“ – und erwägt darin auch die „Einbeziehung weiterer Rechtsformen in den Geltungsbereich der Mitbestimmungsgesetze“. Es sei „nicht gerechtfertigt, dass den Beschäftigten großer, marktbeherrschender Unternehmen wie Lidl und Aldi eine Mitbestimmung im Aufsichtsrat ihres Unternehmens verwehrt bleibt“. Wer es nicht zulassen will, dass die Mitbestimmung zum Auslaufmodell wird, „der muss jetzt tätig werden und Lücken in der deutschen Gesetzgebung schließen“, drängt die Hans-Böckler-Stiftung. 

Dass dies geboten und auch möglich ist, zeigte der Bochumer Stiftungsrechtsexperte Sebastian Trappe in seiner Dissertation auf. Es sei „das Kriterium der Unternehmensgröße und nicht das Kriterium der Rechtsform, welches von Sinn und Zweck der Mitbestimmung (ausgehend) deren Zumutbarkeit gewährleisten“ solle. „Die Anwendung der Mitbestimmungsgesetze auf unternehmensverbundene Stiftungen würde nicht gegen stiftungsrechtliche Grundsätze verstoßen“, lautete Trappes Fazit. Im Gegenteil: Sie schaffe „ein angemessenes Gegengewicht“ und binde „die Rechtsform Stiftung wieder in die gesellschaftlichen und gesellschaftsrechtlichen Strukturen ein“. 

Nicht ganz klar ist, wer denn die Weichen für diese Zukunft der Mitbestimmung stellen soll. Die zuständige Ministerin derzeit wohl eher nicht. „Der Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD sieht dazu keine Maßnahmen vor“, teilte das Ministerium von Andrea Nahles auf eine Kleine Anfrage der Grünen-Abgeordneten Beate Müller-Gemmeke kürzlich lapidar mit. Wirtschaftsrechtler Roland Köstler dämpft ohnehin die Erwartungen: „Wenn man jetzt am Mitbestimmungsgesetz herumdoktert, werden die Unternehmen wieder ein Hintertürchen entdecken und Wege finden, aus der Mitbestimmung rauszukommen“, befürchtet er. Seine Forderung geht weiter: „Stiftungen, deren Zweck es ist, ein Unternehmen zu führen, sollen gar nicht mehr zulässig sein. Das wäre der richtige und konsequente Schritt.“

Die aktuelle Rechtslage ist derart misslich und gleichzeitig unmissverständlich, dass es sich beispielsweise für ver.di nicht lohnt, in großem Umfang Ressourcen einzusetzen. „Natürlich könnten wir Edeka Südwest mit einem Statusverfahren angehen und sogar mit einiger Aussicht auf Erfolg versuchen, dort die paritätische Mitbestimmung durchzusetzen“, skizziert Bernhard Franke. „Aber dann schmettern die uns mit einer solchen Stiftungskonstruktion ab, und wir erreichen gar nichts.“ Derzeit sei das Etappenziel, vor allem bei den Discountern funktionierende Betriebsratsstrukturen zu schaffen. „Und das ist schon schwer genug.“ Franke und seine Kollegen wollen erst mal die Saat legen – denn wo sollen irgendwann Aufsichtsräte herkommen, wenn es keinen Pool mit resoluten und selbstbewussten Betriebsräten gibt?

Es fehlt ein Korrektiv, das Schaden begrenzt

Mit ihrer Flucht aus der Mitbestimmung tun sich Aldi, Lidl und Co. auf lange Sicht vermutlich keinen Gefallen. Ohne einen mitbestimmten Aufsichtsrat fehlt ein Korrektiv, das auf Fehlentwicklungen hindeutet, Informationen zur wirtschaftlichen Lage einfordert und die Entscheidungen der Unternehmensführung kritisch hinterfragt. Der Fall Aldi Nord, ein Unternehmen mit deutschlandweit 28 000 Mitarbeitern in 2400 Filialen, führt das gerade plastisch vor Augen. Theo Albrecht hat das Vermögen einst auf drei Stiftungen aufgeteilt – mit unterschiedlichen Nutznießern, die jetzt mit aller Härte über Macht und Einfluss, über die Frage eines angemessenen Lebensstils und die jährlichen Gewinnentnahmen streiten. Der Familienzwist droht das Unternehmen zu belasten, urteilt Michael Guggemos, Sprecher der Geschäftsführung der Hans-Böckler-Stiftung: „Die Querelen bei Aldi Nord zeigen sehr eindrücklich, wie gefährlich es ist, wenn Familienunternehmen dieses Korrektiv nicht haben.“

Wohin das im schlimmsten Fall führen kann, zeigt der Fall Schlecker. Der ehemalige Drogeriekönig steuerte sein Imperium mit mehr als 1000 Filialen und 30 000 Mitarbeitern vor vier Jahren in die Pleite. Anton Schlecker hatte sich auf der Suche nach einer Form der Mitbestimmungsvermeidung nicht für die Gründung einer Stiftung entschieden, sondern für die Rechtsform des eingetragenen Kaufmanns, kurz e.K., die ebenfalls nicht von der Mitbestimmungsgesetzgebung erfasst wird. Als alleiniger Inhaber herrscht der eingetragene Kaufmann völlig frei über sein Unternehmen, kein Konkurrent kann ihm in die Bücher schauen. Schlecker genoss sein Dasein als Sonnenkönig – solange die Sonne schien. Doch im Fall der Insolvenz haftet der eingetragene Kaufmann mit seinem gesamten Privatvermögen.

Wäre der Schlecker-Zusammenbruch vermeidbar gewesen, wenn es ein funktionierendes Frühwarnsystem gegeben hätte, zu dem ein mitbestimmter Aufsichtsrat gehört?. „Eine Einschätzung der tatsächlichen wirtschaftlichen Lage von Schlecker war völlig unmöglich“, erinnert sich der damals zuständige ver.di-Fachbereichsleiter Franke an die Geheimniskrämerei des im schwäbischen Ehingen beheimateten ehemaligen Drogeriemarkt-Magnaten. „Es fehlten elementare Informationsrechte, die eben nur ein Aufsichtsrat hat.“ Zwar habe auch der Gesamtbetriebsrat Zahlen eingefordert, „aber wenn Schlecker die auf gerichtliche Anweisung hin ausnahmsweise herausgerückt hat, waren sie in der Regel zwei oder drei Jahre alt und damit unbrauchbar“.

Ganz sicher wären einem mitbestimmten Aufsichtsrat auch die finanziellen Transaktionen des Firmenpatriarchen nicht entgangen, die jetzt noch einmal die Gerichte beschäftigen. Anton Schlecker, so scheint es zumindest, hatte noch im Angesicht der drohenden Pleite offensichtlich systematisch Millionen aus dem Firmenvermögen abgezweigt. Die fehlten später in der Insolvenzmasse – und damit auch den 25 000 „Schlecker-Frauen“.

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