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Magazin Mitbestimmung

: Harte Traumjobs in der Software-Industrie

Ausgabe 09/2003

Wer in Indien jung und begabt ist, der will in die Software-Industrie. Auch wenn sich IT-Projektarbeit überall auf der Welt gleicht - in deutsch-indischen Teams prallen Welten aufeinander. Interview und Bericht von Karin Hirschfeld


Von Karin Hirschfeld
Die Autorin arbeitet als Organisationssoziologin und freie Autorin in Berlin.
Kontakt: karinhir@t-online.de

 

Wer in Indien jung und begabt ist, will in die Software-Industrie. Die IT-Experten fühlen sich privilegiert, sie verdienen gut und werden von Arbeitgebern umworben. Auslandseinsätze winken. Auch wenn sich IT-Projektarbeit überall auf der Welt gleicht - kulturell sind es Welten, die in deutsch-indischen Teams und Software-Projekten aufeinander prallen. Indien ist seit den späten 90er Jahren ein prominenter Standort der weltweiten Software-Entwicklung: Firmen wie Siemens, Hewlett-Packard oder Texas Instruments haben dort eigene Tochterunternehmen. Fast jeder zweite der großen Weltkonzerne lässt seine Software in Indien entwickeln. Städte wie Bangalore, Chennai oder Hyderabad haben mit dem Vordringen westlicher Unternehmen ihr Gesicht verändert - in den High-Tech-Cities mischen sich junge Leute in Jeans unter Frauen im traditionellen Sari; zwischen funkelnden Glaspalästen und Bretterbuden reihen sich die Pizza-Hut-Filialen.

Nachfrage trieb Gehälter um 20 Prozent im Jahr nach oben

Wer in der indischen Software-Industrie arbeitet, gehört zu den privilegierten Arbeitnehmern. Wem die Eltern eine Ingenieurs- oder Informatikausbildung finanzieren können, der strebt in die IT-Branche. Deren Unternehmen gelten als Arbeitgeber, die moderne Arbeitsplätze mit Air-Conditioning und attraktive Aufstiegschancen bieten - und ein Gehalt, das den Lohn des indischen Durchschnittsbeschäftigten um ein Vielfaches übersteigt. Viele junge Inder verbinden mit einem Arbeitsplatz in einem Software-Unternehmen auch die Aussicht auf den Sprung ins westliche Ausland.
Aufgrund der hohen Nachfrage nach IT-Skills ist zeitweilig der indische Arbeitsmarkt für IT-Kräfte eng geworden. Bedingt durch die lange Zeit stetig wachsender Nachfrage sind die Gehälter von Mitte der 90er Jahre bis 2001 jährlich um rund 20 Prozent gestiegen. Trotz des zeitweiligen Nachfrageeinbruchs nach dem 11. September 2001 und dem Ende des Internetbooms schätzt man, dass der Bedarf weiterhin wächst.
In Indien räumt der Einzelne dem lukrativen Firmenwechsel oftmals die Priorität vor der Loyalität gegenüber dem Betrieb ein - schließlich ernährt er häufig eine gesamte Großfamilie. Die individuelle Nutzenmaximierung durch Job-Hopping führt zu einer hohen Personalfluktuation im IT-Sektor, die bei rund 25 Prozent liegt. Die Unternehmen reagieren: "Wer uns verlassen will, dem bieten wir eine andere Projektarbeit, damit der Mitarbeiter Abwechslung hat und wir sein Fachwissen weiter nutzen können", erklärt der Projektmanager eines multinationalen Unternehmens mit indischer Tochter.
Die Arbeitsbedingungen indischer IT-Kräfte sind mit denen der Kollegen aus dem Westen vergleichbar: Software-Entwicklung läuft projektförmig und orientiert sich weniger an festen Arbeitszeiten. Die indischen Entwickler arbeiten nicht selten bis spät abends oder am Wochenende am Computer, wenn eine Deadline nahe rückt. Als Dienstleister gegenüber westlichen Firmen passen die indischen IT-Kräfte ihre Arbeitszeiten denen der Kunden an. Sind diese in den USA, bedeutet das Nachtarbeit. Doch ist die Trennung von Arbeitszeit und Privatleben in Indien strikter, weil die einfachen Software-Entwickler keine eigenen Laptops haben und von daher ausschließlich im Büro arbeiten.
Auch das Personalmanagement indischer Software-Firmen ähnelt dem westlicher Unternehmen: Es gibt Zielgespräche, eine leistungsabhängige Entlohnung sowie das gemeinsame Aufstellen von Entwicklungsplänen für die Angestellten. Gegenüber anderen indischen Branchen, in denen paternalistische Führungsstrukturen verbreitet sind, hebt sich die Software-Industrie durch vergleichsweise moderne Managementmethoden ab.

Internationale Teams: Disparitäten unter Kollegen

Deutschland ist drittgrößter Importeur von indischer Software hinter den USA und Großbritannien. Wenn deutsche Firmen Software-Aufgaben nach Indien vergeben, arbeiten die IT-Experten beider Länder meist eng und kontinuierlich zusammen: Anforderungen müssen festgelegt, Designentwürfe kommentiert, Veränderungen diskutiert, Codezeilen überprüft werden. Die IT-Experten kommunizieren täglich über E-Mail, Telefon und Videokonferenzen. Oft reist kurzfristig einer der Projektmitarbeiter zu den Partnern, wenn Probleme zu beheben oder komplexere Diskussionen zu führen sind. Das Arbeiten in internationalen Teams erfordert eine hohe Mobilitätsbereitschaft.
So treffen in deutsch-indischen Projekten IT-Experten zusammen, die an den gleichen Technologien und Tools arbeiten - jedoch vor einem sehr unterschiedlichen kulturellen und biographischen Background. Mit dem rapiden Wachstum der indischen Software-Industrie sind viele junge Entwickler auf den Arbeitsmarkt geströmt - viele sind Mitte zwanzig, während ihre deutschen Kollegen einige Jahre älter sind und bereits ein entsprechendes Maß an Berufserfahrung und innerbetrieblichen Kontakten mitbringen. Dieses Know-how-Gefälle erzeugt Asymmetrien. Die indischen Entwickler, die Software für geographisch und kulturell weit entfernte Kunden entwickeln, verstehen nicht immer im Detail, in welchem geschäftlichen Umfeld das Produkt schließlich zum Einsatz kommt. Dementsprechend gering ist oft deren die Fähigkeit, eigenständige Entscheidungen zu treffen.
Auch in den Arbeitsstilen treffen Welten aufeinander. Zum Arbeitsalltag der Deutschen gehört ein hoch autonomes Arbeiten und ein offener Diskurs mit Kollegen und Chefs. Ihre indischen Kollegen sind hingegen in einer Gesellschaft aufgewachsen, in der die Unterordnung unter Ranghöhere und Ältere verpflichtend ist und das offene Äußern von Kritik als unhöflich und unangebracht gilt. Während die deutschen Entwickler vergleichsweise wenigen formalen Vorgaben zu folgen haben, spielen standardisierte Prozeduren in den indischen Software-Unternehmen eine zentrale Rolle - zum einen, weil viele indische Softwareproduzenten formalen Qualitätszertifizierungen folgen, um Vertrauen ihrer Kunden zu gewinnen. Zum anderen, weil eine hohe Formalisierung auch bei einer hohen Personalfluktuation kontinuierliche Prozesse sicherstellt.
Diese kulturellen Unterschiede sind zwar verständlich, aber sie führen vor allem auf Seiten der Deutschen bisweilen zu erheblichem Unmut über die "Hierarchiegläubigkeit", die geringe Eigeninitiative und Selbstständigkeit der indischen Kollegen. So wurde in den Interviews, die wir machten, eine paternalistische Haltung sichtbar. "Aber wir mögen sie schon, unsere Inder", sagt freundlich herablassend ein deutscher Manager. Bei manchen deutschen IT-Kräften machen auch krassere Kommentare die Runde. Es gebe Kollegen, so berichtet ein Deutscher, "die betrachten die indische Einheit nur als billigen Pool von Ressourcen."
Wie werden die Differenzen auf Seiten der indischen Entwickler erlebt? Das können wir nur vermuten, weil Inder mit kritischen oder problemorientierten Äußerungen sehr zurückhaltend sind. Mehr als plausibel ist aber, dass die indischen Entwickler in den Software-Kooperationen in ein Spannungsfeld aus paradoxen Anforderungen geraten, das sie individuell auszubalancieren haben. Auf der einen Seite stehen die Erwartungen der westlichen Auftraggeber mit dem Appell, sich doch bitte kreativ zu verhalten und frei von Autoritätsfurcht zu äußern, auf der anderen gelten nach wie vor die tief verankerten Normen und Imperative des traditionellen sozialen Umfelds.

Reiseverbot für Frauen als Karrierehindernis

In internationalen Projekten wird viel gereist - mal für wenige Tage, mal für mehrere Monate. Nicht selten entscheidet sich das innerhalb weniger Tage. Bei den indischen Softwareentwicklern können die familiären Verpflichtungen gegenüber Ehegatten, Kindern, Eltern - nebst der erweiterten Verwandtschaft - die Mobilitätsbereitschaft erheblich belasten. Das (auch befristete) Alleine-Leben ist in Indien keine verbreitete Lebensform. Die mehrwöchige Abwesenheit eines Software-Entwicklers kann daher die gesamte Familie unter Anpassungsdruck stellen. Anders als bei den Deutschen, wo Phasen der Trennung eine gewisse Normalität besitzen, fordert der Auslandsaufenthalt der indischen Entwickler ein aktives Coping seitens der Angehörigen.
Oft wohnen die Ehepartner oder Kinder der IT-Experten bei anderen Familienmitgliedern oder diese ziehen in ihren Haushalt. So lebte die Ehefrau eines Entwicklers während dessen zweimonatigen US-Aufenthaltes wieder bei den Eltern, auch wenn sie mit dieser Lösung "nicht glücklich war", wie ihr Mann sagte. Die meisten Familien akzeptieren die projektbezogene Abwesenheit des Partners als beruflich notwendig - vor allem, da die täglichen Auslandspauschalen von 40 bis 60 US-Dollar zumeist auch die Möglichkeit bieten, Geld für die Familie zurückzulegen.
Für Frauen, die als Software-Entwicklerinnen tätig sind, können die kulturellen Barrieren zum absoluten Mobilitätshindernis und damit zum Hemmschuh für die Karriere werden. "Nicht selten hat sich eine Frau bestimmte Qualifikationen erworben, so dass man sie vor Ort ins Ausland schicken müsste, und das geht dann einfach nicht, weil Eltern oder Ehemann es nicht wollen", berichtet ein deutscher Manager.
Manchmal sind es nur profane Dinge, wie das Fehlen eines Führerscheins, die in einer ländlichen Gegend in den USA zum Auslandshindernis für den indischen Software-Entwickler werden. Ähnlich problematisch kann die Suche nach vegetarischem Essen oder einer geeigneten Wohnung sein. "Ein indischer Entwickler landete in St. Georgen. Winter, die schneereichste Gegend im Schwarzwald, und dann hatte der Kunde ihm noch dazu eine total abgelegene Wohnung besorgt", erzählt der deutsche Partner. Nach dieser Erfahrung von Kälte und Isolation sei der indische Kollege zu keinem Einsatz in Deutschland mehr bereit gewesen. Was die Bewältigung der Mobilitätsfolgen betrifft, überlassen die Firmen das gern den Betroffenen selbst und der Hilfsbereitschaft (und unbezahlten Arbeit) ihrer Kollegen.
In Indien hat der Boom der Software-Industrie nicht nur einigen Wohlstand gebracht, er hat stellenweise aber auch eine Goldgräberstimmung angefacht, in der viele - und zum Teil auch weniger seriöse - Firmen versuchen, am erwarteten Reichtum zu partizipieren. Private IT-Trainingsinstitute verheißen über ein paar windige Wochenkurse den Sprung in die Software-Branche. Schwindler nehmen jungen IT-Experten hohe "Vermittlungsgelder" ab, mit dem Versprechen, ihnen einen Arbeitsplatz in den USA zu besorgen.
Kleine Software-Firmen verleihen ihre Angestellten an andere Firmen im In- oder Ausland ("Body-Shopping") und bieten teilweise ein unprofessionelles Personalmanagement, vergleichsweise niedrige Gehälter und geringe Entwicklungschancen. Ab und an schlagen auch die Auftragsflauten sehr direkt auf Arbeitnehmer durch - so zum Beispiel wenn ein Unternehmen seine Beschäftigten unter Druck setzt, unbezahlt einige Wochen oder Monate zu pausieren, oder wenn Jobzusagen an IT-Absolventen kurzfristig zurückgenommen werden, schreibt der Journalist Andrew Bibby, der 2002 eine UNI-Delegation begleitete.
Arbeiten in der indischen Software-Industrie bedeutet also nicht automatisch, zu den Gewinnern des Software-Booms zu gehören. Dies gilt insbesondere für junge IT-Kräfte, die eine sehr spezialisierte Schmalspur-Ausbildung durchlaufen haben. Ihnen fehlen das Basiswissen und die Flexibilität, um bei Einbrüchen in einem Technologiefeld andere Aufgaben zu übernehmen.

UNI unterstützt erste Ansätze von IT-Berufsverbänden

Interessenvertretungen der Arbeitnehmer spielen in indischen Software-Unternehmen bisher keine sichtbare Rolle; die IT-Experten vertreten sich angesichts ihrer guten Marktchancen lieber selbst. "Heute können die Angestellten ihren Arbeitgebern die Bedingungen diktieren", sagt Anand Ram, Human-Resource-Professor in Bangalore. Gleichwohl gibt es erste Ansätze einer kollektiven Interessenorganisation. Im Jahr 2000 begannen indische Software-Experten mit der Gründung von "IT Professionals Foren", unterstützt durch den internationalen Gewerkschaftsverband Union Network International (UNI) und einige europäische Gewerkschaften. Bisher existieren solche Foren in den großen Software-Zentren Bangalore und Hyderabad mit kleineren "Filialen" in anderen Städten.
Die "IT Professionals Foren" bezeichnen sich explizit nicht als Gewerkschaften - um ihre Klientel nicht abzuschrecken und weil ihr Selbstverständnis eher dem eines Berufsverbandes entspricht. Ihre Aufgaben sehen sie denn auch weniger im harten Verhandeln gegenüber Arbeitgebern, sondern im Angebot von Dienstleistungen für IT Professionals. So sollen Marktanalysen und spezielle Trainings den IT-Experten eine zukunftsfähige Entwicklung des individuellen Kompetenzprofils erleichtern; in Abendkursen werden die Belastungen durch Bildschirmarbeit und Stress thematisiert; Austausch über Auslandseinsätze sollen den IT-Kräften die internationale Mobilität erleichtern. Eine im Juli 2003 entwickelte Road-Map sieht den weiteren Ausbau dieser Dienstleistungen bis hin zum Angebot von Versicherungen für die IT-Experten vor. Bisher sind die Foren noch auf finanzielle Unterstützung aus dem Ausland angewiesen - ab 2005 soll die Mitgliederzahl ausreichen, um alle Aktivitäten selbst zu tragen. Ob diese "IT Professionals Foren" sich langfristig eher als Berufsverband verstehen oder auch zu Organen der kollektiven Interessenvertretung entwickeln werden, scheint zunächst noch offen.

 

IT- Land Indien

Gewinner der weltweiten Wirtschaftskrise

Für Indien, das bis in die späten 80er Jahre wirtschaftlich abgeschottet war, stellt die weltweit rapide gestiegene Nachfrage nach Software eine Chance zum Einstieg in die globale Dienstleistungswirtschaft dar. Sie wurde von den Unternehmen konsequent genutzt. Seit 1998 hat sich der Export von indischer Software und IT-bezogenen Services verfünffacht (www.nasscom.org).
Statt von der Flaute der Wirtschaft in USA und Europa, den größten Abnehmermärkten, nachhaltig in Mitleidenschaft gezogen zu werden, profitieren indische Software-Lieferanten eher von den Bemühungen der westlichen Unternehmen, Kosten zu reduzieren. Viele dehnen ihre Aktivitäten in den Bereich der so genannten IT Enabled Services aus - so zum Beispiel Call-Center oder technische Helpdesks. Indien verfügt nicht nur über ein sehr großes Potenzial qualifizierter, englischsprachiger IT-Experten - ihr Gehalt beträgt etwa ein Viertel dessen, was die Kollegen aus dem Westen verdienen.
Die indischen Software-Firmen konzentrierten sich anfangs auf den Export einfacherer Aktivitäten - wie Low Level Design, Coding, Testing - in den Westen. In Indien wurden beispielsweise die Software-Überarbeitungen für das Jahr 2000 oder die Umstellung auf den Euro programmiert. Die hochwertigen und kreativen Aufgaben wie Anforderungsanalyse oder Architektur lagen überwiegend im Westen. Zunehmend aber übernehmen indische Software-Firmen auch komplexere Tätigkeiten. Doch ist die Entwicklung in ständiger Bewegung. Während indische Software-Entwickler zunehmend anspruchsvollere Aufgaben übernehmen, wird bereits die Verlagerung einzelner - interner - Aufgaben von Indien ins billigere Ausland, etwa nach China, ins Auge gefasst.

Infos über UNI:
Gerhard Rohde, Leiter Business-Services/IT, E-Mail: gerd.rohde@union-network.org 
www.union-network.org

Andrew Bibby: IT Professionals Forums in India, Union Network International UNI-Report 2002.

 

Interview mit einer indischen Netzwerk-Spezialistin

"Ich bin sehr ehrgeizig"

Savitha Venkatachalam arbeitet als Netzwerk-Spezialistin bei einer indischen Firma - häufig nachts für Kunden in den USA und häufig 15 oder 16 Stunden, denn "du musst ein Problem dann beheben, wenn es auftritt." Die 32-Jährige aus Bangalore ist Mitglied im IT Professionals Forum, einer Vereinigung zwischen Berufsverband und Gewerkschaft.

Was ist für Sie attraktiv an Ihrer Arbeit?
Wir bekommen ein sehr hohes Gehalt. In meinem Alter kann ich in der IT-Branche das Fünffache gegenüber anderen Branchen verdienen. Und: Die persönlichen Entwicklungsmöglichkeiten sind enorm. Wenn Sie beruflich wachsen wollen, können Sie das. Es ist ein sehr dynamisches Umfeld.

Gibt es auch Nachteile?
Sie müssen auf Ihr Privatleben verzichten. IT-Professionals arbeiten oft 13 Stunden, kommen erst spät abends nach Hause - sie verbringen keine Zeit mit ihren Kindern oder ihrem Ehepartner. Das Familienleben nimmt den hinteren Rang ein. Viele Leute im IT-Bereich lassen sich scheiden. Sie haben keine Zeit, sich mit dem Partner auseinander zu setzen.

Wie viele Stunden arbeiten Sie täglich?
Offiziell von 9 bis 18 Uhr, fünf Tage in der Woche. Tatsächlich ist es aber folgendermaßen: Du musst ein Problem dann beheben, wenn es auftritt. Wenn zum Beispiel der Server einer Bank nicht funktioniert, kann ich nicht sagen, meine Arbeitszeit ist zu Ende. Wir arbeiten häufig 15 oder 16 Stunden, acht Stunden sind sehr selten. Es gibt aber auch Tage, an denen es nicht so viel zu tun gibt. Dann gehe ich nach ein paar Stunden nach Hause. Niemand fordert einen auf, Überstunden zu machen. Wenn du aber arbeitest, weil du deinen Job magst und Karriere machen willst, nimmst du jede auftretende Herausforderung an. Man lernt mehr, wenn man länger arbeitet.

Für welche Kunden sind Sie tätig?
Ich arbeite häufig nachts. Eine meiner Kundenfirmen ist in den USA. Die Zeitverschiebung ist etwa 12 Stunden. Tagsüber zwischen 10 und 15 Uhr gibt es am wenigsten zu tun, dann gehe ich meistens nach Hause und ruhe mich aus.

Und wo bleibt da das Privatleben?
Wenn ich verheiratet wäre, wäre es kaum möglich, so zu arbeiten. Ich bin sehr ehrgeizig. Ich möchte mich entwickeln. Viele Frauen im IT-Sektor wachsen beruflich nur bis zu einem bestimmten Level, und sobald sie heiraten, haben sie keine Zeit mehr, sich um ihre Kompetenzerweiterung zu kümmern. Wenn sie nach Hause kommen, beschäftigen sie sich mit Haushaltsarbeit - das ist nach wie vor Frauendomäne.

Gibt es spezifische Gewinner und Verlierer des IT-Booms?
Vor zwei Jahren, als der Einbruch in der IT-Branche war, verloren viele ihre Stelle. Für die Software-Umstellung auf das Jahr 2000 waren sehr viele IT-Leute eingestellt worden. Diese Arbeiten waren sehr repetitiv. Damals reichten Personen mit relativ geringen Qualifikationen aus. Als das Ganze plötzlich einbrach, waren diejenigen besonders betroffen, die sehr spezielle Trainings hatten. Sie konnten sich nicht schnell genug auf andere Applikationen umstellen. Heute rekrutieren Firmen anders: Sie wollen Leute mit einer guten Grundlage - damals stellten sie jeden ein. Damals konnte man Absolvent einer Kunsthochschule sein oder Historiker mit einem Dreimonats-Training.

Was geschah mit diesen Leuten, als der Markt einbrach?
Sie waren in einer verzweifelten Lage. Manche verließen die IT-Industrie. Wenn man eine Familie hat, muss man schnell nach Alternativen suchen. Die anderen, die eine stärkere IT-Basis hatten, konnten die Zeit überbrücken. Sie waren einige Monate arbeitslos und nutzten diese Zeit für ihre Fortbildung. Die meisten von ihnen haben mittlerweile wieder Stellen.

Welche Unterstützung erwarten Sie von dem IT Professionals Forum?
In erster Linie Informationen über zukünftige Markttrends. Viele von uns haben keine Zeit, ihre Skills zu verbreitern. Ich kenne meinen eigenen Bereich sehr gut, aber mir fehlt die Zeit zur Recherche, welche Kompetenzen in Zukunft wichtig sein könnten. Wenn wir wie mit Scheuklappen unsere Spezialisierungen vertiefen, riskieren wir, morgen aus dem Spiel zu sein.

Was sollten die ITPF sonst noch bieten?
Ein weiterer wichtiger Punkt ist Stressmanagement. Ich habe diverse Kurse besucht, Lebensgestaltung, Meditation - diese Dinge sollten den IT-Leuten nahe gebracht werden. IT ist ein hoch stressbeladener Job. Die einzige Möglichkeit, damit umzugehen, ist Selbstmanagement. Wir haben in Indien eine Kultur der Meditation und sollten sie nutzen. Wir IT-Professionals missachten oftmals grundlegende Notwendigkeiten. Wir schlafen nicht genug, wir essen nicht richtig. Wir sind jung. Wir realisieren nicht: Irgendwann sind wir 40 oder 50 Jahre alt. Was machen wir mit all dem Geld, wenn wir nicht gesund sind? Es geht nicht nur ums Bankkonto. Unglücklicherweise verstehen das die meisten Youngster nicht. Sie wollen Geld machen. Ich finde, sie sollten ihre Lebensperspektive etwas korrigieren.

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