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Magazin Mitbestimmung

Von AART DE GEUS: Ideen für die Arbeit der Zukunft

Ausgabe 11/2017

Rezension Ein neues Buch stellt die Ergebnisse der Expertenkommission „Arbeit der Zukunft“ vor, die die Hans-Böckler-Stiftung ins Leben gerufen hat.

Von AART DE GEUS

Die Diskussion über die Zukunft der Arbeit hat an Fahrt gewonnen. Megatrends wie die Digitalisierung, Globalisierung, die Alterung der Gesellschaft und die Migration führen zu einem grundlegenden Wandel der Beschäftigung. Doch auf viele Zukunftsfragen gibt es noch keine klaren Antworten.

In die Debattenlandschaft fügt sich ein neues Werk ein, dem eine breite Rezeption nicht nur in der Wissenschaft, sondern vor allem auch in Wirtschaft und Politik zu wünschen ist: „Arbeit transformieren! – Denkanstöße der Kommission ‚Arbeit der Zukunft‘“ lautet der Titel eines Bandes, der die Arbeitsergebnisse einer von der Hans-Böckler-Stiftung eingesetzten Expertenkommission vorstellt.

Das Buch ist äußerst lesenswert, denn es geht weit über eine rein wissenschaftliche Analyse hinaus.  Der Band liefert nicht weniger als 54 handlungsrelevante „Denkanstöße“ zur Frage, wie eine „humane, sozial ausgewogene und zukunftsfähige Gestaltung der Arbeitswelt“ gelingen kann.

Dass am Ende des zweijährigen offenen Diskussionsprozesses ein in sich schlüssiges und hinreichend konkretes Kompendium politischer Ableitungen steht, ist keineswegs selbstverständlich, denn die Expertenkommission war durchaus heterogen besetzt.

Entsprechend enthält der Bericht keineswegs „nur“ gewerkschaftsnahe Empfehlungen, sondern bildet einen stimmigen Querschnitt relevanter Positionen ab und scheut sich zudem nicht, auch die kontroversen Debatten innerhalb der Kommission zu benennen. Insofern hat das Buch das Potenzial, über parteipolitische Grenzen hinaus als Impuls für Gestaltungsaufgaben in der neuen Legislaturperiode zu dienen.

Einer der Vorzüge des Bandes ist, dass er keine einseitige Ursachen- und Wirkungsanalyse betreibt: „Digitalisierung ist nicht alles“, heißt es direkt zu Beginn. So sehen die Autoren zwar in der Digitalisierung den Veränderungstreiber mit dem stärksten Potenzial für Umbrüche. Doch auch die Aus- und Wechselwirkungen anderer Megatrends  nehmen angemessenen Raum ein.

Dabei ist auffallend, dass die Kommission in der Formulierung handlungsrelevanter Ableitungen stets eine gegenwartsbezogene, pragmatisch-nüchterne Perspektive auf das politisch Machbare einnimmt. Dies ist einerseits sinnvoll, bedeutet aber auch, dass systemische Reflexionen über Konzepte wie zum Beispiel ein „bedingungsloses Grundeinkommen“ als mögliche Politikoption ausbleiben.

In sieben Kapiteln geht das Buch auf alle wesentlichen Aspekte ein, die vom Wandel der Beschäftigung betroffen sind und die es im Sinne des normativen Ziels zu gestalten gilt. Besonders spannend sind dabei die Denkanstöße, bei denen die Kommission gänzlich neue Ideen in die Debatte einbringt.

Dazu zählt beispielsweise die Idee eines neuen Produktivitätsbegriffs, der auch den besonderen gesellschaftlichen Wert sozialer Dienstleistungen anerkennt und mit neuen messbaren Kriterien für Wohlstand und Lebensqualität erfasst.

Auch die Idee, ein so genanntes „Bestellerprinzip“ für digitale Arbeit einzuführen und damit arbeits- und sozialrechtliche Standards für Crowdworker sicherzustellen, ist bedenkenswert.

Generell durchzieht die Vorschläge der Kommission der Gedanke der präventiven, proaktiven Politikgestaltung. Mit gutem Grund: Eine präventive Bildungs- und Arbeitsmarktpolitik ist besser als eine nachträglich reparierende Politik.

Bemerkenswert bleibt auch, dass die heterogen besetzte Kommission viele traditionelle Gewerkschaftsziele wie die „Stärkung der Tarifbindung“, eine „funktionsfähige Sozialpartnerschaft“ und eine „vitale Mitbestimmung“ als wichtige Bedingungen für das Gelingen der Transformation identifiziert hat.

Schließlich haben die Institutionen der sozialen Marktwirtschaft bereits in der Wirtschafts- und Finanzkrise von 2008/9 als wichtige Stabilisatoren gewirkt und dazu beigetragen, dass Deutschland so gut durch die Krise gekommen ist.

Je nachdem, wie tiefgreifend und schnell sich der Wandel der Beschäftigung vollzieht, sind neue solidarische Lösungen gefragt, die ohne das Zusammenwirken der Sozialpartner nicht denkbar wären. Für die Rolle der Gewerkschaften selbst erkennt das Buch also durchaus auch in Zukunft Chance und Anspruch zur Gestaltung.

Schlussendlich ist der Transformationsbegriff der Autoren als Denkanstoß herauszuheben.

Sie verstehen „Transformation“ nicht als technischen Determinismus, sondern explizit als normatives Ziel im Sinne eines positiven Gestaltungsanspruchs: „Wir alle (…) sind dem Wandel der Arbeitswelt keineswegs passiv und schutzlos ausgeliefert, sondern wir können und sollten ihn gestalten. Arbeit besser zu machen – für so viele Menschen wie möglich“ – dies ist der hohe, aber zugleich vollkommen richtige und notwendige Anspruch.

DER AUTOR

Aart de Geus, ist seit 2012 Vorstandsvorsitzender der Bertelsmann Stiftung. Er verantwortet die Bereiche Europa, Demokratie, nachhaltige Wirtschaft sowie internationale Megatrends und Partnerschaften.

Aufmacherfoto: Karsten Schöne

 

Kerstin Jürgens, Reiner Hoffmann, Christina Schildmann: Arbeit transformieren! Denkanstöße der Kommission „Arbeit der Zukunft“. Bielefeld, transcript Verlag, 256 Seiten, 24,99 Euro (PDF-Download auf der Verlagsseite kostenlos)

Ausführliche Rezension auf der Website arbeit-der-zukunft.de unter Presse – Berichterstattung (PDF)

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