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Magazin Mitbestimmung

: INTERVIEW 'Pfunde, mit denen wir wuchern können'

Ausgabe 04/2010

Der Unternehmensrechtler und Mitbestimmungs-Experte der Stiftung, Roland Köstler, über Sorgfaltspflicht und Haftungsrisiken

Die Fragen stellte Margarete Hasel/Foto: Karsten Schöne

Sind die Haftungsrisiken für Aufsichtsräte gestiegen?
Eine gesetzliche Verschärfung der Haftung gibt es nicht. Aus meiner Sicht werden die jüngsten Gesetzesänderungen übertrieben interpretiert. In §116 Aktiengesetz wird jetzt zwar ausdrücklich darauf hingewiesen, dass der Aufsichtsrat für eine unangemessene Vorstandsvergütung haftet. Das war im Grunde zuvor schon so. In der Gesetzesbegründung wird die Ergänzung damit erklärt, dass dies offensichtlich bisher nicht allen bewusst war.

Vom "Gesetz zur Angemessenheit der Vorstandsvergütung" geht gleichwohl ein gewisser Druck aus.
Ein Aufsichtsrat hätte für eine unangemessene Vergütung schon immer gehaftet. Jetzt gibt es allerdings konkretere Definitionen und Kriterien im Gesetz für das, was angemessen ist. Neu ist vor allem auch, dass die Verantwortung für die Vorstandsvergütung jetzt beim Gesamtgremium liegt und nicht länger beim Personalausschuss oder dem Präsidium - Gremien, in denen Arbeitnehmervertreter nicht überall ausreichend vertreten sind. Damit sind alle Aufsichtsratsmitglieder in der Pflicht.

Von Gewerkschaften wurde die Höhe der Vorstandsvergütung immer wieder angeprangert. Wie können die Arbeitnehmervertreter das Gesetz als Instrument der Unternehmenssteuerung nun nutzen?
Wir haben in unseren Beratungen jetzt einige Fälle, wo die Arbeitnehmervertreter unsere Einschätzung der neuen Vertragsentwürfe nachfragen. Allerdings greift das Gesetz nicht in die laufenden Vorstandsverträge ein, sondern kommt erst bei neuen Verträgen zum Tragen. Neu ist zudem, dass die Aktionäre über die Hauptversammlung das Vergütungssystem insgesamt zum Thema machen können. In der laufenden HV-Saison beobachten wir, dass Vorstand und Aufsichtsrat über das Institut des sogenannten "Say on Pay" ihrerseits aktiv werden.

Angenommen, die Arbeitnehmerbank kommt zu dem Ergebnis, dass das Kriterium der Unangemessenheit erfüllt ist. Was ist zu tun?
Dann müssen sie dagegen stimmen - wie bei jedem Aufsichtsratsbeschluss, wenn man der Auffassung ist, dass der so nicht in Ordnung ist. Diese Meinung muss man dann auch äußern - und dafür sorgen, dass sie ins Protokoll aufgenommen wird. Wenn sich im Extremfall die Eignerseite mit der Doppelstimme durchsetzt, sind die Arbeitnehmervertreter aus der Haftung.

Eine Enthaltung reicht nicht?
Entscheidend ist, dass man seine Meinung vertritt und dafür sorgt, dass das eigene Votum im Protokoll vermerkt wird.

Müssen wir künftig mit einer sprunghaft steigenden Zahl von Abstimmungen rechnen, die mit der Doppelstimme des Vorsitzenden entschieden werden?
Nein. Alle gehen mittlerweile mit Vergütungsfragen sehr sensibel um. Die Vorschläge für neue Vorstandsverträge werden meist sehr sorgfältig vorbereitet - Vergütungsberatung ist momentan ein schwunghaftes Geschäft. Allerdings sollte man auf Unterlagen bestehen, die eine sorgfältige Vorbereitung der Entscheidung ermöglichen.

Um entscheiden zu können, was angemessen ist, braucht die Arbeitnehmerseite eigene Kriterien.
Nicht nur ökonomische Kennziffern sollen künftig die Grundlage sein, die am Jahresende mathematisch ausgerechnet und vermeintlich objektiv zu einer bestimmten Gehaltsgröße führen. In der Praxis gibt es allerdings noch Probleme mit den sogenannten weicheren Kriterien. Wie zum Beispiel können Ergebnisse von Mitarbeiterbefragungen oder der DGB-Index "Gute Arbeit" in die Vergütung einfließen? Wir arbeiten an Vorschlägen. Demnächst wird die neue Arbeitshilfe der Stiftung zur Vorstandsvergütung erscheinen.

Wie tritt der Haftungsfall ein? Wer kann den Aufsichtsrat und seine Mitglieder zur Haftung heranziehen?
Im Aktienrecht vorgesehen ist die sogenannte Sonderprüfung, die seit 2005 auch eine kleinere Minderheit von Aktionären durchsetzen kann, um die Schuld des Vorstands oder des Aufsichtsrats feststellen zu lassen. Daneben kann - ebenfalls von Minderheitsaktionären - ein Klageerzwingungsverfahren angestrengt werden. Es geht dabei darum, Schadensersatz für das Unternehmen geltend zu machen. In der Praxis kam es bei Insolvenzen schon zu Haftungsfällen. Wenn der Insolvenzverwalter zum Ergebnis kommt, dass der Vorstand oder der Aufsichtsrat gegen ihre Pflichten verstoßen haben, kann er gegen sie vorgehen. In dem Zusammenhang ist inzwischen die Rechtsprechung zum Aufsichtsrat strenger geworden. Dem liegt aber keine Gesetzesverschärfung zugrunde.

Gleichwohl sorgt die Aussicht, dass sie im Schadensfall ins eigene Portemonnaie greifen müssen, bei Vorständen und Aufsichtsräten derzeit für Aufregung - wie die Diskussionen um die sogenannte D&O-Versicherung zeigen.
Da herrscht im Moment einige Verwirrung: Ich bekomme immer wieder Anrufe von Arbeitnehmervertretern, die wissen wollen, ob sie eine Versicherung für den Selbstbehalt abschließen sollen. Denen sage ich, dass sie keine solche Versicherung brauchen. Kein Unternehmen ist gesetzlich verpflichtet, eine D&O-Versicherung abzuschließen. Auch der Corporate Governance Kodex hat übrigens nie erklärt, dass es Teil einer guten Corporate Governance sei, eine solche Versicherung zu haben. Er sagt nur: Wenn es eine solche Versicherung gibt, wenn der Vorstand sich und den Aufsichtsrat und das Unternehmen mit einer solchen Versicherung schützt, dann wollen wir von beiden Organen einen angemessenen Selbstbehalt, also eine Selbstbeteiligung. Durch das neue Recht zur Vorstandsvergütung ist dieser Selbstbehalt auch ins Gesetz gekommen, allerdings nur für den Vorstand - in Höhe von maximal dem Anderthalbfachen der festen jährlichen Vergütung. Der Kodex 2009 sieht nun in diesem Fall allerdings vor, dass diese Regelungen auch für den Aufsichtsrat angewandt werden sollen.

Viele Unternehmen haben eine D&O-Versicherung für ihre Vorstände und Aufsichtsräte abgeschlossen. Was bedeutet die damit verbundene Selbstbeteiligung für die Förderer der Stiftung?
Die Stiftung hat bereits 2003 mit dem Schadensfall-Fonds die Möglichkeit eröffnet, dass die Förderer im Haftungsfall ihr Geld zurückkriegen. Nun ist die Frage aufgetaucht, was passiert, wenn ein Aufsichtsratsmitglied tatsächlich im ersten Jahr seiner Tätigkeit schon einen Schaden zu verantworten hätte. Da muss man sagen: Bis das rechtskräftig entschieden ist, hat der schon zweimal an die Stiftung abgeführt. Und damit wäre der Selbstbehalt abgedeckt.

Eine Konkretisierung der Überwachungsaufgaben wird auch im Bilanzrechtsmodernisierungsgesetz, kurz BilMoG, vorgenommen. Unter anderem schreibt der Gesetzgeber jetzt vor, dass im Aufsichtsrat ein sogenannter "Financial Expert" ausgewiesen werden muss. Gab es da Defizite?
Ich halte auch dies vor allem für eine öffentlichkeitswirksame Maßnahme. In den meisten Unternehmen, zumal in den größeren und börsennotierten, war schon immer eine Person dabei, die diese Anforderungen erfüllte. Wichtig war für uns vor allem, dass auch Arbeitnehmervertreter dafür infrage kommen können.

Neben dem Vorsitzenden gibt es jetzt eine weitere Person, deren Stimme besonderes Gewicht hat. Ist das Ausdruck einer neuen Hierarchie bei den Überwachungsaufgaben?
Wenn der "Financial Expert" ein herausgehobenes Gewicht bekommt, hat der Aufsichtsrat vorher seinen Job falsch gemacht. Wer erst durch die Bilanz merkt, was im Unternehmen verkehrt läuft, hat nicht aufgepasst. Deswegen drängen wir auf einen gesetzlichen Katalog zustimmungspflichtiger Geschäfte. Seit 2002 ist ein Katalog als solcher zwar Pflicht, noch besser wäre aber, wenn - wie in den Niederlanden oder in Österreich - ein Mindestkatalog im Gesetz stünde.

Was bedeutet dies für die Qualifikation der Arbeitnehmervertreter?
Ein Unternehmen wird nicht nur mit Zahlen geführt, über Investitionen muss man auch politisch und strategisch nachdenken. Und da haben wir Pfunde, mit denen wir wuchern können - wir kennen die Unternehmen auf eine Art und Weise, wie sie die Anteilseigner nie kennenlernen. Es gibt also politisch wichtigere Felder als eine Bilanz auseinandernehmen zu können. Im Übrigen werden die Gewerkschaften und die Stiftung gerade für ihre Qualifikationsangebote sogar von der anderen Seite gelobt.

Was wäre der beste Schutz davor, dass der Haftungsfall gar nicht eintritt?
Wir sagen: Nehmt diesen Job verantwortlich wahr, überprüft die Unterlagen kritisch, stellt Fragen, stimmt dagegen, gebt Erklärungen zu Protokoll. Denn es geht um etwas Wichtiges - um die Interessenvertretung für die Belegschaft. Und außerdem sagen wir den Arbeitnehmervertretern: Ihr geht auch ein persönliches Risiko ein, wenn ihr einfach nur abnickt. Wer seine Sorgfaltspflicht in diesem Sinne ernst nimmt, muss sich keine Sorgen um die Haftung machen.

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