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Magazin Mitbestimmung

: Kein eitel Sonnenschein

Ausgabe 01+02/2012

CONERGY/REPOWER Ihre Technik ist sauber, ihr Umgang mit Mitarbeitern nicht: Die jungen Unternehmen im Solar- und Windenergieanlagenbau halten ihre Belegschaften kurz, beschäftigen vielfach Leiharbeiter, verweigern Mitbestimmung und Tariflöhne. Von Carmen Molitor

Carmen Molitor ist Journalistin in Köln/Foto: Christian von Polentz/transitfoto.de

Harald Frick muss breit grinsen, als er bei einer Tasse Kaffee erzählt, wie seine Karriere als Betriebsrat beim Fotovoltaikhersteller Conergy in Frankfurt/Oder begann: Mit zwei Kollegen klebte er im Morgengrauen Plakate mit der Einladung zu einer Betriebsversammlung, die 2008 den Wahlvorstand für die erste Betriebsratswahl im Unternehmen bestimmen sollte. „Mir haben vielleicht die Knie geschlackert“, lacht er. Inzwischen ist er Konzern- und Betriebsratsvorsitzender und hat ein dickeres Fell im Engagement für die Belegschaft entwickelt. Fricks Arbeitgeber ist Conergy, einer der führenden Solaranlagenhersteller in Deutschland. Die Zentrale sitzt in Hamburg, produziert wird in Frankfurt/Oder, Bad Vilbel, Rangsdorf/Berlin und im kalifornischen Sacramento. Über 1000 Beschäftigte hat das Unternehmen in Deutschland, über 400 im Ausland. 2011 übernahmen Hedgefonds das Ruder.

Frick ist mit selbstbewusstem Mutterwitz gesegnet und nimmt kein Blatt vor den Mund. Mit Mitbestimmung hatte er wenig am Hut, als er 2007 als Operator/Anlagenführer bei der soeben eröffneten Wafer-, Zellen- und Modulfabrik von Conergy anheuerte. Dort herrschte denn auch eitel Sonnenschein, der Chef war ein freundlicher Kumpeltyp, die Stimmung euphorisch. Die Belegschaft war aus jungen Leuten aller möglichen Branchen zusammengewürfelt, vom Friseur bis zum Mechatroniker. Alles wirkte familiär. „Wir haben gedacht, wir sind in einer Sekte gelandet“, scherzt Harald Frick. „Alle waren lieb und nett, man duzte sich sofort, schmiss ein opulentes Sommerfest für die Beschäftigten.“ Einen Betriebsrat? Ein gerechtes, betriebsinternes Entgeltsystem? Tarifbindung gar? Brauchte hier doch keiner! Jeder war doch selbst seines Glückes Schmied: Wer beim Bewerbungsgespräch selbstbewusst genug auftrat, bekam leicht ein paar Hundert Euro mehr als der stillere Kollege gleich nebenan, der dieselbe Arbeit genauso gut machte. Jobs vergab die Geschäftsführung nach Sympathie, reguläre Ausschreibungen gab es nicht. Wer fragt schon mitten im Boom nach kleinlichen Formalien? Es war das, was man in der Solarbranche wohl schon bald die „gute alte Zeit“ nennen wird. Alles, was man anfasste, wurde zu Gold. An manchen Tagen stieg der Wert der Conergy-Aktie auf über 100 Euro. Mitte Januar 2012 war sie noch 40 wert. 40 Cent.

Schon drei Monate nach der Gründung des Werkes in Brandenburgs „Solar City“ verflog bei Conergy die Goldgräberstimmung. Ein Deal mit einer US-Firma über einen regelmäßigen Siliziumankauf zu ruinösen Preisen sorgte für Millionenschulden und Insolvenzgefahr. „Wir werden abwechselnd auf die Intensivstation und wieder zurück geschoben“, sagt Frick. Verlässliche Informationen für die Belegschaft gibt es kaum. Nachdem er und seine Kollegen 2008 zur Betriebsratswahl aufgerufen hatten, schlugen die Chefs in der Hamburger Zentrale stattdessen die Gründung einer formlosen Belegschaftsvertretung vor. Aber Gewerkschafter Frick lehnte eine Mitwirkung nach Arbeitgebergnaden ab: Das Betriebsverfassungsgesetz sollte Kompass der Zusammenarbeit sein, fand er. Seither hat der Betriebsrat zwar mithilfe der IG Metall immer wieder Forderungen durchgesetzt, aber ein vertrauensvoller Dialog auf Augenhöhe ist nicht entstanden.

TARIFVERTRAG NUR BEI BOSCH_ Mitbestimmungsrechte auszublenden ist in der Solarbranche die Regel, analysiert Peter Ernsdorf. Als Erster Bevollmächtigter der IG Metall Ostbrandenburg in Frankfurt/Oder hat er Einblick in die sieben Solarunternehmen in seiner Verwaltungsstelle, darunter Conergy, First Solar in Frankfurt/Oder, Odersun an den Standorten Frankfurt/Oder und Fürstenwalde, mp-tec in Eberswalde sowie aleo solar. Lediglich bei der aleo solar AG in Prenzlau, die inzwischen zu über 80 Prozent zum Bosch-Konzern gehört, sieht er gute Chancen auf einen Tarifvertrag. Denn die Geschäftsführungen der Solarfirmen legen kaum Wert auf einen Dialog mit den Gewerkschaften. „Die Behinderungen von Betriebsratswahlen waren in den Unternehmen teilweise massiv, verbriefte Grundrechte wurden nicht gewährt“, erzählt Ernsdorf. „Alles steht und fällt mit Kollegen, die das selber in die Hand nehmen.“ Als IG Metall biete man Hilfe an, Mitbestimmungsstrukturen in den Betrieben zu schaffen, und versuche, den Kollegen Mut zu machen, sich für ihre Rechte einzusetzen. Der Organisationsgrad in den Solarbetrieben Ostbrandenburgs entwickelt sich sehr unterschiedlich. Dort, wo Betriebsräte und IG-Metall-Vertrauensleute gewählt wurden, konnten Mitgliederzuwächse im dreistelligen Bereich im vergangenen Jahr erzielt werden.

Dass viele Solarfirmen sich nach Gutsherrenart aufführen, führt Peter Ernsdorf auch auf die regionale Standortwerbung zurück. „Es hieß: Kommt nach Brandenburg, da ist die Arbeitszeit wesentlich länger, die Produktivität weitaus höher, die Förderlandschaft ist hervorragend – und es sind kaum Beschäftigte gewerkschaftlich organisiert“, erzählt der Gewerkschafter. Parallel zur Förderung mit Steuergeldern sei auch die Genehmigung erteilt worden, 365 Tage im Jahr rund um die Uhr zu arbeiten – in 12,5-Stunden-Schichten. Folge: „Der Krankenstand in den Betrieben ist extrem hoch.“ Wobei viele Beschäftigte das Schichtsystem befürworten, weil sie als Pendler die viertägige Pause zwischen den Schichtphasen für eine Heimfahrt nutzen. Und sie akzeptieren auch geringe Bruttolöhne, die laut Ernsdorf für Arbeiter durchschnittlich bei 1100 bis 1300 Euro liegen. „Manche begreifen es schon als Wunderwelt, in einem Betrieb zu arbeiten, in dem sie pünktlich Geld bekommen.“

Die härteste Bewährungsprobe erlebten Harald Frick und seine Betriebsratskollegen bei Conergy 2011. Ausgerechnet im Jahr der Energiewende kämpften die Unternehmen der deutschen Solarbranche mit Auftragseinbrüchen, weil billige Solarzellen aus Asien den Markt fluteten. Als erster deutscher Solarmodulhersteller ging Ende des Jahres Solon pleite, Sunways wurde von Chinesen übernommen. Conergy beschloss, zwei zentrale Stränge der Frankfurter Produktion „vorerst“ zu schließen: Solarzellen und Wafer wollte das Management nun aus China importieren. Über 100 Festangestellte in Frankfurt sollten gehen. Darüber ließ man aber die Beschäftigten monatelang im Dunkeln, auch mit dem Betriebsrat setzte man sich erst an einen Tisch, „weil wir gegen die massive Behinderung von Betriebsratsarbeit mit Strafanzeige gegen Unbekannt gedroht haben“, erzählt Frick. Die Pläne der Chefs lösten bei den Arbeitern Kopfschütteln aus: Sich ausgerechnet vom Kerngeschäft zu verabschieden und fortan 80 Prozent des eigenen Produktes in Asien einzukaufen, hielt der Betriebsrat für den falschen Weg aus der Krise. Er entwickelte mithilfe der IG Metall einen Plan, wie das Unternehmen ohne Kündigungen auskommen könnte. Aber die Geschäftsführung winkte ab. Sukzessive war schon länger die Beschäftigtenzahl von 750 – davon in der Produktion zeitweise 60 Prozent Leiharbeiter – auf um die 400 gesunken. Jetzt standen erneut über 100 Jobs auf dem Spiel. Der Betriebsrat stemmte sich energisch dagegen und setzte durch, dass 80 davon in Änderungskündigungen umgewandelt wurden. Nicht alle akzeptierten das, weil sie von dem geringeren Gehalt nicht leben können. Geblieben sind 300 Jobs und ein Imagegewinn des Betriebsrats: „Wenn ich jetzt durch die Hallen gehe, ist da ein Lächeln, ein Grüßen. Die Leute sind echt dankbar und sagen: Ihr habt toll gekämpft!“

BRANCHE NOCH GRÜN HINTER DEN OHREN_ Wenn man den Berater Jochen Kletzin fragt, warum viele Solar- und Windkraftunternehmen so wenig auf eine faire Mitbestimmung geben, hat er eine nüchterne Analyse parat: „Die Branche der erneuerbaren Energien ist noch nicht erwachsen – das gilt, abgesehen von einigen traditionsreichen Unternehmen, für die Windenergie wie für die Solarbereiche“, sagt der Vorstand der gewerkschaftsnahen Organisationsberatung Gruppe 7. „Deshalb sehen die Verantwortlichen in diesen Unternehmen die Vorteile einer wirksamen und effizienten Mitbestimmung noch nicht, ihnen fehlt die Erfahrung. Sie sind auf der Führungskreisebene mit guten Arbeitsbedingungen ausgestattet und nehmen die anderen Beschäftigten mehr oder weniger als Störung wahr.“

Kletzin hat unter anderem den Betriebsrat von Conergy im Interessensausgleich und Sozialplanverfahren 2011 beraten. Er hat erlebt, wie sich die Hamburger Unternehmensleitung gegen die Vorschläge des Betriebsrates strikt sperrte, und sieht die Fähigkeiten der Führungskräfte in den Start-up-Unternehmen der Solarbranche kritisch. Vielfach haben sie wenig mehr als eine Traineephase hinter sich und müssten in einem schwierigen Umfeld erstmals Personalverantwortung übernehmen: „Diese Leute haben kein Wissen und keine Erfahrung damit, wie sie das Potenzial, das in den Beschäftigten und deren Kenntnissen des Produktionsprozesses liegt, heben können“, kritisiert Kletzin. „Dabei sind zum Beispiel in der Solarzellen- und Modulfertigung die Beschäftigten an den Bändern und Anlagen die mit der meisten Erfahrung. Deren Wissen wird so gut wie nicht abgefragt!“ Dagegen müsse man in der Windkraft das kleine Einmaleins der Mitbestimmung eigentlich nicht mehr lernen, weil dort die Unternehmen vielfach aus dem Schiff- oder Maschinenbau hervorgegangen sind. „Das ist eine alte, gewachsene Industrie mit tradierten Arbeitsbeziehungen, die sich jetzt mit anderen Dingen beschäftigt“, sagt Kletzin.

Und trotzdem bekommt die IG Metall auch in der Windenergiebranche erst allmählich den Fuß in die Tür. Wie schwierig das sein kann – trotz eines hohen Organisationsgrads in der Produktion –, zeigt sich bei der REpower Systems SE: 2001 als Zusammenschluss verschiedener Unternehmen gegründet, ist sie mit weltweit 2500 Beschäftigten und einem Jahresumsatz von 1,2 Milliarden Euro (2010) einer der führenden Hersteller von Windenergieanlagen im Onshore- und Offshorebereich und gehört mittlerweile zu 100 Prozent zur indischen Suzlon Energy Ltd. Ordentlichen Rückenwind erhielt REpower 2011, die Umsätze stiegen allein im ersten Halbjahr um 25 Prozent, weltweit ergatterte man Großaufträge und übernahm 2012 den Rotorblatthersteller Power Blades GmbH in Bremerhaven komplett. Wirtschaftlich steht man gut da. Doch auf Arbeitnehmerseite kommt zu wenig vom Kuchen an – der Leiharbeiteranteil, vor allem bei Power Blades, ist immer noch enorm hoch, und für einen regulären Tariflohn kämpfen die Gewerkschaften seit Jahren.

REPOWER – ZU WENIG VOM KUCHEN_ Und sie kämpfen gegen einige Hindernisse. So hat REpower jetzt im Januar ein betriebliches Entgeltsystem eingeführt. Nach Ansicht der IG Metall ist es eine unzureichende Vereinbarung, weil sie den Beschäftigten keinen Tariflohn und keine Transparenz biete und bei der Eingruppierung viel zu breite Spielräume für die Vorgesetzten lasse. Der Weg zu einem Tarifvertrag werde dadurch nicht einfacher, kritisiert die Gewerkschaft.

REpower-Betriebsratsvorsitzender Bernhard Band sieht den Abschluss gleichwohl als Teilerfolg. Band kommt aus dem Entwicklerbereich, ist technischer Redakteur im REpower TechCenter am Standort Osterrönfeld und seit kurzem IG-Metall-Mitglied. Er weiß um die Kritik der erfahrenen Gewerkschafter, die bei REpower statt Hausregeln einen richtigen Tarifvertrag verhandeln wollten. Dies zumal die IG Metall „sehr viele Neueintritte“ bei REpower verzeichnet und der Organisationsgrad bei den Entwicklern in Osterrönfeld mittlerweile bei zehn Prozent und an den Produktionsstätten in Husum, Bremerhaven und Trampe/Brandenburg, wo insgesamt ein Drittel der Belegschaft arbeitet, bei 50 Prozent und mehr liegt.

„Man braucht zur Durchsetzung eines Tarifvertrages eine Stärke, die hier noch nicht gegeben ist“, meint der Betriebsratsvorsitzende. Außerdem habe man zweieinhalb Jahre daran gearbeitet, ein betriebliches Entgeltsystem zu vereinbaren, „das dem Übel mit den großen Differenzen in der Entlohnung entgegenwirken soll“. Es sei auch darum gegangen, eine Bewertung der Tätigkeiten zu etablieren, um „erst mal überhaupt ein System“ zu haben, das vielen Beschäftigten mehr Geld einbringe, auch wenn „das Niveau definitiv unter Metalltarif ist“. Bei der Einstufung sei man dicht dran am Tarifvertrag – was die IG Metall deutlich anders sieht –, aber „die Entgelte liegen klar darunter“, räumt Bernhard Band ein. Deshalb hätten viele seiner Betriebsratskollegen Bedenken gehabt. Worauf man die Belegschaft befragt habe: Die Hälfte der Belegschaft habe sich an der Abstimmung beteiligt, 70 Prozent signalisierten Zustimmung zum betrieblichen Entgeltsystem.

Eine Phase intensiver Zusammenarbeit mit der IG Metall erlebte Bernhard Band bei den Verhandlungen über die Vereinbarung zur Arbeitnehmerbeteiligung im SE-Betriebs- und -Aufsichtsrat. REpower hat 2011 seine Rechtsform in eine Aktiengesellschaft europäischen Rechts umgewandelt, just als die Mitarbeiterzahl an der magischen 2000er-Grenze kratzte und somit der Aufsichtsrat paritätisch mit Arbeitnehmervertretern besetzt hätte werden müssen. Das ist nun durch die SE-Gründung verhindert worden. Die Verhandlungen um die Arbeitnehmerbeteiligung in der SE waren, Bernhard Band atmet tief durch, „… sehr, sehr schwerfällig und mühselig“. Die Unternehmensleitung kam ohne Vorschlag für eine Vereinbarung. Es blieb am Ende bei der bisherigen Drittelbeteiligung.

VERTRAUENSLEUTE ALS AKTIVPOSTEN_ 100 Vertrauensleute hat die IG Metall inzwischen bei REpower. Einer von ihnen ist Mathias Wötzel, Schlosser in der Produktion in Husum. Er hat jetzt schwarz auf weiß, was die Kollegen von den Arbeitsbedingungen dort halten: 110 von 150 angefragten Beschäftigten – Leiharbeiter und Stammbelegschaft – machten bei der Fragebogenaktion „Wegweiser für Gute Arbeit“ des Vertrauenskörpers Husum mit. 56 Prozent gaben an, sich mit dem Unternehmen nie oder selten verbunden gefühlt zu haben, viele klagen über eine steigende Arbeitsbelastung, können nicht abschalten. „Anstrengender Schichtdienst, jahrelange Frustration, keine Tarifbezahlung, keine Aufstiegschancen“, zählt Mathias Wötzel als Gründe auf. „Man wird genötigt, Dinge zu tun, die über den Arbeitsvertrag hinausgehen und erhält nichts als Gegenleistung.“ Es gibt noch viel für die Beschäftigten bei REpower zu tun, findet der Schlosser: Die Azubis sollten übernommen werden, die ungleiche Behandlung der Beschäftigten an verschiedenen Standorten und bei der Bezahlung der Bereitschaftsdienste müsse ein Ende haben, und ein betriebliches Eingliederungsmanagement nach Krankheit sei überfällig. „Wir gehen das an, aber wir stoßen auf sehr wenig Gegenliebe“, sagt Wötzel. „Auf Mitbestimmung haben die einfach keinen Bock.“

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