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Magazin Mitbestimmung

: INTERVIEW 'Und wer kontrolliert die Manager?'

Ausgabe 06/2006

Mit dem Verlust der Bankenmacht werden in Deutschland die Manager nicht mehr effektiv beaufsichtigt; die Mitbestimmung verliert einen Bündnispartner für langfristige Unternehmensentwicklung, sagt der Finanzwissenschaftler Reinhard H. Schmidt.



Prof. Dr. Reinhard H. Schmidt hat den Lehrstuhl für internationales Bank- und Finanzwesen an der Johann Wolfgang Goethe Universität. Mit ihm sprachen in Frankfurt Cornelia Girndt, Redakteurin und Alexandra Krieger, Wirtschaftsreferentin in der Hans-Böckler-Stiftung.



Herr Prof. Schmidt, Sie behaupten, wir hätten kaum eine andere Wahl, als den Finanzmarkt-Kapitalismus angelsächsischer Prägung zu übernehmen. Warum?
Die überragende Mehrheit der Ökonomen sagt, je marktwirtschaftlicher desto besser. Wenige lassen überhaupt den Gedanken zu, dass wir etwas zu verlieren haben, wenn wir uns diesem Systemwechsel anschließen. Ich weiß aber auch nicht, wie man einen Mittelweg gehen könnte. Wenn ich als Gastprofessor in Frankreich bin, sehe ich in den Buchhandlungen immer Bücher über "Kapitalismus auf Abwegen". Das wird dort heftig diskutiert, hier in Deutschland gibt es dazu so gut wie keinen akademischen oder öffentlichen Diskurs. Wie sollten da Alternativen entstehen?

Was treibt die Unternehmen sich dem Druck des Kapitalmarkes zu beugen?
Die wesentliche Antriebskraft ist die so genannte feindliche Übernahme. Ihre einfache Logik lehrt die Manager: Wenn sie den Aktienkurs, den Shareholder-Value, nicht maximieren, ist das eine Einladung an Investoren, sich eine Aktienmehrheit zu beschaffen und das Management rauszuwerfen. Daher tun sie das, was ihre Positionen am besten sichert: sie machen eine feindliche Übernahme so teuer wie möglich. Das heißt, sie maximieren den Marktwert der Aktien, und damit tun sie genau das, was sich die Aktionäre wünschen.

Dabei ist doch die Stakeholderorientierung in Deutschland stark entwickelt.
Ganz gleich, was ein Aufsichtsrat weitgehend einvernehmlich im Sinne aller Stakeholder besser findet: Wenn dieser Druck vom Kapitalmarkt sehr stark ist, können die Manager gar nicht mehr die Funktion erfüllen, die sie traditionellerweise und auch laut Gesetz in Deutschland bisher erfüllt haben - nämlich im Unternehmensinteresse zu handeln. Und dieses Unternehmensinteresse ist nicht mit dem Aktionärsinteresse gleichzusetzen.

Steckt das Management im Shareholder-fixierten US-System nicht in diesem Zwiespalt?
Uneingeschränkt nein. In den USA und in England sind die Manager ausschließlich dem Aktionärsinteresse verpflichtet. Die Interessen der Arbeitnehmer werden in diesen Ländern anders gesichert - durch flexiblere Arbeitsmärkte. Und auch die Kreditvergabe ist völlig anders als bei uns. Es gibt viel weniger Unternehmenskredite von Banken, und die Laufzeiten der Bankkredite sind viel kürzer. Eine Verpflichtung von Hausbanken den Unternehmen beizustehen, gibt es auch nicht. Dazu sagen die Angelsachsen: Ihr spinnt wohl, so ein System zu haben.

Umgekehrt sagen wir: Die spinnen wohl! Noch in den 90er Jahren halfen die deutschen Banken Unternehmen in der Not, heutzutage bringen Investoren Unternehmen in Finanznot.
Diese gewohnte Welt gibt es nicht mehr. Sie war in der Tat weitaus konsens- und harmonieorientierter als das, was wir heute erleben. Den Managern dürfte die deutsche Tradition ganz gut gefallen haben, zumindest bis sie ahnten, dass das neue System ihnen weit höhere Einkommen bringt.

Wäre es nicht doch wünschenswert, Teile des alten Systems zu erhalten? Wäre es überhaupt möglich?
Wünschenswert vielleicht, aber wohl kaum möglich. Ich habe gerade gelesen, wie sich der Wirtschaftshistoriker Abelshauser den "Kulturkampf" - so der Titel seines neuen Buches - vorstellt, und wie prima wir mit unserem System weiterleben könnten. Da kann ich als Ökonom nur sagen: So wird das nicht funktionieren. Ich sehe nicht, wie für uns ein Nischendasein möglich sein sollte, wenn rundherum alles anders ist, wenn wir unter EU-Regulierungsdruck stehen und wenn wir globalisierte Kapitalmärkte haben und internationalem Wettbewerb ausgesetzt sind.

Sind wir uns in Deutschland eigentlich darüber im Klaren, was wir zu verlieren haben?
Ganz wenige Wirtschaftswissenschaftler haben die ökonomischen Vorteile unseres Systems des organisierten Kapitalismus je richtig artikuliert. Ich meine damit die ökonomischen Vorteile der Bindung von Mitarbeitern, der Bindung von Kreditgebern und allgemein die Vorteile unseres Corporate-Governance-Systems, in dem es sich für alle Beteiligten mehr lohnt als in den USA Loyalität zu entwickeln. Loyalität hat rein ökonomische Vorteile, weil sie Reibungsverluste massiv verringert.

Das kennen wir: schwäbischer Fleiß plus Facharbeit mit starker Bindung an das Unternehmen ...
Es ist genau dieses unternehmensspezifische Wissen, das deutsche Wettbewerbsstärke ausmacht. Es entsteht in Unternehmen nicht durch Egoismus, sondern durch Kooperation, unter anderem indem Wissen an Jüngere weitergegeben wird, die aber eben nicht in einem halben Jahr bei der Konkurrenz sind. Diese Anreize, die unsere Wettbewerbsstärke ausmachen, gibt es nur in einem System, das Mitarbeiterinteressen weiter fasst, als was vertraglich festgeschrieben werden kann.

Gibt es diese Vorteile auch auf der Ebene des Finanzsystems?
Die Muster, wie sich Unternehmen finanzieren, sind in Deutschland und Japan ganz anders als in England und USA. Die deutschen Banken wollten eine Zeitlang auf Kreditgeschäfte verzichten bis sie gemerkt haben, dass sie damit einen massiven Fehler begehen. Doch gegen die marktliberale Orthodoxie können nur noch Schwergewichte ankommen, wie etwa der renommierte US-Finanzprofessor Franklin Allen, der kürzlich hier am Center for Financial Studies erklärte: "Es ist wichtig, dass es in einem Finanzsystem so was wie öffentlich-rechtliche Sparkassen gibt, also nicht strikt von Profitüberlegungen getriebene Kreditinstitute."

Birgt der Umbau von einem banken- zu einem finanzmarktorientierten System auch Risiken?
Ich beobachte, dass sich die Widersprüchlichkeiten zwischen den Systemtypen auch krisenhaft zuspitzen können. Zur Zeit des Börsenhype - vor dem März 2000 - dachten alle, jetzt geht es rasch weiter in Richtung Kapitalmarktorientierung. Es gab damals Diskussionen über eine Börsenfusion mit London, eine EU-Übernahmerichtlinie lag vor, die für Unternehmen Defensivmaßnahmen völlig ausgeschlossen hätte und es gab eine unendliche Begeisterung unter Managern und Betrachtern über die strikte Shareholer-Value-Orientierung der Unternehmen. Dann fielen die Aktienkurse und Anfang 2003 waren die Banken in einer fürchterlichen Situation und der Börse ging es nicht viel besser. Wären damals große Banken zusammen gebrochen, hätte dies katastrophale Folgen gehabt.

Warum passen die Dinge nicht mehr zusammen?
Dass sich die deutschen Banken auf die Finanzierung von feindlichen Übernahmen eingelassen haben, hat die traditionellen Vertrauensbeziehungen, die für das Hausbankensystem wichtig sind, völlig unterminiert. Man muss zwischen Kapitalmarkt und Börse sehr genau unterscheiden. Die Entwicklung der deutschen Börse als Sekundärmarkt ist systemkompatibel; aber massive Börsenfinanzierung für Unternehmen und ein aktiver Markt für Unternehmenskontrolle, das ist sehr schwer vereinbar mit unserem System.

Die Banken stecken ja selbst in einem Konflikt.
Der Sündenfall passierte, als die Deutsche Bank als Investmentbank 1997 den Takeover für Krupp-Hoesch finanzierte und gleichzeitig eines ihrer Vorstandsmitglieder im Aufsichtsrat des angegriffenen Unternehmens Thyssen saß. So beschädigt man Vertrauensbeziehungen, die die Großbanken früher - durchaus im eigenen Interesse an Gewinnen und an Herrschaft - aufgebaut hatten. Die Banken waren wegen der Kreditvergabe genauso an langfristig stabiler Entwicklung der Unternehmen interessiert wie die Arbeitnehmer. Und weil sie oft zugleich Aktionäre und Kreditgeber waren, waren sie auch die idealen Vermittler zwischen den verschiedenen Stakeholdern. Und sie waren einflussreich. So etwas lässt sich nicht wieder herstellen, wenn es erst einmal dahin ist.

Auch die vertrauensvollen Beziehungen zwischen Kapital und Arbeit, auf die das Betriebsverfassungsgesetz verpflichtet, werden erheblich schwieriger.
Ich sehe derzeit vor allem ein Kontrollvakuum. Die Manager verdienen sich nicht nur dumm und dämlich, sondern sie können in ihrer Entscheidungsfreiheit heute auch sehr weit gehen, bis ihnen Konsequenzen drohen, sprich: bis sie rausgeworfen werden.

Die externe Unternehmenskontrolle soll doch so gut von den Kapitalmärkten her funktionieren, wieso funktioniert sie denn nicht bei den Managergehältern?
Aber wer glaubt denn das? Ich nicht. Die externe Unternehmenskontrolle über den Mechanismus der feindlichen Übernahmen ist eine Methodik mit dem Vorschlaghammer. Dieser Mechanismus haut ganz oder gar nicht drauf, er wirkt nicht differenziert.

War die Managerkontrolle früher wirklich besser?
Das Ausmaß, in dem früher Aufsichtsräte ihre Manager beaufsichtigten - und das betrifft auch die Mitbestimmung - war einfach viel höher. Die haben sich im Grunde verständigt und verstanden und sie hatten eine Gemeinsamkeit, die darauf basierte, dass das Unternehmen stabil wächst. Shareholder-Value-Maximierung ist hingegen mit einem Maß an Unsicherheit verbunden, das nicht im Arbeitnehmerinteresse und nicht im Bankeninteresse ist. Ohne Bankendominanz erscheint mir auch Mitbestimmung in der Wirtschaft schwieriger.

Wie verhält sich die externe Unternehmenskontrolle zur internen Kontrolle durch den Aufsichtsrat? Welche Rolle hätten die Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat in einem stark kapitalmarktorientierten System?
Die hätten da nichts mehr zu suchen.

Wieso das?
Sollen die Arbeitnehmervertreter fröhlich zustimmen, dass Entscheidungen zu ihren Lasten getroffen werden, zumal bei Entscheidungen, von denen man durchaus sagen könnte, die müssten nicht sein?

Etwa wenn Finanzinvestoren durch zu hohe Schulden Firmen in ihrer Substanz schwächen?
Nicht alle dieser neuen Finanzinvestoren schwächen Unternehmen. Aber es kommt vor, weil manche dieser "knallharten Kapitalisten" das System nicht verstanden haben. Wenn die Privat Equity-Firmen die Unternehmen von innen ausgehöhlt haben, wer soll sie ihnen denn noch abkaufen? 

Sie müssen halt immer einen Dummen finden ...
Das kann auf Dauer nicht funktionieren. Sie müssen einen Mehrwert schaffen, und zwar für die Eigentümer. Das kann sozial und politisch problematisch sein, weil es in starkem Maße auf Kosten "von jemanden" geht. Aber ein Heuschreckenmodell, ein nur ausplünderndes Modell, das passt nicht zu einer vernünftigen Strategie eines Privat Equity-Investors oder eines Hedge-Fonds.

Können neue Investoren wirklich Wert schaffen?
Die Gewinnmargen in der Wirtschaft sind ja typischerweise gering. Wenn Sie Kosten um fünf Prozent reduzieren, kann das sehr leicht dazu führen, dass der Gewinn um 50 Prozent steigt. Damit steigt oft auch die Erwartung über die künftigen Gewinne und damit der Shareholder-Value. Mit dieser Hebelwirkung kann ein erfolgreicher Turn-around - plus ein paar glücklicher Umstände - den Investoren sehr viel einbringen.

Wir beobachten eine wahre Flut von Finanzmarktförderungsgesetzen in Deutschland und auf EU-Ebene, TransPUG, KonTraG undsofort. Hat die Politik ihre Hausaufgaben gemacht?
Die Rot-Grüne Regierung war sehr reformfreudig. Die erste Schröder-Regierung hat so viel zur Unterminierung unseres traditionellen Systems getan, wie man sich das nur vorstellen kann.

Wie das?
Dies wurde in starkem Maße von dem Staatsminister im Bundeskanzleramt Hans Martin Bury betrieben, der sich mit einigen Wirtschaftsrechtlern wie Michael Adams darin einig war, man müsse unbedingt etwas gegen die Macht der Banken tun. Das ist gelungen. Diese ganzen Kapitalmarktförderungsgesetze sind, salopp gesagt, Bankenmachtverhinderungsgesetze. Für mich führt dieses Fehlen von Bankenmacht zu einem Fehlen von effektiver Managerkontrolle.

Insgesamt beteuern doch die großen Parteien immer wieder, sie wollten die Stärken unseres Systems erhalten.
Man sollte sich nicht täuschen. Es gibt zahlreiche Beobachter der Szene, die einen Systemwechsel favorisieren. Dieser Diskurs ist in hohem Maße angelsächsisch dominiert. Davon abgesehen ist in den letzten Jahren auf europäischer Ebene nicht einmal der Versuch gemacht worden, sich auch nur auszudenken, was erhaltenswerte Elemente traditioneller kontinentaleuropäischer Unternehmensstrukturen und Unternehmenssteuerung sein könnten.

 

Zum Weiterlesen

Reinhard H. Schmidt: Stakeholderorientierung, Systemhaftigkeit und Stabilität der Corporate Governance in Deutschland. Working Paper, März 2006.

Andreas Hackethal/Reinhard H. Schmidt/Marcel Tyrell: The Transformation of the German Financial System. Working Paper, April 2006, beide abrufbar unter www.finance.uni-frankfurt.de

Jan P. Krahnen/Reinhard H. Schmidt (Hg.): The German Financial System. Oxford University Press 2004.

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