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Schlechte Jobs untergraben die Demokratie Böckler Impuls

Rechtsextremismus: Schlechte Jobs untergraben die Demokratie

Ausgabe 05/2024

Die Ausbreitung rechtsextremer Einstellungen in Deutschland hat auch mit wirtschaftlichen Sorgen sowie mangelnder Mitsprache und Anerkennung am Arbeitsplatz zu tun.

Der Rechtsdrall in der deutschen Gesellschaft steht mit Erfahrungen sozialer Desintegration in Verbindung. Dazu zählen Sorgen um den eigenen Lebensstandard, die Alterssicherung oder die berufliche Zukunft. Auch mangelnde Mitsprache am Arbeitsplatz oder der Eindruck, dass die berufliche Leistung vom Arbeitgeber nicht ausreichend anerkannt wird, spielen eine Rolle. Das zeigt eine Analyse der WSI-Direktorin Bettina Kohlrausch.

Dass das Gefühl, Anerkennung zu verlieren, zu einer Erosion demokratischer Einstellungen führt, zeigen unter anderem die Untersuchungen des Soziologen Wilhelm Heitmeyer oder die Leipziger Autoritarismus-Studie. Das WSI hat auf empirischer Basis herausgearbeitet, dass sich diese Gefühle aus geringer oder fehlender materieller, sozialer und demokratischer Teilhabe speisen. „Unsere Befragungsdaten zeigen, dass unter Menschen, die zur Wahl der AfD tendieren, solche subjektiven Bedrohungs- und Verlusterfahrungen überdurchschnittlich verbreitet sind“, so Kohlrausch.

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Es sei besonders problematisch, dass gerade Menschen mit niedrigeren Einkommen durch die Coronakrise und die Teuerung infolge des Ukrainekriegs überproportional belastet wurden, was zu einem massiven Anstieg ihrer finanziellen Sorgen geführt hat, erklärt die Forscherin. Das mache sie anfälliger für rechtsradikale Ansichten. „Oft verbinden sich Bedrohungs- und Verlustgefühle dann mit migrationskritischen bis -feindlichen Stereotypen, die insbesondere AfD-Stammwählerinnen und -wähler sehr oft vertreten“, sagt die Soziologin. „Der AfD gelingt es im aktuellen politischen Diskurs erfolgreich, Oben-Unten-Konflikte in Innen-Außen-Konflikte umzudeuten.“ 

Ebenfalls eine wichtige Rolle spielt laut Kohlrausch das Gefühl, mit den rasanten gesellschaftlichen Veränderungen nicht mithalten zu können, sodass materielle Sicherheit und soziale Anerkennung auf dem Spiel stehen. Der Eindruck, weder zu verstehen, wie und warum sich die Gesellschaft verändert, noch die Auswirkungen dieser Veränderungen mitgestalten zu können, begünstige antidemokratische Einstellungen. 

„Die multiplen Krisen dieser Zeit und die großen gesellschaftlichen Veränderungen wie die Digitalisierung, die Dekarbonisierung und der demografische Wandel haben zur Folge, dass sich Verteilungskonflikte einerseits zuspitzen und anderseits zentrale gesellschaftliche Fragen neu ausgehandelt werden müssen“, erklärt die Soziologin. Ein zentraler Aushandlungsort sei nach wie vor der Betrieb. Faktoren wie die Tarifautonomie oder das Betriebsverfassungsgesetz bestimmten ebenso wie soziale Schutzrechte für Beschäftigte den formalen Rahmen dieses Aushandlungsprozesses – und seien daher wichtige Ressourcen auch für die politische Demokratie. 

Untersuchungen, unter anderem Studien des WSI, zeigen, dass Beschäftigte seltener zu antidemokratischen Einstellungen neigen, wenn der Interessenausgleich mit der Arbeitgeberseite gelingt und es konkrete Mitsprachemöglichkeiten im Job gibt. So geben beispielsweise in der WSI-Erwerbspersonenbefragung unter den Anhängerinnen und Anhängern anderer Parteien deutlich mehr Menschen an, Mitspracherechte bei strategischen Entscheidungen am Arbeitsplatz zu haben, als Wählerinnen und Wähler der AfD. In eine ähnliche Richtung weisen Studien von Forschenden der Universitäten Lüneburg und Trier. Danach sind Beschäftigte in mitbestimmten Betrieben im Schnitt zufriedener mit der Demokratie in Deutschland als diejenigen ohne Betriebsrat. Und: Gibt es in einem Betrieb eine Arbeitnehmervertretung, tendiert die Belegschaft weniger zu rechtsradikalen Parteien.

Für die meisten Menschen ist Erwerbsarbeit die wesentliche Grundlage ihrer materiellen Absicherung, aber auch eine wichtige Ressource sozialer Anerkennung, konstatiert Kohlrausch. Beide Aspekte spielten eine Rolle bei Sympathien für die AfD: Menschen, denen ihre Arbeit langfristig ein sicheres und ausreichendes Einkommen garantiert, machten seltener ihr Kreuz bei dieser Partei. Dasselbe gelte für Beschäftigte, die Solidarität, Stolz auf die eigene Leistung und Anerkennung erfahren.

Trotz derartiger Befunde werde in der Debatte über das Erstarken antidemokratischer Einstellungen und rechtsextremer Parteien die Bedeutung des Betriebs und die Rolle von Erwerbsarbeit häufig vernachlässigt, so Kohlrausch. Es müsse sowohl für eine ausreichende materielle Absicherung als auch für soziale Anerkennung und demokratische Beteiligungsmöglichkeiten gesorgt werden. Die Stärkung der Tarifbindung sei ein wichtiger Baustein dafür.

Ebenso wichtig sei es, Beschäftigten Mitsprachemöglichkeiten bei Transformationsprozessen einzuräumen. Eine Ausweitung der betrieblichen Mitbestimmung sei hierfür nur ein erster Schritt. „Betriebsräte brauchen mehr Rechte, um die aktuellen Veränderungen mitgestalten zu können, zum Beispiel im Hinblick auf Digitalisierung oder Qualifizierung, die eine wichtige Voraussetzung ist, um mit den Veränderungen der Arbeitswelt mithalten zu können. Hierfür braucht es eine grundlegende Reform des Betriebsverfassungsgesetzes“, so Kohlrausch. Eine von Fachleuten für Arbeitsrecht der Gewerkschaften, der Hans-Böckler-Stiftung sowie der Universitäten Göttingen und Bremen vorgeschlagene Neufassung sehe auch vor, Beschäftigten, eine Stunde Demokratiezeit in der Woche einzurichten, betont Kohlrausch.

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