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Magazin Mitbestimmung

: Phönix aus der Asche

Ausgabe 04/2003

Genossenschaft - das ist für viele ein Wort von gestern. Es gibt jedoch Handwerks- und Wohnungsgenossenschaften, die sich gut am Markt behaupten. Eigentum motiviert, aber auch der enge Kontakt zum sozialen Umfeld.

Von Anette Jensen. Die Autorin ist Journalistin in Berlin.

Wenn Cordula Krause mit anderen Geschäftsführern aus ihrer Branche zusammensitzt und sich die Klagen anhört, dass wieder einmal Geld in der Kasse fehlt oder Material verschwunden ist, dann ist sie mächtig stolz auf sich: "So was kommt bei uns nicht vor", sagt die 42-jährige Leiterin der Friseurgenossenschaft Pasewalk. Null Fluktuation hat sie unter den 30 Mitgliedern in den vergangenen Jahren verzeichnet; nur bei den Angestellten gibt es ab und zu einen Wechsel. Kürzlich ist sogar ein Konkurrent am Feierabend einigen der fähigsten Kolleginnen nachgestiegen, um ihnen ein attraktives Angebot zu unterbreiten. Doch alle sind an Bord geblieben.

Dabei sind die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen schwierig. Die Zahl der Einwohner Pasewalks und damit der potenziell zu bearbeitenden Köpfe sinkt seit Jahren. Und wer einen schmalen Geldbeutel hat - und das sind viele in Mecklenburg-Vorpommern -, der spart auch beim Haareschneiden, wo er kann. Trotzdem ist es der Friseurgenossenschaft gelungen, den Umsatz seit Mitte der 90er Jahre um ein Drittel zu steigern und die Kundenzahl zu halten. Wie macht man das? "Als traditionelles Unternehmen sind wir ein wichtiger Anlaufpunkt für die Leute", meint Krause, "unsere Salons sind nicht nur Geldverdieninstitute." Vielleicht, mutmaßt sie, sei es ja auch die "solidarische Atmosphäre", die die Leute anziehe. Schließlich gehört das Unternehmen allen gemeinsam. Natürlich muss aber zuallererst die Qualität stimmen. Oft fahren die Pasewalker Genossenschaftsmitglieder am Wochenende zur Fortbildung, wo sie Trendhaarschnitte und die neuesten Färbetechniken studieren - und machen sich anschließend einen netten Abend. Die Genossinnen zahlen sich Tariflöhne - dazu eine Erfolgszulage.

Als allerdings vor kurzem eine Angestellte die Stunden für die Fortbildung vergütet haben wollte, gab es dafür wenig Verständnis. "Auf so eine Idee kämen unsere Mitglieder nie", sagt Krause. Die Genossenschaft hat der Frau gekündigt. Als die DDR am Ende war, gehörten 2 700 "Produktionsgenossenschaften des Handwerks", so genannte PGHs, zum Erbe der Planwirtschaft. Nur 20 Prozent der Belegschaften entschieden sich damals, weiter als Genossenschaft zu arbeiten. Vor allem die westlichen Berater rieten damals von der Rechtsform ab. Dabei haben sich die Genossenschaften im Nachhinein als relativ robust erwiesen.

"Ein Teil von dem hier gehört mir"

Die Bau-Möbel-Tischlerei e.G. Anklam hat heute acht Mitglieder. Nach der Pleite des Vorgängerbetriebs schloss sich eine Gruppe junger Kollegen zusammen und entschied sich für eine Genossenschaft: "Ein Teil von dem hier gehört mir. Kein großer Chef profitiert davon, wenn ich arbeite", begründet Torsten Rauchmann, der gerade in der Werkstatt steht und die künftigen Fensterbänke einer Kaserne durch eine Maschine schiebt, seine Entscheidung. Gemeinsam mit seinen Kollegen hat er beschlossen, dass er die Meisterprüfung machen wird. Freitagnachmittags fällt er nun regelmäßig im Betrieb aus; die Ausbildungsstunden am Samstag gehen von seiner Freizeit ab. Persönlich wird er vom Meisterbrief nicht profitieren. "Jeder bei uns verdient das Gleiche; nur die Älteren bekommen ein paar Cent mehr pro Arbeitsstunde", erklärt Jeanette Schmechel, die Vorstandsvorsitzende.

Wichtige Entscheidungen werden gemeinsam getroffen. Als im vergangenen Sommer die Anfrage kam, eine Pension auszubauen - und zwar schnell -, da haben sich alle Genossen zusammengesetzt und beschlossen, dass sie zwei Monate lang jeden Tag einige Stunden länger arbeiten würden. "Wenn ich angestellt wäre, würde ich bis vier arbeiten und mich danach nicht mehr weiter mit der Sache beschäftigen", beschreibt Rauchmann den Unterschied. Schwierig werden kollektive Entscheidungsstrukturen allerdings in Zeiten von Auftragsflauten, weiß Schmechel. "Davor habe ich Angst", gesteht sie. Denn wie könnte ein für den Betrieb überlebensnotwendiger Personalabbau stattfinden, ohne die Grundlage des eigenen Unternehmens zu gefährden?

Obwohl es in ganz Deutschland etwa 9 000 eingetragene Genossenschaften mit 20 Millionen Mitgliedern gibt - überwiegend große Wohnungsgenossenschaften, Volks- und Raiffeisenbanken -, ist die Unternehmensform vielen Menschen kaum bekannt. Und wenn sie etwas damit verbinden, dann sind es häufig Skandale wie bei der Neuen Heimat und Coop. Auch die Skepsis vieler Gewerkschafter rühre daher, meint Udo Blum, der auch nach seiner Pensionierung weiter als Innovationsberater für die IG Metall tätig ist. "Früher wurden Gewerkschaftsfunktionäre häufig in die großen Genossenschaften weggelobt, auch wenn ihnen oft die Fachkompetenz fehlte", so sein Urteil. Doch Blum, seit Jahrzehnten IG-Metaller, ist fest davon überzeugt, dass Genossenschaften eine zukunftsfähige Unternehmensform darstellen können.

Ihre Grundlagen sind Selbsthilfe und Eigenorganisation. Sie vertrauen nicht auf den Kapitalzufluss eines Investors - was in armen Regionen eine ohnehin vergebliche Hoffnung darstellt. Sowohl das Unternehmen als auch die Kunden sind vor Ort, so dass ein direkter Informationsfluss darüber möglich ist, was gebraucht und gewünscht wird. "Dadurch hat der Betrieb einen Wettbewerbsvorteil gegenüber Konzernen, die für einen anonymen Markt produzieren", beschreibt Blum die Situation. Gerade in strukturschwachen Gebieten mit hoher Arbeitslosigkeit sieht er hierin eine Chance, die mehr verspricht als eine subventionierte, kapitalintensive Wirtschaftsweise.

Es gibt Erfolgsgeschichten - auch im Westen

Ein sehr erfolgreiches Beispiel genossenschaftlicher Organisation in Westdeutschland ist die Wohnungsgenossenschaft am Beutelweg in Trier. Sie verfolgte zunächst das Ziel, den Bewohnern mehrerer Häuser in einem "sozialen Brennpunkt" lebenslanges Wohnrecht und bezahlbaren Wohnraum in Häusern zu ermöglichen, bei deren Sanierung sie geholfen hatten. Nachdem mehrere langzeitarbeitslose Bewohner zunächst im Rahmen von Qualifizierungsprojekten in die Sanierung mit einbezogen wurden, gründete die Genossenschaft ab 1993 zwei Betriebe, in denen einige dauerhaft eine Stelle fanden. Sowohl der Handwerksbetrieb, der von einem erfahrenen Meister geleitet wird, als auch ein wohnungswirtschaftliches Service-Unternehmen agieren auf dem freien Markt. Die Wohnungsgenossenschaft am Beutelweg hat bis heute insgesamt 65 feste Stellen und neun Ausbildungsplätze geschaffen.

Auch der DGB Berlin-Brandenburg hat die Genossenschaften inzwischen für sich entdeckt. Vor rund zwei Jahren gründete er einen Arbeitskreis, der sich mit dem Thema auch unter Beschäftigungsaspekten befasst. Bei den Koalitionsverhandlungen zwischen SPD und PDS hat DGB-Landeschef Dieter Scholz dann Druck gemacht, dass die Förderung von Genossenschaften explizit in den Koalitionsvertrag der Bundeshauptstadt aufgenommen wurde. Ähnlich wie in Trier könnten auch hier Liegenschaften und Immobilien des Landes, die am Markt nicht zu verkaufen sind, von Genossenschaften in Stand gesetzt und später genutzt werden. Dass die Schaffung von sicheren Dauerarbeitsplätzen in einer Genossenschaft kein einfaches Unterfangen ist, haben die beiden Vorstände der Berliner Stadtteilgenossenschaft Wedding, Thomas Müller und Willy Achter, erfahren müssen. Schon lange existierte in dem von hoher Arbeitslosigkeit gebeutelten Stadtteil der Wunsch, ein soziales Unternehmen zu gründen, das auf Dauer ohne öffentliche Subventionen auskommt und die Nachbarschaft mit sozialen und handwerklichen Dienstleistungen versorgt. Ursprünglich sollten die Teilnehmer einer vom Arbeitsamt geförderten Maßnahme für Langzeitarbeitslose die Stammbelegschaft werden.

Doch schnell stellte sich heraus, dass der Betrieb so keine Überlebenschance hätte. "Aufträge waren nicht das Problem - aber wir konnten am Markt nicht standhalten", so Willy Achter. Vor allem bei den personenbezogenen Dienstleistungen mangelte es an einer qualifizierten Fachkraft, und die Beschäftigten fühlten sich schnell überfordert; die Folge war unter anderem ein hoher Krankenstand. Hinzu kam die Konkurrenz durch ABM-Maßnahmen. Im Maler- und Elektrotechnikbereich hatte die Genossenschaft zwar nacheinander mehrere Meister angestellt. Doch auch hier reichte die Qualifizierung der übrigen Belegschaft nicht aus, um kostendeckend zu arbeiten. Als die Insolvenz drohte, beschlossen die Genossen mehrheitlich, den Betrieb fortzuführen - aber mit gut ausgebildetem Personal.

"Die Entlassungen waren wegen der Doppelrolle der Betroffenen als Unternehmer und Arbeitnehmer sehr konfliktreich", berichtet Willy Achter. Inzwischen arbeitet die Stadtteilgenossenschaft Wedding profitabel und hat vier Vollzeitstellen neu geschaffen. Die Beschäftigten kommen allerdings überwiegend nicht aus dem Wedding. Immer mehr Unternehmen aus der Nachbarschaft sind Mitglieder der Genossenschaft geworden. Sie versorgen sich gegenseitig zunehmend mit Aufträgen und bemühen sich gelegentlich gemeinsam um Großaufträge. "Das stabilisiert immerhin auch Arbeitsplätze hier im Wedding", fasst Thomas Müller die Strategie zusammen. Außerdem, berichtet er, habe sich die Mentalität geändert: "Die erste Frage ist nun nicht mehr, wo es Fördergelder gibt."


Interview

"Arbeit war mehr als ein Job"

 Die Ökonomin Delal Atmaca hat über Produktivgenossenschaften in Ostdeutschland promoviert. Sie glaubt an ein großes Potenzial für kooperative Selbsthilfe.

Frau Atmaca, Sie plädieren für die Förderung von Genossenschaften auch als Arbeitsmarktinstrument. Warum?
Atmaca: Neue Arbeitsplätze entstehen heute fast nur in kleinen und mittleren Unternehmen. Deshalb sind intelligente Ansätze zur Förderung des Aufbaus kleinbetrieblicher Strukturen sinnvoll. Bei genossenschaftlichen Unternehmen organisieren sich Menschen freiwillig, die über ein Interesse verbunden sind. Sie tragen Risiken gemeinsam und teilen die Vorteile. Sie nutzen also ihr eigenes Potenzial. Genossenschaften sind "local players" - keine renditemaximierenden "global players". Sie können in der Regel nicht einfach umziehen, die Mitglieder leben und arbeiten ja schließlich in der Region. Um solche Strukturen zu fördern, braucht es selbstverständlich völlig andere Instrumente als etwa "Gießkannen-Subventionen" für Großbetriebe. Auch bei den Gewerkschaften wäre da ein Perspektivwechsel vonnöten.

Zu DDR-Zeiten gab es ja relativ viele Genossenschaften, gerade auch Produktivgenossenschaften. Warum sind die denn verschwunden?
Wäre es nach den Banken und vielen Beratern aus dem Westen gegangen, gäbe es heute wohl keine einzige Genossenschaft mehr in Ostdeutschland. Bei meinen Interviews musste ich feststellen, dass auch noch ein Jahrzehnt nach der Einheit eine deutliche Mehrheit des Personals von Einrichtungen zur Wirtschaftsförderung fast nur ansiedlungsbasierte Modelle verfolgte. Diese Fixierung auf potenzielle Investoren, meist aus dem Westen, versperrt den Blick auf das endogene Potenzial. Dabei haben etwa gerade die Produktivgenossenschaften, die sich seinerzeit dennoch fürs Weitermachen als Genossenschaft entschieden hatten, oft eine gute Entwicklung genommen.

Wie schätzen Sie die Bereitschaft der Menschen in Deutschland ein, Genossenschaften zu gründen? Ich habe vor allem in Ostdeutschland geforscht. Zumindest dort ist das Potenzial für kooperative Selbsthilfe sehr groß. Die ostdeutsche Kultur ruhte stark auf kollektiven Bezügen in Nachbarschaft und Betrieben. Arbeit war mehr als bloßer Job - sie war Ort und Quelle zentraler sozialer Beziehungen. Die Leute waren aufeinander angewiesen: So dürfen die positiven Aspekte der faktisch erzwungenen Tauschwirtschaft ebenso wenig unterschätzt werden wie die praktizierte Solidarität und der soziale Zusammenhalt. Viele Menschen leiden heute darunter, dass sie mit der Arbeitslosigkeit eben mehr verloren haben als "nur" ihren Arbeitsplatz.

Sie behaupten sogar, Genossenschaften würden in Deutschland diskriminiert. Wie kommen Sie zu dieser Meinung?
In Gründungsberatungsstellen bei der Wirtschaftsförderung, bei Banken und Sparkassen, aber auch in den Industrie- und Handelskammern, von Verbänden und Anwälten wird die Genossenschaft als Rechtsform oft nicht einmal als Alternative präsentiert. In meinem Jurastudium erfuhr ich im Gesellschaftsrecht viel über AG und GmbH - aber so gut wie nichts über die eingetragene Genossenschaft (e G). Banken raten oft ausdrücklich von der Gründung einer Genossenschaft ab, selbst dann, wenn Menschen mit dem konkreten Anliegen einer Kollektivgründung kommen. Sie wollen einen einzigen verantwortlichen Ansprechpartner; bei einer Genossenschaft gibt es aber mindestens sieben Gründungsmitglieder, die gemeinsam entscheiden - und haften. Der Begriff "Unternehmer" ist in Deutschland geprägt von der Vorstellung, dass es sich dabei um Einzelpersonen handelt. Viele Förderinstrumente können von Genossenschaften nicht genutzt werden.

Gibt es Beispiele aus dem Ausland, wo das besser läuft?
Durchaus. Norditalien etwa verfolgt einen interessanten Ansatz in der Regionalpolitik, in dem das Selbsthilfepotenzial der Bürger sinnvoll genutzt wird. Entsprechende Gesetze fördern das: So gibt es beispielsweise Steuerermäßigungen für Arbeitslose, die sich in Genossenschaften zusammentun, ein Unternehmen gründen und gleichsam ihren eigenen Arbeitsplatz schaffen. Auch die Integration von sozial Benachteiligten wird durch Steuernachlässe oder Ähnliches honoriert. Das ist ein wesentlich sinnvollerer Weg als ABM, weil er nicht nur auf langfristige Existenzsicherung angelegt ist, sondern insbesondere auch, weil er die Fähigkeiten und Interessen der Beteiligten nutzt. Auch in England hat man in den 80er Jahren Entwicklungsagenturen gegründet, die Leute dabei unterstützt haben, gemeinsam wirtschaftlich aktiv zu werden. Das war ebenfalls sehr erfolgreich.

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