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Magazin Mitbestimmung

Klimapolitik: Klotzen statt kleckern

Ausgabe 01/2020

Das Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung sieht die Bundesregierung und die EU auf dem richtigen Weg, mahnt aber deutlich mehr Investitionen an. Von Ines Gollnick

Die Politik drückt in der Klimapolitik aufs Tempo. Den Anfang machten im vorigen Jahr die Bundesregierung mit ihrem 50 Milliarden Euro schweren Klimapaket und die Kohlekommission mit dem Beschluss zum schrittweisen Ausstieg aus der Kohleverstromung. Noch weiter geht der unter der neuen EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen ausgearbeitete European Green Deal der Europäischen Union. Die EU will Europa bis 2050 zum ersten klimaneutralen Kontinent der Welt machen. Allein die Europäische Investitionsbank plant, bis 2030 klimafreundliche Investitionen in Höhe von einer Billion Euro zu mobilisieren.

In seinem wirtschaftspolitischen Jahresausblick 2020 hat das Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung der Hans-Böckler-Stiftung (IMK) die deutschen und europäischen Entscheidungen zum Klimaschutz in den Fokus genommen. Die Politik sei endlich auf dem richtigen Weg, so der Tenor der IMK-Expertise. „Zu begrüßen ist, dass eine Wende in der Klimapolitik eingeleitet worden ist“, urteilt Sebastian Dullien, Wissenschaftlicher Direktor des IMK. Vor allem die Nachbesserungen am Klimapaket, etwa der von zehn auf 25 Euro angehobene Einstiegspreis für CO₂, finden die Zustimmung der Wissenschaftler. „All das gibt jetzt ein klares Signal für die Klimawende“, sagt Dullien, „und den Unternehmen verschafft es die für Investitionen nötige Orientierung.“

Allerdings hätten die Forscher sich noch beherztere Entscheidungen gewünscht – mehr klotzen statt kleckern. „Das Klimapaket ist zu zaghaft und sozial unausgewogen“, fasst das Gutachten zusammen. „Es ist bereits offenkundig, dass nachgebessert werden muss, um den Verpflichtungen aus dem Pariser Abkommen und den Zielen des europäischen Green Deal gerecht zu werden.“

Vor allem bei den für eine wohlstandssichernde Klimawende nötigen öffentlichen Investitionen sieht das IMK noch deutlich Luft nach oben. Zusätzliches massive Engagement sei nötig, zum Beispiel in der frühkindlichen Bildung, bei Ganztagsschulen, beim Breitbandausbau, in der Forschung, beim Wohnungsbau sowie im ÖPNV. In den kommenden zehn Jahren liege der staatliche Investitionsbedarf bei 457 Milliarden Euro. „Wenn kein vernünftiger ÖPNV existiert“, erklärt Sebastian Dullien den Zusammenhang, „führen steigende Benzinpreise nicht zum Umstieg auf klimafreundliche Verkehrsmittel, sondern zu einer finanziellen Belastung einkommensschwächerer Haushalte, die nicht über das Geld verfügen, ihren alten Diesel oder Benziner gegen ein Elektroauto auszutauschen.“ Eine – zumindest teilweise – Finanzierung der Investitionen durch eine höhere Neuverschuldung halten die Wirtschaftsforscher für vertretbar. Sie plädieren für eine Reform der Schuldenbremse, die bei Krediten für Investitionen künftig nicht mehr betätigt werden soll.

Dem European Green Deal der EU-Kommission bescheinigt das IMK ehrgeizige Ziele und vielversprechende Ansätze zur CO₂-Reduktion. „Allerdings bleiben einige Vorhaben vage.“ Der Europäischen Zentralbank (EZB) empfehlen die Wissenschaftler eine stärkere Berücksichtigung umweltfreundlicher Wertpapiere. Die EZB, so Dulliens Vorschlag, „könnte beispielsweise Anleihen bevorzugen, die klimafreundliche Investitionen finanzieren“.

Auch bei der Beschäftigungssicherung sieht das IMK die Politik in der Pflicht. Zwar habe die Bundesregierung die Zeichen der Zeit durchaus erkannt, zum Beispiel mit dem Arbeit-von-morgen-Gesetz. Im Entwurf aus dem Bundesarbeitsministerium stehen unter anderem Maßnahmen beim Kurzarbeitergeld in Krisensituationen sowie Offensiven zur Qualifizierung im Mittelpunkt. Doch dies dürfte nicht ausreichen. Nach jüngsten Berechnungen sind allein in der Automobilindustrie langfristig 400 000 Arbeitsplätze durch die Umstellung auf die Elektromobilität in Gefahr. „Deutschland darf im Prozess der Dekarbonisierung nicht deindustrialisiert werden“, fordert Dullien. „Es wäre ja nichts gewonnen, wenn Industriegüter anderswo auf der Welt umweltschädlich hergestellt würden, nur weil man dort so viel CO₂ ausstoßen darf, wie man möchte.“

Der Übergang von Beschäftigten aus den vom klimabedingten Strukturwandel stark betroffenen Wirtschaftszweigen in Zukunftsbranchen, insbesondere im Dienstleistungsbereich, müsse „attraktiver werden und frühzeitig stattfinden“. Denkbar seien etwa „ein stärkerer Einsatz von industriepolitischen Maßnahmen und gegebenenfalls temporäre Lohnzuschüsse an Beschäftigte, die diesen Schritt wagen“. Auch würde eine Stabilisierung und Ausweitung des Flächentarifvertragssystems „mehr gute Arbeit in den Dienstleistungsbereichen entstehen lassen und deren Attraktivität gegenüber Arbeitsplätzen in der Industrie erhöhen“. Fazit des Forscherteams: „Um den Strukturwandel infolge von Digitalisierung, Elektromobilität und Klimawandel zu meistern, ist mehr und nicht weniger Staat gefordert.“

Von zentraler Bedeutung ist für das IMK, dass der Weg zur CO₂-Neutralität sozialverträglich bleibt und der Lebensstandard der ärmeren Haushalte nicht noch weiter sinkt. „Der Klimawandel darf nicht auf dem Rücken der Armen durchgeführt werden.“ Hier habe die Politik an manchen Stellen die Weichen falsch gestellt. So komme die im Klimapaket enthaltene Anhebung der Pendlerpauschale vor allem Gutverdiener-Haushalten zugute, während das Gros der Geringverdiener leer ausgehe. „Nur wenn die Lasten der CO₂-Reduktion nicht einseitig auf den ärmeren Teil der Bevölkerung abgewälzt werden“, mahnt das IMK, „kann es gelingen, dauerhaft die Unterstützung einer Mehrheit der Bevölkerung für eine solche Politik zu sichern.“

Sebastian Dullien/Sebastian Gechert/Alexander Herzog-Stein/Katja Rietzler/Ulrike Stein/Silke Tober/Andrew Watt: Wirtschaftspolitische Herausforderungen 2020. Im Zeichen des Klimawandels. IMK Report 155, Januar 2020

Klima im Fokus

Das steht im Klimapaket: 

Mit dem Klimapaket will die Bundesregierung sicherstellen, dass Deutschland seine Klimaziele für 2030 doch noch erreicht und bis 2050 klimaneutral wird. Die Ende vorigen Jahres zwischen Bund und Ländern erzielte Einigung sieht vor allem einen höheren Preis für den Ausstoß des klimaschädlichen Kohlendioxids (CO₂) im Verkehr und bei Gebäuden ab 2021 vor. Der Preis für Gas, Öl und Kohle verteuert sich, damit Bürger und Industrie klimafreundliche Technologien kaufen und entwickeln. Der Einstiegspreis pro Tonne CO₂ liegt bei 25 Euro; bis 2025 soll er auf 55 Euro steigen. Für Benzin- und Dieselkraftstoff bedeutet bereits der Einstiegspreis eine Steigerung von 7 Cent pro Liter; das Heizen mit Erdöl verteuert sich um 8 Cent pro Liter. Zum Ausgleich wird die Pendlerpauschale von 30 auf 35 Cent erhöht. Außerdem wird das Bahnfahren günstiger, weil die Bahn ihre Tickets für Fernstrecken jetzt zum Mehrwertsteuersatz von 7 statt bisher 19 Prozent verkauft. Teurer werden dagegen Flugreisen. Durch eine Erhöhung der Luftverkehrsabgabe steigt der Ticketpreis ja nach Flugstrecke um 6 bis 17 Euro.

Außerdem steht seit Januar der Fahrplan für den Kohleausstieg. Die deutschen Kohlekraftwerke sollen bis 2038, eventuell sogar bis 2035 stillgelegt werden. Der Bund unterstützt die vier vom Kohleausstieg betroffenen Bundesländer, Nordrhein-Westfalen, Brandenburg, Sachsen-Anhalt und Sachsen, mit 40 Milliarden Euro. Die Kraftwerksbetreiber erhalten Entschädigungen von mehr als 4 Milliarden Euro.

Der Green Deal der EU-Kommission setzt sich ein klimaneutrales Europa bis zum Jahr 2050 zum Ziel. EU-Kommissarin Ursula von der Leyen nennt den Klimaplan „Europas ‚Mann-auf-dem-Mond‘-Moment“. Der Green Deal beinhaltet eine deutliche Korrektur der bisherigen Klimaziele (CO₂-Reduzierung von 50 bis 55 Prozent statt 40 Prozent bis 2030) sowie neue Strategien in den Bereichen Biodiversität, Landwirtschaft und Verkehr. Allein die Europäische Investitionsbank soll bis 2030 klimafreundliche Investitionen in Höhe von einer Billion Euro mobilisieren.

Veranstaltung der Hans-Böckler-Stiftung: 

Deutschland soll bis zum Jahr 2050 klimaneutral werden. Doch wie kann diese Transformation gelingen, ohne den Wohlstand zu gefährden? Und wie kann sichergestellt werden, dass die Veränderungen nicht auf dem Rücken der einkommensschwachen Bürger ausgetragen werden? Zu einer Diskussion über diese Fragen lädt das Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung der Hans-Böckler-Stiftung (IMK) am 2. April zur Tagung „Sozial-ökologische Transformation“ nach Berlin. Zu den Rednern und Diskussionsteilnehmern zählen Bundesumweltministerin Svenja Schulze (SPD), Dirk Messner, Präsident des Umweltbundesamtes, und Sebastian Dullien, Wissenschaftlicher Direktor des IMK. 

Anmeldungen bis 20. März hier.

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