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Auszubildende bei Porsche Magazin Mitbestimmung

Ausbildung: Vorurteile sterben langsam

Ausgabe 01/2023

Trotz Fachkräftemangels werden junge Menschen mit ausländischer Familiengeschichte diskriminiert. Betriebsräte können helfen, das Problem anzugehen. Von Joachim F. Tornau

Manchmal liegen zwischen dem Bekenntnis gegen Diskriminierung und dem Vorurteil nur wenige Sätze. Da habe etwa, berichtet die Soziologin Sophie Krug von Nidda, der Personalverantwortliche eines großen Einzelhandelsunternehmens von „gleichen Chancen für alle“ gesprochen, um kurz darauf zu erklären: „Ich kann nicht nur afghanische Männer einstellen. Wirklich nicht. Die lassen sich von unseren Frauen nichts sagen.“ Krug von Nidda von der Universität Paderborn und ihre Kollegin Janina Söhn vom Soziologischen Forschungsinstitut Göttingen haben in einem von der Hans-Böckler-Stiftung geförderten Forschungsprojekt untersucht, wie ethnische Zuschreibungen die Vergabe von Ausbildungsplätzen beeinflussen. Das Ergebnis: Junge Menschen mit Hauptschulabschluss und aus Zuwandererfamilien werden immer noch benachteiligt.  

Sie und Janina Söhn können auf Umfragen unter mehreren hundert Hauptschulabsolventen und jenen Ausbildungsbetrieben zurückgreifen, bei denen sich die befragten Jugendlichen erfolgreich oder nicht erfolgreich beworben hatten. Die Daten sind zwar aus den Jahren 2007 bis 2013, werden tendenziell aber von jüngeren Interviews mit Personalverantwortlichen bestätigt. Auch viele kleine und mittlere Unternehmen beteiligten sich. Die Zahlen lassen starke Vorbehalte ­gegen Bewerber aus Zuwandererfamilien. So stimmen in der Betriebsbefragung 49 Prozent der Interviewten der Aussage zu, dass Jugendliche mit Migrationshintergrund Schwierigkeiten mit der deutschen Sprache hätten. 28 Prozent stimmen zu, dass sie Probleme im Kundenkontakt verursachen. Solche Befragungen liefern starke Indizien für eine Diskriminierung. Allerdings ließ sich in den Untersuchungen kein einfacher Zusammenhang zur Einstellungspraxis nachweisen. 

Diskriminierung geschieht meist unbewusst  

Der Fachkräftemangel ist in den letzten zehn Jahren unübersehbar geworden.  Angebot und Nachfrage auf dem Ausbildungsmarkt passen nach wie vor nicht zusammen. Nach Angaben des Bundesinstituts für Berufsbildung (BIBB) fanden auch im vergangenen Jahr 11,3 Prozent der Bewerber keine Ausbildung, zugleich blieben 13 Prozent der Plätze unbesetzt – ein neuer Höchststand. Da sollten Personalverantwortliche sich eigentlich keine Vorurteile mehr leisten.  

Aber offenbar tun sie es dennoch. Dies geschieht oft unbewusst. „Die Mechanismen, die bei der Einstellungsentscheidung wirken, haben sich nicht sehr verändert“, sagt Krug von Nidda. Vor allem zwei Anforderungen wirken sich auf Bewerbungschancen von jungen Leuten mit Hauptschulabschluss und ausländischen Wurzeln aus: Sprache und Teampassung, Kriterien, bei denen sich nach den Erkenntnissen der Forscherinnen Annahmen über Sprachkompetenz und Passgenauigkeit mit ethnischen Zuschreibungen vermischen. Doch selbst hier sind die Befunde ambivalent. Je wichtiger es einem Unternehmen war, dass Auszubildende zu Belegschaft und Kundschaft „passen“, desto häufiger entschieden sie sich gegen Jugendliche migrantischer Herkunft.  

Ähnliches würde man auch bei den Unternehmen erwarten, die besonderen Wert auf sprachliches Ausdrucksvermögen legen. Doch – auf den ersten Blick überraschend – schnitten Jugendliche aus migrantischen Familien in Bewerbungsgesprächen hier genauso gut ab wie andere Bewerber. Die Forscherinnen können das erklären: Sprachkenntnisse lassen sich im Kontakt leichter überprüfen. Wer wissen will, was Bewerber können, spricht mit ihnen, statt nach Aktenlage und Vorurteil zu entscheiden.   

Es hilft, den Kontakt zu suchen 

Personalverantwortliche sollten möglichst früh die persönliche Begegnung mit migrantischen Jugendlichen suchen, fordern die Forscherinnen – durch Kennenlerntage und Praktika in Kooperation mit Schulen – spätestens aber mit einer Einladung zum Bewerbungsgespräch. In Tiefeninterviews mit den Expertinnen haben die Personaler geäußert, sich auf ihr „Bauchgefühl“ zu verlassen.  Aber das kann gefährlich sein.  

Christina Bäuerle, Betriebsrätin bei Porsche in Stuttgart, kennt das Bauchgefühl der Personaler gut. Sie nennt es lieber den „Nasenfaktor“ – und hat mitgeholfen, eine ältere Betriebsvereinbarung zu modernisieren, die den Nasenfaktor eliminieren und für Fairness sorgen soll.  Es wird darauf geachtet, dass ein Migrationshintergrund bei der Auswahl keine Rolle Rolle spielt.  

Dabei wird dem Nachwuchs der eigenen ­Beschäftigten ein  gewisser Vorteil eingeräumt. Kinder von Beschäftigten sollen 40 Prozent der Auszubildenden ausmachen. Sie werden grundsätzlich zum Eignungstest eingeladen. „Wir laden auch Kinder von Beschäftigten ein, die sonst  keine Chance hätten“, sagt Bäuerle. Einzige Voraussetzung: mindestens eine Zwei in Verhalten auf dem letzten Schulzeugnis.  

Externe Bewerber müssen zusätzlich einen bestimmten Notenschnitt vorweisen. Nur 15 Prozent der Auszubildenden sollen vom Gymnasium kommen.  Auf den Test folgt in der Regel ein Bewerbungsgespräch, das nicht nur von der Personalabteilung, sondern auch von Ausbildungs- und Produktionsmeistern sowie dem Betriebsrat geführt wird.  

„Durch dieses Mehraugenprinzip ist die Neutralität gewahrt“, sagt Bäuerle. Zudem gibt es bei Porsche das tarifliche Förderjahr. Jährlich sollen hier zehn Jugendliche, die bisher ohne Chance auf einen Ausbildungsplatz sind, fit gemacht werden für eine mögliche Ausbildung bei Porsche. 

Während Porsche seine Ausbildungsplätze noch problemlos besetzen. kann, ist die Lage beim Zulieferer Continental weniger komfortabel. „Sehr schwer“, sagt Hasan Allak, Vorsitzender des Betriebsrats im Reifenwerk Hannover-Stöcken und Vorsitzender des Konzernbetriebsrats, gestalte sich das mittlerweile. Conti bietet deshalb jungen Menschen, die nicht gleich einen Ausbildungsplatz bekommen oder sogar beim Eignungstest durchgefallen sind, ein tarifvertraglich geregeltes „Einstiegsqualifizierungsjahr“ (EQJ) an: Zwölf Monate arbeiten sie in der Produktion mit und besuchen die Berufsschule. Wenn sie sich hier bewähren, können sie doch noch eine Ausbildung starten. „Das sind junge Leute, die dem Unternehmen sehr verbunden sind, weil sie eine Chance bekommen haben“, sagt Allak. Viele von ihnen hätten einen Migrationshintergrund, eine Bedingung sei das jedoch nicht. Bis zu sechs EQJ-Plätze im Chemiebereich könnten in den drei Hannoveraner Werken vergeben werden. Meist seien es allerdings weniger: „Wir müssen da als Betriebsräte immer wieder nachfassen.“  

Engagement und Beharrlichkeit 

Dass Unternehmen gut beraten sind, den Aufwand nicht zu scheuen, würde auch Michael Hellriegel, Betriebsratsvorsitzender bei Siemens in Leipzig, unterschreiben. Die Einstiegsqualifizierungsklassen für Geflüchtete, die Siemens nach 2015/16 mehrere Jahre lang  an seinen Ausbildungszentren einrichtete, seien „außerordentlich erfolgreich“ gewesen, berichtet er. Fast alle seien in eine Ausbildung vermittelt worden, oft ins Leipziger Siemens-Werk. „Sie sind alle noch da, manche haben sich noch weiterqualifiziert.“ Stolz erzählt der Betriebsrat von Shams Safi, einem Afghanen, der ohne Schulzeugnis und auf dem Bildungsstand eines Siebtklässlers nach Deutschland kam. Die Mischung von Safis Engagement und Hellriegels Beharrlichkeit zahlte sich aus (Mitbestimmung 5/2021). Heute ist Safi Industrieelektroniker für Betriebstechnik. „Wissen kann man sich aneignen“, sagt Hellriegel. „Entscheidend ist, dass die jungen Leute Lust haben, zu arbeiten. Um das herauszubekommen, muss man sie sich anschauen.“  

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