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Magazin Mitbestimmung

Eurozone: Szenario A, B, C, D

Ausgabe 10/2012

Auf einer politischen Roadshow durch 16 europäische Städte lotet die Friedrich-Ebert-Stiftung, unterstützt von Experten vor Ort, Szenarien für die Zukunft Europas aus. Doch die Meinungen und Rettungsvorschläge gehen weit auseinander. Von Mario Müller

Eine Koalition aus Gewerkschaften und Unternehmen der Realwirtschaft gegen das Finanzkapital? Das halte er für schwierig, sagt DGB-Vertreter Martin Stuber in die Runde. Den Vorschlag, ein entsprechendes Bündnis zu bilden, hat Stephan Schulmeister ins Gespräch gebracht. Der Wiener Wirtschaftswissenschaftler ist auf Einladung der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung (FES) nach Berlin gekommen, um auf einem Symposium Ende September über die Eurokrise und die Möglichkeiten ihrer Lösung zu diskutieren. Schulmeister sieht im Finanzkapitalismus die Wurzel allen Übels. Weshalb er für eine „neue Navigationskarte“ plädiert, die als Zielmarken europäischer Politik den Sozialstaat und regulierte Finanzmärkte anpeilt.

Europa im Spätsommer 2012: Mit Demonstrationen und Streiks protestieren Griechen und Spanier gegen die Sparpolitik, die ihren Ländern von den europäischen Partnern abverlangt wird. In Frankreich steigt nach Massenentlassungen – etwa beim Autohersteller Peugeot – die Arbeitslosigkeit rasant an und auch der sozialistische Staatspräsident François Hollande muss ans Sparen denken. Vier Jahre nach der Lehman-Pleite und dem Ausbruch der Finanzkrise befindet sich die Wirtschaft der Eurozone weiterhin auf Talfahrt. Unter den größeren Mitgliedstaaten kann sich bislang nur die Bundesrepublik dem Abwärtstrend entziehen und bescheidene Wachstumsraten vorweisen.

Ist der Euro noch zu retten? Sollte er überhaupt gerettet werden? Und wenn ja, welche Konsequenzen hätte das? Hierzulande scheint das Projekt immer weniger Unterstützung zu finden und macht sich Überdruss breit. Die Debatte wird vor allem von den gigantischen Geldbeträgen bestimmt, die europäische Krisengipfel für immer neue Rettungsversuche aufrufen und die die Angst nähren, die hiesige Bevölkerung werde für die Versäumnisse anderer Länder zur Kasse gebeten, wenn nicht direkt, dann später durch Inflation. Für einen mutigen Kurswechsel hin zu einer Weiterentwicklung Europas sprechen sich nur wenige Stimmen aus. Zu den prominentesten zählt der Philosoph Jürgen Habermas, der in einem gemeinsamen Aufruf mit seinem Kollegen Julian Nida-Rümelin und dem Ökonomen Peter Bofinger in der Eurokrise das „Versagen einer perspektivlosen Politik“ erkennt und für ein „demokratisches Kerneuropa“ eintritt.

CRASH ODER WEG AUS DER KRISE?

Auf diese Frage sucht das FES-Symposium Antworten. Berlin ist die achte Station der Veranstaltungsreihe, die in 16 europäischen Städten erkunden will, wie sich Experten aus Politik, Wissenschaft und Medien vor Ort die Zukunft Europas vorstellen. Immer dabei ist Maria João Rodrigues. Die Wirtschaftswissenschaftlerin von der Freien Universität Brüssel und ehemalige portugiesische Ministerin stellt auf der Tour ihre vier „Szenarien für die Eurozone 2020“ zur Debatte. Sie sollen verschiedene Möglichkeiten sowie ihre Konsequenzen aufzeigen und bei der politischen Entscheidungsfindung helfen. Szenario A erwartet ein Durchwursteln wie bisher, B rechnet mit einem Auseinanderbrechen der Währungsunion, C mit einem Kerneuropa, bei dem sich eine kleinere Staatengruppe zu einer Fiskalunion zusammenfindet und D schließlich mit dem großen Schritt aller Mitgliedsländer hin zu weitgehender politischer Integration, wenn auch mit unterschiedlichem Tempo.

„Wir brauchen eine schnelle Lösung“, meint Rodrigues und verweist auf die schwindende Unterstützung des Europrojekts in der Bevölkerung sowie die immer größer werdenden wirtschaftlichen Probleme in einzelnen Ländern. Und die Portugiesin lässt keinen Zweifel daran, welches Szenario sie bevorzugt: den Zusammenschluss zu einer Fiskalunion mit Instrumenten, die Wachstum und Arbeitsplätze schaffen helfen, gebändigten Finanzmärkten und einem „smarten Umgang mit öffentlichen Schulden“. Die bisherigen Stationen der Tour ergaben allerdings kein einheitliches Meinungsbild. Während sich in Spanien eine Mehrheit für eine politische Union ausgesprochen habe, werde in Polen für weiteres Durchwursteln plädiert und in Finnland gar eine nordeuropäische Eurozone bevorzugt, berichtet Björn Hacker von der FES.

INFLATIONSTREIBER EZB?

Auch in Berlin sind sich die Teilnehmer des Symposiums keineswegs einig, wohin die Reise geht. Immerhin herrscht Konsens darüber, dass das erste Szenario – Durchwursteln – keine Zukunft hat. Es sei angesichts der riesigen Probleme „instabil und politisch nicht durchzuhalten“, meint Gustav Horn, Direktor des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) in der Hans-Böckler-Stiftung.

In seinem Vortrag zeichnet Horn ein Bild, das im Kontrast steht zu den landläufigen Erklärungen von Politikern und Ökonomen. Nicht wegen des Fehlverhaltens einzelner Länder stecke Europa im Schlamassel. Vielmehr handele es sich um eine systemische Krise, hervorgerufen durch die unterschiedliche Entwicklung der Inflationsraten. Die Länder, in denen die Preise stärker stiegen als um die von der Europäischen Zentralbank (EZB) angestrebten knapp zwei Prozent, hätten ihre Wettbewerbsfähigkeit eingebüßt und sich immer mehr im Ausland verschuldet. Auf diesen Schulden beruhe aber umgekehrt das Auslandsvermögen der Bundesrepublik und deren „Wohlstandsillusion“. Für Horn steht deshalb fest: „Wir haben keine Staatsschuldenkrise, sondern eine Zahlungsbilanzkrise.“ Dieses Problem sei in der Währungsunion nicht rechtzeitig erkannt und angegangen worden. Statt Strafaktionen gegen Griechenland zu fordern, argumentiert Horn, hätte die Bundesregierung zur Verteidigung des Euro gleich den Kauf von Staatsanleihen befürworten sollen. Immerhin sei diese Fehleinschätzung inzwischen korrigiert worden. Die Befürchtung, dass die Anleihekäufe der EZB die Inflation anheizen, teilt der IMK-Chef nicht. Die zusätzliche Liquidität werde geparkt und fließe nicht in den Wirtschaftskreislauf. „Großes Krisenpotenzial“ sieht Horn vielmehr in der "Austeritätspolitik", die durch den geplanten Fiskalpakt und dessen Schuldenbremse noch verschärft werden könnte. Er ist überzeugt, dass diese Politik scheitern muss. Ähnlich sieht es Stephan Schulmeister. „Die Finanzmärkte spinnen“, sagt der Wirtschaftswissenschaftler. Deshalb müssten die Wechselkurse und die Zinsen der politischen Kontrolle unterworfen werden. Doch wo ist demokratische Kontrolle produktiv, wo beginnt der unproduktive Dirigismus? Welche Rolle soll die EZB spielen?

Carsten Schneider, der haushaltspolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, soll die notwendigen politischen Weichenstellungen auf dem Symposium skizzieren. Doch er muss einräumen, dass in der Fraktion keine Einigkeit über die Rolle der Zentralbank besteht. Sie werde zu mächtig, meint Schneider, der den „Anfang vom Ende der Parlamente“ fürchtet. Auch bei der Abgabe von Souveränitätsrechten an die Union sei eine „extrem kritische Phase“ erreicht. 

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