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Jan Stremmel: Drecksarbeit Buch Magazin Mitbestimmung

Rezension: Was keiner sehen soll

Ausgabe 02/2022

Die Reportagen von Jan Stremmel zeigen die Schmuddelecken der Globalisierung. Seine Recherchen führen zu unregulierten Jobs, in denen es keinerlei Schutz gibt. Von Dirk Manten

In Kenia ordnet eine Rosenfarm Überstunden an, weil in Deutschland bald Valentinstag ist. In Kalkutta färben Arbeiter ohne jede Schutzkleidung Unterhosen für europäische Discounter. Es sind diese Zusammenhänge zwischen unserem bequemen Leben in Europa und der harten Realität in Entwicklungsländern, die Jan Stremmel in zehn Reportagen schildert. Der Journalist, der unter anderen für die „Süddeutsche Zeitung am Wochenende“ arbeitet, hat dafür von Günter Walraff, dem deutschen Urgestein der Investigativrecherche, viel Lob bekommen. 

Fünf Jahre war Stremmel in mehr als 40 Ländern unterwegs, manchmal fernab touristischer Hotspots, manchmal in deren unmittelbarer Nähe, wie auf den Kapverden. Der westafrikanische Inselstaat hat sich zu einem beliebten Urlaubsziel gemausert. Zum Aufbau der touristischen Infrastruktur wurde viel Beton verbaut, ein Werkstoff, der zu etwa drei Vierteln aus Sand und Kies besteht. Da sich der globale Sandpreis in den letzten beiden Jahrzehnten versechsfacht hat, entwickelte sich der illegale Abbau zu einem lukrativen Geschäftsfeld.

Einen Tag lang begleitet der Autor Dita, eine alleinerziehende Mutter, die als „Sandräuberin“ arbeitet, um ihre fünf Kinder durchzubringen – mit Schaufeln, bloßen Händen und Eimern in einer gefährlichen Brandung. Ihre Arbeit sichert das Überleben – und ist zugleich ein Raubbau an der Natur. Während die Gäste aus Europa auf der einen Insel in schicken  Neubauten ihren Strandurlaub genießen schaufeln die Sandräuber auf der Nachbarinsel ganze Strände weg, bis nur noch der nackte Felsen übrig bleibt.

Nicht nur der exotische Urlaub ist kontaminiert, sondern auch unsere Kleidung. Stremmel zeigt das am Beispiel von Baumwollfärbern im indischen Kalkutta. Die Schilderung des Alltags in einer Färberei, wo der Autor den Arbeiter Uttam bei seiner extrem gesundheitsschädlichen Tätigkeit begleitet, illustriert die Verhältnisse in dieser Branche: Uttam arbeitet ohne jede Schutzkleidung mit hochgiftigen Chemikalien. Während in Großfabriken aufgrund des Drucks von Herstellern und Kunden mehr auf Regeln geachtet wird, werden Teile der Produktion in kleinere Betriebe ausgelagert, in die sich, so der Autor, „kein Kontrolleur je verirrt“. Stremmel führt uns in eine „Welt der Sub-Sub-Subunternehmen, der Kleinlieferanten und Hinterhof-Fabriken“. Er zeigt, dass Modekonzerne ihre Produktion stets in die Länder mit den geringsten Löhnen verlagern.  Immer wieder setzt er sich mit den westlichen Konsumenten auseinander, denen er in einer zuweilen moralisierenden Art Bequemlichkeit und eine Schnäppchen-Mentalität unterstellt. 

Gern hätte man mehr darüber gelesen, wie sich die Situation der Menschen verbessern lässt. Allerdings arbeiten  sie oft im informellen Sektor, wohin gewerkschaftliche Aktivitäten nicht reichen. Der Autor verweist auf das Lieferkettengesetz auf deutscher und auf europäischer Ebene und schreibt: „Wenn Konzerne haftbar sind für alles, was auf der langen Reise ihrer Produkte passiert, fordern sie von ihren Lieferanten auch mit Nachdruck bestimmte Standards ein.“ So richtig dieser Gedanke ist und so sehr er ein Anliegen der Gewerkschaften aufgreift, so zeigt Stremmels Recherche, dass auch ein solches Gesetz die von ihm porträtierten Menschen so schnell nicht erreichen wird. Die Ursachen für ihre Lage sind zu komplex,  um sie auf eine einfache Formel zu bringen. 

Jan Stremmel: Drecksarbeit. Geschichten aus dem Maschinenraum unseres bequemen Lebens. München, Knesebeck-Verlag 2021. 192 Seiten, 22 Euro

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