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Thomas Ahme, Regina Dickey, Fabian Rettenweber und Uwe Schledorn (v.l.nr.) Magazin Mitbestimmung

Mitbestimmung: Arbeit im Vierjahrestakt

Ausgabe 01/2025

Die nächste Bundesregierung steht vor großen Herausforderungen. Dabei stammen viele Aufgaben noch aus der vergangenen Legislaturperiode. Vier Resümees und Ausblicke aus Beschäftigtensicht. Protokolle von Fabienne Melzer und Andreas Schulte

Kurz vor der Bundestagswahl 2021 sah Thomas Ahme vor allem eine Lücke. Der Ausbau der Erneuerbaren stockte gewaltig, hatte der damalige Betriebsratsvorsitzende beim Windkraftwerkshersteller Siemens
Gamesa in Hamburg erkannt. 65 Prozent des Energiebedarfs bis zum Jahr 2030 aus erneuerbaren Quellen zu decken – dieses Ziel schien kaum erreichbar.

Doch seither hat sich einiges bewegt. „Die Ampel hat vieles besser gemacht, was die Große Koalition nicht hingekriegt hat“, sagt Ahme, mittlerweile im Ruhestand. Die alte Regierung habe Bürokratie abgebaut, Ausbauziele erhöht und den Netzausbau vorangetrieben. Die Zahl der genehmigten Windparks ist gestiegen. Laut dem Verein Agora Energiewende war die Leistung der neu genehmigten Windprojekte 2024 mit knapp 13 Gigawatt dreimal so hoch wie zwei Jahre zuvor. „Aber wir sind noch lange nicht am Ziel“, warnt Ahme. „Es kommt jetzt darauf an, diesen Weg konsequent weiterzugehen.“

Denn ein Ausstieg aus dem Ausbau oder sogar ein Rückbau – wie die AfD dies fordert – wirke sich gleich in mehrfacher Hinsicht negativ aus. „Für das Klima wäre dies eine Katastrophe, aber auch wirtschaftlich“, sagt Thomas Ahme. Auch Siemens droht dann Ungemach – nicht nur bei Gamesa. Die Sparte Energy etwa produziert in Berlin Teile für Elektrolyseure.

Porträt Thomas Ahme, IG Metall, vor Windkraftanlage
Thomas Ahme, IG-Metall, ehemals Betriebsratsvorsitzender von Siemens Gamesa

Die Ampel hat vieles besser gemacht, was die Große Koalition nicht hingekriegt hat.“

THOMAS AHME, IG Metall-Mitglied

Damit wird grüner Wasserstoff hergestellt. Das Gas ermöglicht CO2-neutrale Produktionsmethoden und die langfristige Speicherung von überschüssigem Strom aus regenerativen Quellen. Ein langsamerer Ausbau der Erneuerbaren würde auch den Ausbau der Wasserstoffwirtschaft in Deutschland ausbremsen.

Viele der 100 000 Arbeitsplätze in der Windenergie seien bei einer Abkehr von den Erneuerbaren gefährdet, resümiert daher Ahme. Zwar könnten einige Jobs durch den Export aufgefangen werden, aber die Politik in den USA trübt die Aussichten für Hersteller wie Siemens Gamesa, Vestas oder Nordex. US-Präsident Donald Trump stellt neue Windparks auf den Prüfstand. Auch Aufträge von Siemens Gamesa hängen an dieser Entscheidung.

Mehr Effizienz im Gesundheitswesen

Auch Regina Dickey war vor vier Jahren unzufrieden. Die Betriebsrätin der Uniklinik Gießen und Aufsichtsrätin des Rhön-Klinikums kritisierte die Ökonomisierung der Betriebe. „Krankenhäuser haben eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe“, sagt sie auch heute noch. Doch von den rund 1900 Krankenhäusern in Deutschland sind 750 in privater Hand. Sie erwirtschaften Gewinne. Eine Verstaatlichung der Häuser steht nicht an, denn aus dem Sozialstaatsprinzip des Grundgesetzes leitet sich ab, dass Länder und Kommunen nur dann Krankenhäuser betreiben sollen, wenn andere Träger dem sogenannten Sicherstellungsauftrag nicht genügen.

Auch die von Gesundheitsminister Karl Lauterbach angestoßene Krankenhausreform, die der Bundestag im Herbst verabschiedet hat, sieht dies nicht vor. Regina Dickey begrüßt sie dennoch. „Die Reform hat ganz gute Elemente.“ Sie hofft nun darauf, dass die Versorgung dann gezielter stattfindet. „Bislang gibt es vielerorts steuerfinanziertes medizinisches Gerät, für dessen Auslastung aber das Personal fehlt. Oder es werden bei alten Menschen Hüften operiert, aber im Krankenhaus mangelt es an Geriatern oder Physiotherapeuten.“ Nun soll effizienter gearbeitet werden. In zehn Jahren – so hat es Karl Lauterbach angekündigt – werde es ein paar Hundert Krankenhäuser weniger geben. Personal und medizinisches Gerät sollen dann dort eingesetzt werden, wo sie gebraucht werden. „Die Grundidee der Reform ist, Ressourcen zu bündeln“, sagt Dickey.

Portät der Personalrätin Regina Dickey, Universitätsklinikum Gießen und Marburg GmbH
Regina Dickey, Betriebsrätin am Universitätsklinikum Gießen und Marburg

Notwendiges Personal muss beim Krankenhaus beschäftigt sein und nach Tarif bezahlt werden.“

REGINA DICKEY, Betriebsrätin an der Uniklinik Gießen

Ganz zufrieden ist sie mit dem aktuellen Gesetz dennoch nicht und hofft auf die kommende Legislaturperiode. Was sie durchgesetzt sehen will: „Notwendiges Personal muss beim Krankenhaus beschäftigt sein und nach Tarif bezahlt werden, um refinanzierbar zu sein.“ Denn durch Ausgliederungen etwa von Reinigungs- oder Küchenpersonal in Tochterfirmen umgehen Krankenhauskonzerne Tariflöhne und ziehen Millionenbeträge aus dem Gesundheitssystem. Dickey sieht dadurch nicht nur das Gesundheitssystem geschädigt. „Zwischen tariflich und außertariflich Beschäftigte treibt dies einen Keil.“

Bahn: Machen statt reden

Dicke Luft herrscht mitunter auch bei der Belegschaft der Deutschen Bahn. „Ich habe noch keinen Kollegen kennengelernt, der sagt, seine Abteilung sei ausreichend besetzt“, beschreibt Fabian Rettenweber die hohe Arbeitsbelastung. Das EVG-Mitglied ist Referent für Infrastruktur bei DB Infrago. Die Bahn-Tochter kümmert sich um das Streckennetz und die Bahnhöfe im Land. Bei der Personalpolitik der Bahn vermisst er eine klare Linie der Vorstände. „Was intern versprochen wird, wird nicht immer eingehalten“, sagt Rettenweber. Zwar sei oft von mehr Personal die Rede, aber mancherorts würden aufgrund einer „qualifizierten Ausgabensteuerung Stellen vorerst nicht nachbesetzt“, zitiert er.

Auch von der Politik ist der 31-Jährige enttäuscht. „Ich wünsche mir, dass die Politik endlich macht und nicht nur sagt.“ Auch hier vermisst er die klare Linie. Darunter leiden Projekte. Zum Beispiel die Elektrifizierung von Strecken. Die Ampelparteien hatten im Koalitionsvertrag angekündigt, bis 2030 insgesamt 75 Prozent des Schienennetzes zu elektrifizieren. Doch statt dem angepeilten Plus von 15 Prozent gelangen bis zum vergangenen Jahr nur zwei Prozent. „Es fehlt wohl immer noch der politische Wille“, sagt Rettenweber.

Eisenbahngewerkschafter bei der EVG Fabian Rettenweber am Hauptbahnhof Heidelberg
Fabian Rettenweber, Referent für Infrastruktur bei DB Infrago und Mitglied der Eisenbahnergewerkschaft (EVG) am Hauptbahnhof Heidelberg

Ich habe noch keinen Kollegen kennengelernt, der sagt, seine Abteilung sei ausreichend besetzt.“

FABIAN RETTENWEBER, EVG-Mitglied

Unter anderem ungünstige Rahmenbedingungen verursachen das Schneckentempo beim Ausbau der Infrastruktur. Denn Legislaturperioden sind oft kürzer als Innovationszyklen. „Politiker nehmen häufig zurück, was ein Vorgänger angestoßen hat“, sagt Rettenweber. Er schließt sich deshalb der EVG-Forderung nach einem Infrastrukturfonds an, der Geld über Jahrzehnte bereitstellt. In der Schweiz beispielsweise wird eine solcher Fonds mit Steuereinnahmen, Mauterlösen und Haushaltsmitteln gefüttert.

Doch Geld allein wird den selbst bezifferten Investitionsstau der Bahn von 80 Milliarden Euro nicht auflösen. Ein Kreis schließt sich: „Mit der derzeitigen Personaldecke tut sich die Bahn schwer, alle notwendigen Baustellen zu bewältigen“, sagt Rettenweber.

Unnötige Bürokratie

Zu wenig Geld, zu wenig Fachkräfte – diesen Zweiklang erlebt auch Uwe Schledorn im deutschen Bildungswesen. Der Personalrat ist Lehrer am Förderzentrum Mitte in Hilden bei Düsseldorf. Dass sich Missstände dort unter einer neuen Regierung schlagartig auflösen werden, erwartet er nicht. „Bei den wahrscheinlichen Koalitionen dürften Sozialausgaben eher abgebaut werden“, sagt das GEW-Mitglied.

Porträt Uwe Schledorn, Lehrer und Personalrat am Förderzentrum Mitte in Hilden bei Düsseldorf
Uwe Schledorn, Lehrer am Förderzentrum Mitte in Hilden bei Düsseldorf

Bei den wahrscheinlichen Koalitionen dürften Sozialausgaben eher abgebaut werden.“

UWE SCHLEDORN, Lehrer und Personalrat

130 Milliarden Euro fordert die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft als „Sondervermögen Bildung“ von einer künftigen Bundesregierung. Mit dem Geld sollen Kitas, Schulen und Hochschulen besser ausgestattet werden. „Geld allein kann strukturelle Probleme nicht lösen“, sagt Schledorn. In seinen Augen sind viel zu große Klassen das größte Problem. „Früher hatten wir acht Schüler in einer Klasse, heute bis zu 17. Die Schmerzgrenze ist überschritten.“ Er fordert mehr Personal. Denn auch die Bürokratie wächst ihm mittlerweile über den Kopf. Beispielsweise habe der Aufwand für das Schreiben von Gutachten und Förderplänen drastisch zugenommen. „Hier muss Politik Entlastung schaffen. Längst nicht alle Anträge sind nötig und viele könnten schlanker sein.“

Dass es zu wenig Lehrer gibt, ist auch der Politik bekannt. Allein in Nordrhein-Westfalen blieben im Jahr 2024 gut 6000 von 168 000 Stellen unbesetzt. Besserung ist kaum in Sicht. „Eine 55-Stunden-Woche ist bei vielen keine Seltenheit“, sagt Schledorn. „Kaum jemand will mehr Lehrer werden bei diesen Arbeitsbedingungen.“


Vor den Bundestagswahlen vor vier Jahren hatten wir die Betriebsräte ebenfalls befragt zu ihren Hoffnungen und Erwartungen an die nächste Regierung. Nachzulesen in der Ausgabe 4/2021.

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